Märklin, Schiesser & Co. Retro-Marken: Szenarien für die Zeit nach der Insolvenz

Endstation Insolvenz? Das Schicksal von Marken wie Märklin und Schiesser bedeutet nicht das Aus für Modelleisenbahn und Feinripp. Acht Beispiele, wie es weitergehen kann.

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Modelleisenbahn in der Ausstellung Deutschland-Express in Gelsenkirchen Quelle: Frank Zarges für WirtschaftsWoche

Das Ende ist stets nah und kommt dann doch nicht – dies wird für Märklin ebenso wie schon für andere traditionsreiche Marken gelten. Denn die Dinge von vorgestern haben Zukunft. Nicht allein kommt das Neue heute unter dem Stichwort "Retro" im alten Gewand daher. Darüber hinaus konnten sich Produktgruppen nach dem Zusammenbruch des Massenmarktes in kleinen Nischen erfolgreich behaupten. Die Digitalisierung ganzer Produktgruppen von Fotografie bis Musikwiedergabe hat vielen Marken von Voigtländer bis Dual arg zugesetzt – aber zu kaufen sind ihre Produkte noch immer.

Der Berliner Kulturwissenschaftler Thomas Düllo hat eine einfache Erklärung für die Liebe der Menschen zu alter Technik: "Mit Retro-Produkten zitieren wir uns permanent selbst." Und vor allem unsere in der Rückschau nostalgisch geschönte Vergangenheit; einst war das Knistern der Schallplatten ein Ärgernis, heute ist es ein Signal einer besseren Zeit. In der Vorliebe für das Archiv und analoge Dinge drückt sich der Wunsch aus nach Haltepunkten in einer unübersichtlichen, digitalisierten Produktwelt. Traditionelle Marken und Designs geben Sicherheit und Orientierung. Sie bewahren Erinnerungen auf und entschleunigen unseren Alltag.

Tatsächlich sind erfolgreiche Retro-Produkte im Kern dezente Weiterentwicklungen des Bekannten. „Wenn sich Altes und Neues vermischen“, sagt Düllo, „findet der Konsument anschlussfähige Güter, für die er viel Geld auf den Tisch legt.“

Feinrippunterwäsche

Feinrippunterwäsche von Zimmerli

Das Bild des Flaschenbier trinkenden Prolls im Unterhemd hat dem Baumwollmaterial Feinripp einen heftigen Ansehensverlust beschert. Das Wäscheunternehmen Schiesser ist in große Bedrängnis geraten, obwohl das Unternehmen längst modischere Varianten anbietet. Dass aber auch Feinripp läuft, wenn es nur ordentlich hergestellt und vermarktet wird, zeigt das Schweizer Unternehmen Zimmerli. Man kann darin gut aussehen – wenn man Will Smith oder Cameron Diaz heißt, beides bekennende Träger des Schweizer Ripps.

Schallplattenspieler

117.000 Plattenspieler wurden 2008 mindestens in Deutschland verkauft Quelle: PR

An ihren alten Plattenspieler von Dual erinnern sich viele – und kaufen nun wieder einen neuen für die alten Scheiben. Unternehmen wie Rega entwickeln neue Spieler, die Musiklabels legen neue Pop-Produktionen auch wieder als Vinyl auf. Und es klingt besser als zur Hochzeit der Plattenspieler. "Die Fertigungstechniken der vergangenen 20 Jahre standen damals gar nicht zur Verfügung", sagt Holger Biermann, Chefredakteur der Zeitschrift "Stereoplay". Und Dual-Plattenspieler? Werden in St. Georgen von der Alfred Fehrenbacher GmbH gebaut, den Namen nutzt auch ein Verkäufer von DVD-Portables.

Analoge Fotoapparate

100.000 analoge Kameras wurden 2008 in Deutschland verkauft Quelle: PR

Sie sind noch nicht lange genug tot, um schon wieder aufzuerstehen. Hersteller wie Nikon haben in der Analogfotografie den Rückzug angetreten, Rolleis Mittelformatkameras werden in Liebhabereditionen mit Lederbezug aufgelegt. Rund 100.000 analoge Kameras wurden 2008 in Deutschland verkauft, hingegen etwa neun Millionen digitale. Ausgerechnet eine russische Marke setzt hingegen weiter erfolgreich auf Filme: Lomo aus St. Petersburg. Zwei Wiener haben eine ganze Welt rund um die Schnellschüsse aus der Hüfte aufgebaut, an der vor allem junge Leute Gefallen finden – und auch das Museum of Modern Art in New York.

Küchengeräte

Küchenwaage von Maywerk Quelle: PR

Die Nische suchen, das Produkt frisch gestalten, in Deutschland fertigen und anschließend als hochpreisiges Designstück verkaufen – so entwickelt Hannes Mayer Produkte für sein Unternehmen Maywerk und steht damit für eine Generation von Designern, die mit Absicht Omas und Opas Küchenschrank durchforsten. Die Küchenwaage  funktioniert mechanisch, keine Batterie ist für die digitale Messung nötig. Eine Renaissance durchweht auch die Restaurants: "Deutsche Küche" mit Königsberger Klopsen oder Grünkohl ist auch bei der Generation Sushi wieder beliebt.

Schreibmaschinen

15.000 elektrische Schreibmaschinen verkauft Brother jährlich in Deutschland Quelle: PR

Auf ihr wurden die bedeutendsten Romane der Welt geschrieben und Skandale wie Watergate aufgezeichnet – doch als die Personalcomputer mehr Arbeit abnahmen als verursachten, war es um die Schreibmaschine geschehen. Namhafte Hersteller wie Triumph-Adler, Olivetti oder Olympia (im Foto Modell SG 3N, das der Versender Manufactum mit den Tasten @ und € ausgestattet hat) haben entweder ihre Produktpalette verändert oder sind sehr kleingeschrumpft. Der Hersteller Brother verkauft immerhin jedes Jahr noch rund 15.000 elektrische Schreibmaschinen in Deutschland. 1996 waren es noch 100.000. Brother kann den Absatz in Deutschland seit einigen Jahren konstant halten. Gründe für den Kauf sind Nostalgie und einfache Bedienung. Außerdem brauchen einige Kunden eine Schreibmaschine zum sauberen Ausfüllen von Formularen mit Durchschlägen. Und mancher Autor liebt auch heute noch den sanften Zwang der Maschine: Er muss den Satz erst zu Ende denken, bevor er ihn tippt.

Mechanische Uhren

Opus 8 von Harry Winston: Die Uhrmacher spielen mit der digitalen Zeitanzeige Quelle: PR

Es ist die Erfolgsgeschichte nach dem Niedergang schlechthin: Kein Industriezweig ist nach seinem wirtschaftlichen Waterloo kräftiger gewachsen als der der mechanischen Uhrwerke. Aus Kirchtürmen vertrieben, trotzen die Zeitmesser seit ihrem Comeback am Handgelenk von Männern jeder Modernisierung. Weil Uhren als einziger Schmuck des Mannes gelten, konnten die Hersteller mechanikaffine Kunden dazu bewegen, zwischen 500 Euro und einer halben Million auszugeben – pro Uhr. Inzwischen spielen die Uhrmacher gar mit der digitalen Zeitanzeige, wie Frédérich Garinaud, der für Harry Winston mit der Opus 8 eine vollständig mechanische Uhr entwickelt hat, die auf Knopfdruck in digitalen Ziffern die Zeit anzeigt.

Spindelmäher

47.300 Spindelmäher wurden 2008 ín Deutschland verkauft Quelle: Gardena

Den Sprung von der Sense zum Mähroboter überbrückte in vielen deutschen Gärten der Spindelmäher. Wenig Rasenfläche vorm Reihenhaus und der Wunsch nach körperlicher Ertüchtigung beschert ihm einen kontinuierlichen Absatz. Das Ulmer Unternehmen Gardena hat noch vier manuelle Spindelmäher im Programm. An ihnen offenbaren sich auch kulturelle Unterschiede der Nationen, die für Unternehmen spielentscheidend sein können. In England werden knapp doppelt so viele Spindelmäher verkauft wie in Deutschland. Die gartenbegeisterten Briten schätzen, dass der Spindelmäher den Halm schneidet, statt ihn wie ein Rotormäher abzuschlagen.

Fahrräder mit Stahlrahmen

Rennräder von Vanilla Cycles: Kunden müssen fünf Jahre auf ein Modell warten Quelle: PR

Leicht, rostfrei und stabil – für Rahmen aus Aluminium, Carbon oder gar Titan spricht im Fahrradbau einiges. Nur nicht die Sentimentalität, da siegt Stahl. In New York gilt es unter Fahrradkurieren als schick, Rahmen aus Stahl ohne Gangschaltung und ohne Bremse zu fahren. Die Fixies genannten Räder sind damit unmittelbare Verwandte des Bahnrads. Auf die Räder von Sacha White und seinem Unternehmen Vanilla Cycles aus Portland in Oregon warten Kunden fünf Jahre, nur sein Rennteam bekommt schneller welche. Aber auch italienische Rennradschmieden wie De Rosa verkaufen im Jahr noch 40 Stahlrahmenräder nach Deutschland. Kein Verband oder Marktforscher erhebt mehr den Marktanteil. Experten rechnen mit unter einem Promill.

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