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Management Arbeitszeit ist Lebenszeit

Im Werben um die Top-Kräfte locken Unternehmen zunehmend mit familienfreundlichen Angeboten. Flexible Beschäftigungszeiten und virtuelle Büros sollen die Mitarbeiter kreativer und zufriedener machen.

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Kinderbetreuung in Unternehmen lockt viele Spitzenkräfte an. Quelle: dpa

Düsseldorf Martin Hauske macht es nichts aus, viel unterwegs zu sein. Rund 300.000 Kilometer ist der IBM-Manager in den vergangenen fünf Jahren jeweils geflogen, er war häufig drei Wochen pro Monat unterwegs. Hauske leitete von Peking aus das Geschäft des Konzerns mit intelligenten Stromnetzen, er war für 140 Schwellenländer verantwortlich.

Als seine Frau schwanger wurde und später ihre Tochter geboren wurde, wollte der heute 42-Jährige aber bei ihr sein. Das Problem: Sie machte zu der Zeit ihren Master of Business Administration, allerdings in Paris. Hauske holte sich von seinem Arbeitgeber die Erlaubnis, in Frankreich zu arbeiten - wenn auch mit asiatischen Arbeitszeiten. „Die Videokonferenzen begannen für mich dann oft um drei Uhr nachts“, erzählt er.

Karriere und Familie miteinander zu vereinbaren, ist schon im nationalen Maßstab häufig schwierig. Weltweit arbeitende Manager wie Hauske müssen bisweilen zu Nachtschwärmern werden, um beides unter einen Hut zu kriegen. Viele Führungskräfte wollen aber trotz beruflicher Ambitionen noch Zeit für sich und ihre Familie haben. Sie bringen Unternehmen dazu, flexiblere Lösungen anzubieten, damit die Top-Kräfte an Bord bleiben.

Nicola Leibinger-Kammüller stellte das neue Konzept persönlich vor - die Geschäftsführerin des Maschinenbauers Trumpf wusste wohl, dass es für Aufsehen sorgen würde: Bei Trumpf können sich die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten selber maßschneidern. Je nach persönlichen Wünschen und Lebensphasen arbeiten die Beschäftigten mehr oder weniger, als es ihr Standard-Arbeitsvertrag bis dahin erlaubt hat. „Die Ansprüche unserer Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz verändern sich“, sagte Leibinger-Kammüller damals, im Mai.

Andere Unternehmen ziehen nach. Bei Bosch etwa beteiligen sich mehr als 100 Führungskräfte an einem Projekt, in dem ein bestimmter Anteil der Wochenarbeitszeit jenseits des eigenen Büros verbracht wird. Die Deutsche Telekom forciert das Thema „Führung in Teilzeit“. Der Durchbruch soll bewusst auf der Ebene der leitenden Mitarbeiter geschafft werden. Mit Managern als Vorbild ließen sich entsprechende Modelle dann auch besser in der Breite durchsetzen, sagte ein Telekom-Sprecher. Auch der Versicherer Allianz startet Anfang 2012 ein Pilotprogramm, mit dem Auswirkungen flexibler Arbeitszeit für Führungskräfte getestet werden sollen. Dazu zählen Teilzeitmodelle, Sabbatical und das virtuelle Büro. „Es gibt kein einschlägiges Erfolgsrezept“, glaubt Christian Finckh, Personalmanager bei der Allianz. „Eine Lösung muss jeweils zu den Bedürfnissen des Einzelnen passen.“


Fast jedes Großunternehmen bietet heute Kinderbetreuung

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat erhoben, dass 80 Prozent der 1300 befragten Unternehmen dem Thema Familienfreundlichkeit eine hohe respektive relativ hohe Bedeutung beimessen. 2003 waren es erst 46 Prozent. Kinderbetreuung oder Sportangebote sind mittlerweile in fast jedem größeren Unternehmen vorhanden. Acht von zehn Betrieben praktizieren Teilzeit, sieben von zehn ermöglichen individuelle Arbeitszeiten.

Aber auch das zeigt die Statistik: 58,1 Prozent der Beschäftigten arbeiteten laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr in einem starren Modell, Anfangs- und Endzeiten waren also fest vorgegeben. 36,3 Prozent hingegen hatten Einfluss auf ihre Zeiteinteilung, etwa über Arbeitszeitkonten. Prinzip: Sie mussten zwar in einer Kernzeit anwesend sein, aber sonst lediglich eine Gesamtstundenzahl erreichen.

„Zeitflexibilität ist der entscheidende Faktor“, sagt der Volkswirt Dominik Enste, Projektleiter Verhaltensökonomik beim IW. Das Institut geht mit gutem Beispiel voran: Enste, selbst Familienvater, arbeitet zwei Nachmittage in der Woche von zu Hause aus, damit er sich um seinen siebenjährigen Sohn kümmern kann. Was er nicht schafft, holt er an diesen Tagen abends zwischen acht und elf Uhr nach. Außerdem ist er technisch so ausgerüstet, dass er von überall arbeiten kann.

„Man braucht auch eine Rückkoppelung aus der Gesellschaft“, sagt Enste. Hierfür seien die eigenen Kinder ideal, die einem im größten Stress den Kopf wieder freimachten. „Man braucht schließlich auch Kreativität und neue Ideen - und dafür manchmal einen gewissen Abstand“, sagt Enste. Das gelte auch oder besonders für Manager. „Zum Manager der Zukunft gehört nicht nur, dass er global agiert“, sagt Enste, „sondern auch, dass er sich um seine Kinder kümmert.“


„Die Unternehmen müssen die Leute gesund halten“

So etwas zu schaffen, dabei hilft Alexa Ahmad. Sie ist Geschäftsführerin von PME Familienservice, einer Work-Life-Balance-Agentur. „Langsam kommt in den Unternehmen an, dass man die Leute länger gesund halten muss und sie nicht immer austauschen kann“, sagt Ahmad. Ihre Agentur kümmert sich mittlerweile um die Mitarbeiter von mehr als 700 Unternehmen, darunter viele große Konzerne wie Lufthansa, BMW oder die Commerzbank.

„Wir sind Banker und keine Pädagogen, darum arbeiten wir mit einem Profi zusammen“, sagt Barbara David, in der Commerzbank verantwortlich für Diversity. „Man hat bei uns verstanden, dass eine vernünftige Work-Life-Balance eng mit der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der Mitarbeiter zusammenhängt.“ Die Bank hat an vielen Orten Betriebskindergärten, zusätzlich gibt es Betreuungsplätze für Notsituationen. Über eine Hotline, gestellt vom Familienservice, können die Mitarbeiter Beratung in Anspruch nehmen, ob zur Ferienbetreuung der Kinder, der Pflege älterer Angehöriger oder zur Schuldenberatung.

„Beide Seiten, Mitarbeiter und Unternehmen, profitieren davon. Es ist eine Win-win-Situation“, sagt David. Die Betreuung von 90 Kindern in einer Tagesstätte etwa koste die Commerzbank 571.000 Euro pro Jahr. Dadurch, dass die Eltern jedoch nach der Geburt früher wieder in das Arbeitsleben zurückkehren und dann auch mehr arbeiten können, spare das Unternehmen im Gegenzug 702.000 Euro. Das habe eine Evaluation ergeben. Somit bleibt dem Unternehmen also letztlich ein Gewinn durch diese Maßnahme von 131.000 Euro - etwa 23 Prozent.

Auch Trumpf erkennt noch keine Nachteile des flexiblen Arbeitszeitmodells. Wenige Monate nach dem Start des Projekts haben mehr als 600 der insgesamt 3000 Mitarbeiter am Stammsitz in Ditzingen ihre Arbeitszeit angepasst - 80 Prozent von ihnen arbeiten sogar freiwillig mehr.

Mitarbeit: Till Hoppe, Matthias Eberle

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