McKinsey-Deutschland-Chef Frank Mattern "Das ganze System ächzt"

Der Deutschland-Chef von McKinsey, Frank Mattern, über Wege aus der Krise, die Chancen deutscher Unternehmen und die neue Rolle von Staat und Banken.

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Frank Mattern, der McKinsey Quelle: obs

WirtschaftsWoche: Herr Mattern, Experten überbieten sich mit Negativprognosen für das kommende Jahr. Können Sie uns etwas Hoffnung machen? Das ist leider schwierig. Die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung war selten so groß wie heute. Wir erleben gerade das Zusammentreffen eines zyklischen Abschwungs mit einer weltweiten Finanzkrise. Das ist eine ungewöhnliche Situation, weil es den Unternehmen schwerer fällt, sich zusätzliche Finanzmittel zu beschaffen, um die Durststrecke gut durchzustehen.

Wird Deutschland besonders hart getroffen? Nein, da bin ich relativ zuversichtlich. Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren sehr viel wettbewerbsfähiger geworden. Die meisten Unternehmen haben größere finanzielle Ressourcen als beim vorigen Abschwung und gehen stärker in diese Krise hinein. In Deutschland gab es auch keine Blase bei den Immobilienpreisen, die privaten und öffentlichen Haushalte sind längst nicht so verschuldet wie in anderen Ländern. Trotzdem ist klar, dass der weltweite Abschwung uns erheblich treffen wird.

Leiden wir als Exportweltmeister nicht besonders unter der Krise in anderen Ländern? Deutschland war ein Gewinner der Globalisierung und wird es weiter sein. Die Globalisierung ist unumkehrbar, sie hat den weltweiten Wohlstand unbestritten enorm gesteigert. Wir sollten in Deutschland weiter darauf bauen und unsere Stärken nutzen. Wir stehen aktuell besser da als Länder, die vor allem auf eine Expansion des Dienstleistungssektors gesetzt haben.

In China sollen sich die Wachstumsraten halbieren. Schwächelt damit nicht einer der wichtigsten Wachstumsmotoren?Aktuell ja, aber langfristig werden die Schwellenländer weiter in ihre Infrastruktur investieren. Wegen der wachsenden Bevölkerung und der Urbanisierung besteht da enormer Bedarf. Inzwischen haben diese Länder auch sehr viel Kapital angesammelt, und die wirtschaftlichen Wachstumsraten in den Schwellenländern sind immer noch höher als bei uns.

Verlieren die USA durch die Krise an Bedeutung für deutsche Unternehmen und die Weltwirtschaft? Das glaube ich nicht, auch wenn das alle 20 Jahre immer mal wieder verkündet wird. Ich habe Vertrauen in die Dynamik und die Innovationskraft der USA und ihre Fähigkeit, die weltweit besten Leute anzuziehen. Wir sollten die Vereinigten Staaten auf keinen Fall abschreiben.

Dennoch werden deutsche Unternehmen dort für einige Zeit weniger Produkte verkaufen. Muss die Bundesregierung in der aktuellen Situation nicht die Binnennachfrage ankurbeln, so wie es die USA versuchen? Es würde natürlich in der jetzigen Situation helfen, wenn die Deutschen mehr konsumieren und weniger sparen. Aber ich glaube nicht, dass sich das durch kurzfristige Erleichterungen für die privaten Haushalte erreichen lässt. Die Stimmung ist dafür einfach zu schlecht, die Verunsicherung zu groß. Auch die Steuergutscheine in den USA hatten nur einen sehr begrenzten Effekt.

Gilt das auch für Steuersenkungen? Selbstverständlich würden Steuersenkungen der Binnennachfrage einen Impuls geben, aber vom Angstsparen würden sie die Menschen nicht abbringen.

Sollte der Staat sich nicht lieber raushalten, damit der Markt die Krise bewältigt? Nein, derzeit nicht. Am sinnvollsten wären strategische Investitionen in die Infrastruktur. Die großen Aufgaben sind die Erneuerung der Stromversorgung, der Ausbau des Verkehrsnetzes und die weitere Verbreitung des Glasfasernetzes. Solche Investitionen stützen die Konjunktur und machen unsere Volkswirtschaft langfristig wettbewerbsfähiger und wachstumsstärker.

Wir staunen. Selbst der deutsche McKinsey-Chef fordert ein großes Staatsprogramm? Ganz ohne finanzielles Engagement des Staates wird es nicht gehen. Die öffentlichen Haushalte sind solide. Bei den Investitionen sollte der Staat auch Private stärker einbeziehen. Bei solchen Public Private Partnerships hat Deutschland Nachholbedarf.

Wie leidensfähig muss ein überzeugter Marktwirtschaftler wie Sie angesichts dieser Entwicklung derzeit sein? Die vergangenen Monate haben abgehärtet. Natürlich war es schmerzlich zu sehen, dass staatliche Hilfe dieses Ausmaßes notwendig war, um das Finanzsystem zu stabilisieren. Damit hatte niemand gerechnet, aber letztlich gab es keine Alternative.

Sollte der Staat eine sogenannte Bad Bank einrichten, die den regulären Banken faule Wertpapiere und Kredite abnimmt? Die Banken sollten ihre Problempapiere ausgliedern, um das schlechte Geschäft vom zukunftsfähigen zu trennen. Diese privat organisierten Bad Banks müssen dann professionell abgewickelt werden. Dabei könnten sie auch Leistungen aus dem staatlichen Hilfspaket in Anspruch nehmen. Aber das darf nicht dazu führen, dass der Steuerzahler den Alteigentümern die ganzen Risiken abnimmt.

Wird der Staat durch die Krise auf Dauer deutlich mehr Einfluss auf die Wirtschaft haben? In einigen Bereichen sicher, etwa auf den Finanzmärkten. Aber auch wenn wir 2009 eine durch die Finanzkrise verschärfte Rezession erleben, ändert das nichts an den grundsätzlichen Wahrheiten: In Deutschland ist die Staatsquote sehr hoch. In den vergangenen Jahren haben wir sie erfolgreich runtergefahren – und diesen Prozess sollten wir nach Bewältigung der Krise fortsetzen.

Solche Forderungen sind derzeit sehr unpopulär. Das Vertrauen in die Marktwirtschaft ist in der deutschen Bevölkerung niedrig wie selten. Das ist in der Tat ein großes Problem. Selbst der letzte Aufschwung hat daran nichts geändert. Aber wenn man sich die Fakten ansieht, hat die Marktwirtschaft enorm viel Wohlstand und Beschäftigung geschaffen. Aktuell ist es aber fast unmöglich, für mehr Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft zu werben.

Hat bei der aktuellen Krise nun in erster Linie der Markt oder der Staat versagt? Die Finanzbranche trifft ein großer Teil der Schuld. Das ist gar keine Frage, auch wenn die Entwicklung vom Staat begünstigt wurde. So haben die niedrigen Zinsen der US-Zentralbank die Schwemme an Liquidität ermöglicht, die zur Blase auf dem US-Immobiliemarkt geführt hat. Die ungesund schnell steigende Zahl von Hauseigentümern war aber auch politisch gewollt. Trotzdem: Es gab massive Mängel im Risikomanagement der Banken, ohne die es nicht zu dieser Entwicklung gekommen wäre.

Für einen Großteil der Bevölkerung ist schlicht die Gier der Banker der entscheidende Grund, die teilweise sogar verbrecherische Züge annimmt, etwa beim Schneeballsystem der amerikanischen Investmentikone Bernard Madoff, der Anleger um 50 Milliarden US-Dollar geprellt haben soll. Mit Debatten um Gier oder Neid werden wir die Probleme nicht lösen. Gier hat es in den Finanzmärkten immer gegeben, das ist nichts Neues. Wir sollten uns lieber fragen, welche konkreten Fehlentwicklungen es gab und wie wir sie künftig verhindern können.

Was sind hier Ihre größten Sorgen? Sehr gefährlich ist, dass die Banken schon zu Beginn der Rezession große Teile ihres Eigenkapitals verloren haben. Das bräuchten sie eigentlich, um die in den nächsten Monten unvermeidlichen Verluste aufzufangen, wenn mehr Kredite ausfallen werden. Da die Kapitalbasis durch die Krise schon zu Beginn der Rezession ausgehöhlt ist, könnten die Banken erneut zusätzliches Kapital benötigen…

... also noch mehr Steuermilliarden? Auf Dauer kann und sollte der Staat die Banken und die Finanzmärkte nicht mit Kapital versorgen müssen. Es muss auch wieder privates Geld in die Finanzmärkte fließen.

Das klingt für uns wie ein frommer Wunsch zu Weihnachten. Das ganze System ächzt zurzeit unter den Anpassungen, ein neues Gleichgewicht zu finden. Neues Vertrauen kann nur durch mehr Transparenz entstehen. Solange unklar ist, was die Banken noch in den Büchern haben und welche Verluste noch drohen, wird es keine wirkliche Entspannung geben. Da dürften die testierten Jahresabschlüsse helfen, die Anfang 2009 auf den Tisch kommen. Auch wenn wir da sicher noch unangenehme Überraschungen sehen werden.

Was muss Ihrer Ansicht nach konkret passieren, damit sich die Exzesse der Vergangenheit nicht wiederholen? Ein fundamentales Problem liegt darin, dass die Herausgeber von Wertpapieren die Ratingagenturen für deren Bewertungen bezahlen. Da ist der Interessenkonflikt unvermeidlich. Außerdem dominieren nur drei Anbieter aus dem angelsächsischen Raum den weltweiten Markt. Mehr Konkurrenz – zum Beispiel aus Europa – könnte eine grundsätzliche Reform beschleunigen. Auch sollten die Bilanzierungsregeln überarbeitet werden. Ein Nebeneffekt der Eigenkapitalrichtlinien Basel II war die enorme Aufblähung der Bankbilanzen durch angeblich risikofreie Wertpapiere. Der Verschuldungsgrad der Banken muss auf einem niedrigeren Niveau begrenzt werden, ihre Eigenkapitalbasis muss größer sein. Sonst werden die Investoren nicht wieder einsteigen. Insofern sorgt auch der Markt dafür, dass sich die Geschäftsmodelle der Banken verändern.

In welche Richtung? Finanzprodukte, die Investoren und die Banker selbst nicht verstehen, wird es so nicht mehr geben. Zu komplex strukturierte Finanzprodukte werden in der bisherigen Form verschwinden. Das Geschäft der Banken mit den Kunden, zum Beispiel Kredite oder klassische Geldanlage, wird eine deutlich größere Rolle spielen. Es wird weniger Spezialbanken geben...

...also zum Beispiel weniger reine Investment- oder Hypothekenbanken... ...weil diese, wie die Krise gezeigt hat, oft nicht stabil genug sind. Der Finanzsektor wird in seiner Entwicklung deutlich stärker der Realwirtschaft dienen.

Wie werden die deutschen Banken die Krise überstehen? Ich hoffe einigermaßen gut. Allerdings bin ich für den Finanzplatz Deutschland nicht sehr optimistisch. An anderen Finanzzentren findet derzeit eine beispiellose Konsolidierungswelle statt. Nach der Krise werden dort neue große, stark kapitalisierte Banken entstanden sein. In Deutschland gab es hier zwar einige Schritte...

... die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank und den Einstieg der Deutschen Bank bei der Postbank …. …was aber nichts daran ändert, dass wir in Deutschland zu wenige Institute mit der erforderlichen Größe und internationalen Ausrichtung haben, die unsere weltweit tätigen Unternehmen bei deren Auslandsgeschäften optimal begleiten können.

Liegt das Grundübel nicht im deutschen Drei-Säulen-System aus Geschäftsbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken? Nein. Ein starkes, internationales Institut könnte aus jeder dieser Säulen kommen. Auch aus den Landesbanken könnte sich ein international wettbewerbsfähiges Institut entwickeln. Dabei geht es nicht darum, dass die Finanzbranche bei uns die Bedeutung erlangen sollte wie in manchen anderen Ländern. Deutschland ist ein Industrieland und wird es auch bleiben.

Die Autohersteller stürzen doch geradezu ab. Verlieren wir hier langfristig eine unserer Leitindustrien? Die deutschen Hersteller sind international sehr wettbewerbsfähig. Die Probleme der Anbieter in anderen Ländern, allen voran in den USA, sind nicht erst durch die gegenwärtige Krise entstanden, sondern schwelen schon lange. Sie haben mit ihrer Modellpolitik an Akzeptanz bei den Kunden verloren.

Die Autobauer stehen wegen der Klimadebatte vor einem fundamentalen Umbruch. Spielen die deutschen Hersteller, etwa im Vergleich mit den Japanern, hier vorne mit? Davon bin ich überzeugt. Wir werden uns zwar noch lange nicht von fossilen Treibstoffen verabschieden. Ein sparsamer Dieselmotor wird noch viele Jahre der emissions- und verbrauchsärmste Autoantrieb bleiben. Aber Elektroautos werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dabei ist die Batterietechnik der Schlüssel zum Erfolg – und ich hoffe, dass die deutschen Hersteller und Zulieferer technologisch führend sein werden.

Hat die Debatte über die Klimaerwärmung durch die Wirtschaftskrise an Bedeutung verloren? Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Aber Klimaschutz ist gesellschaftlich akzeptiert und politisch gewollt. Die Unternehmen stellen sich darauf ein, das Thema bietet ja auch enorme Marktchancen, etwa in der Umwelttechnologie. Ob neue Abgasregeln oder Emissionsrechte, darin sehe ich kein großes Problem, sofern die Regelungen nicht überzogen sind und den Unternehmen genug Zeit lassen, sich anzupassen.

Und wenn dadurch Unternehmen außer Landes getrieben werden, weil es anderswo weniger strenge Umweltvorschriften gibt? Bestimmte Anlagen, etwa in der Grundstoff- oder in der Metallindustrie, werden dann vermutlich nicht mehr in Deutschland gebaut. Dadurch verlagern sich Beschäftigung und Investitionen ins Ausland. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass wir gleichzeitig andere Wachstumsfelder in der Hochtechnologie gewonnen haben. Im Umweltschutz haben wir hohe Standards, wir sind bei vielen Technologien führend, unsere Autos sind moderner, unsere Häuser besser isoliert und viele Unternehmen sind Weltmarktführer. Hier sehe ich für deutsche Unternehmen ganz großes Potenzial.

Zum Nulltarif wird es den Umbau, wie Sie ihn der deutschen Industrie voraussagen, aber kaum geben. Natürlich nicht. Wichtig ist nur, dass der Umbau bezahlbar ist. Denn bezahlen muss ihn letztlich der Kunde. Das heißt, die Konsumenten müssen die umweltfreundlichen Produkte auch wirklich kaufen. Hier fallen Anspruch und Wirklichkeit oft auseinander, wenn die umweltfreundlichen Produkte teurer sind.

Was bleibt den Unternehmen in den nächsten Monaten, um mit der Krise fertigzuwerden? Die Unternehmen haben viele Instrumente, um mit einer Rezession umzugehen. Die Beschäftigung ist durch Zeitarbeit und Arbeitszeitkonten deutlich flexibler geworden. Viele können die Krise wahrscheinlich ohne Massenentlassungen überstehen. Besonders wichtig ist die Refinanzierung. Sie wird voraussichtlich nur zu deutlich höheren Konditionen möglich sein. Und das ist kein vorübergehender Zustand, die lange Phase des billigen Geldes ist auf Jahre vorbei. Die Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen. Sie sollten sich auch fragen, wie sie ihre Zulieferer und Abnehmer stabilisieren können. Unternehmen werden die Krise nur gut überstehen, wenn sie ihre Partner mitnehmen.

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