
Nur der rote Backsteinbau, die einstige Zentrale, erinnert noch an die alten Zeiten der früheren Hoechst AG. Exvorstandschef Jürgen Dormann hat den einstigen Weltkonzern um die Jahrtausendwende herum zerschlagen. Längst haben sich auf dem früheren Werksgelände in Frankfurt-Höchst Dutzende Firmen angesiedelt.
So steuert das französische Unternehmen Sanofi-Aventis von hier aus sein weltweites Diabetes-Geschäft. Der Konzern hat die frühere Hoechst-Pharmasparte übernommen. Sanofi produziert in Frankfurt-Höchst das Insulin Lantus, hat ein modernes Werk für sogenannte Insulin-Pens aufgebaut, die für Zuckerkranke besser zu handhaben sind als die herkömmlichen Spritzen, und will demnächst auf dem Gelände auch Blutzuckermessgeräte herstellen.
Insulin-Pens und Blutzuckermessgeräte, das passt in die Strategie von Sanofi-Chef Chris Viehbacher. Der 50-Jährige, seit 18 Monaten im Amt, baut den viertgrößten Pharmakonzern der Welt radikal um. Er will Sanofi vom klassischen Medikamentengeschäft unabhängiger machen und investiert stattdessen lieber in wenig innovative Geschäfte wie Nachahmerpräparate (Generika), rezeptfreie Pillen oder eben Blutzuckermessgeräte. „Wir können nicht alles in unsere Forschung investieren“, sagt Viehbacher, „das Risiko ist zu groß.“
Damit ist er in guter Gesellschaft. Zwar präsentieren sich die Pharmariesen gern als innovative Unternehmen, in deren Labors viele Tausend Forscher unentwegt an neuen Arzneien gegen Krebs, Herzinfarkt oder Alzheimer tüfteln. Welche neuen Lebensretter die Branche immer wieder produziert, das erzählen ihre Lobbyisten gern – vor allem in diesen Tagen, da etwa Gesundheitsminister Philipp Rösler bei den Pharmaherstellern sparen möchte.
Weniger neue Medikamente
Die Realität sieht anders aus. Viele Pharmakonzerne verlieren den Elan, an neuen Medikamenten zu forschen. Unternehmen wie Novartis aus der Schweiz und GlaxoSmithKline aus Großbritannien fahren eine ähnliche Strategie wie Sanofi-Aventis. Dabei gäbe es noch zahlreiche Krankheiten zu heilen. Doch die Unternehmen gehen lieber auf Nummer sicher.
Die Zahl neuer Arzneien entwickelt sich rückläufig. Noch vor etwa einem Jahrzehnt brachten die Pharmahersteller weltweit etwa 60 neue Medikamente auf den Markt – inzwischen ist es nur noch knapp die Hälfte (siehe Grafik auf der nächsten Seite).
„Trotz allen technischen Fortschritts ist die Zahl neuer Medikamente in den vergangenen Jahren nicht gestiegen“, sagt Norbert Hültenschmidt, für die Pharmaindustrie zuständiger Partner bei der Unternehmensberatung Bain & Company. „Die Unternehmen haben ihre riesigen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen oft schwerfällig organisiert, es fehlt an unternehmerischer Denke, Risikofreude und Flexibilität.“
Zudem ändern sie bewusst ihre Strategie. Die Entwicklung neuer Medikamente ist teuer und die Gefahr groß, dass ein vermeintliches Wundermittel noch vor der Zulassung abstürzt. Also setzen Pharmabosse wie Sanofi-Chef Viehbacher lieber auf Sicherheit. Den Anteil an Innovationen will er zurückfahren: Noch macht Sanofi 50 Prozent seines Umsatzes mit patentgeschützten Medikamenten. Bis 2013 soll der Anteil auf 25 Prozent sinken.
In jüngster Zeit investieren die Unternehmen verstärkt in Generika – ein Geschäft, das sie früher eher verschmäht haben. Sanofi hat 2009 gleich mehrere Hersteller von Nachahmerpräparaten zugekauft. Der weltgrößte Arzneimittelkonzern Pfizer bot bis zuletzt mit für den deutschen Generikahersteller Ratiopharm, musste sich aber dem israelischen Konkurrenten Teva geschlagen geben.
„Die Unternehmen setzen nicht mehr nur auf innovative Medikamente. Sie bemühen sich zunehmend, ihre Präparate möglichst lange im Markt zu halten – aus den neuen Arzneien von einst werden dann schnell Generika und rezeptfreie Medikamente“, sagt Andrea Brückner von der Unternehmensberatung Accenture. Die Beraterin schätzt, dass der Anteil der etablierten Medikamente – sogenannter „mature products“ – am internationalen Pharmaportfolio von 12 Prozent im Jahr 2002 auf 40 Prozent im kommenden Jahr steigen wird.