Medizintechnik Maßstäbe bei der Ausbildung

Der Medizintechnik-Hersteller Aesculap setzt Maßstäbe bei der Ausbildung. Zum eigenen Vorteil. Die Azubis lernen auch in der Behindertenwerkstatt.

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Aesculap-Manager Biallas (l.) und Feldhaus Quelle: Deniz Saylan für WirtschaftsWoche

Kaum einer kennt das Unternehmen, obwohl seine Produkte schon viele Menschen am Leben gehalten haben. Wenn bei Operationen Implantate, Klemmen, Endoskope oder chirurgische Scheren von Aesculap zum Einsatz kommen, liegen die meisten Menschen in Narkose. Deshalb bekommen sie nichts mit, wenn die OP-Ärzte dann etwa mit einer hochpräzisen atraumatischen Klemme gerade eine Blutung in ihrem Körper stillen.

Kein Tropfen darf hindurchfließen; deswegen müssen die beiden Enden der Klemme haargenau passen. Die Klemme muss sauber und leicht arbeiten. Wäre blöd, wenn dem Chirurgen während der Operation der Arm lahmt. Dafür sorgt bei Aesculap einer wie Andreas Rutz: Der Facharbeiter prüft, arbeitet nach, setzt Schweißpunkte. Jede Klemme bearbeitet er von Hand. Rutz ist seit zwölf Jahren bei Aesculap, dort hat er auch seinen Job als Werkzeugmechaniker gelernt.

Etwa die Hälfte der 2500 Aesculap-Beschäftigten in Tuttlingen (Baden-Württemberg) hat die Lehrjahre im Unternehmen verbracht. Derzeit ist jeder zehnte Mitarbeiter bei Aesculap ein Auszubildender. Die Quote liegt deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 4,8 Prozent. Und noch etwas überrascht: Trotz der anspruchsvollen Fertigung ist ein Teil der Ausbildungsplätze bei Aesculap für lernschwache Schüler reserviert.

„Wir setzen damit ein Zeichen, dass es auch anders geht“, sagt Michael Ungethüm, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Aesculap. Acht Millionen Euro gibt das Unternehmen für Aus- und Weiterbildung aus. Aesculap ist – weil bei seinen Produkten Qualität und Verarbeitung stimmen muss – auf qualifizierte Facharbeiter wie Rutz angewiesen. „Wir sind vom Facharbeitermangel weniger als andere Unternehmen betroffen, da wir unsere eigenen Leute gut ausbilden und nicht so viel am Markt rekrutieren müssen“,, sagt Personalleiter Norbert Feldhaus. Auch die IG Metall bescheinigt Aesculap eine gute Ausbildungsarbeit.

In Tuttlingen sind ohnehin kaum Fachkräfte zu bekommen. Die Arbeitslosenquote in der Region liegt bei 3,3 Prozent. Rund 400 Medizintechnik-Hersteller – vom Ein-Mann-Betrieb bis zum Großunternehmen – zählt der 35.000-Einwohner-Ort, der auf halber Strecke zwischen Stuttgart und Zürich liegt.

Mit einem Umsatz von einer Milliarde Euro ist Aesculap das größte Unternehmen am Ort – und eines der ersten, dass sich, Mitte des 19. Jahrhunderts, in Tuttlingen angesiedelt hat. Inzwischen ist Aesculap Teil des Medizinkonzerns Braun Melsungen – einem sozial engagierten Unternehmen, das Hilfsprojekte für Kinder in Mumbai oder Südafrika fördert und als familienfreundliches Unternehmen von der Hertie-Stiftung ausgezeichnet wurde. Vorstandschef Ludwig Georg Braun ist gleichzeitig Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.

Zum 1. September beginnen 71 Jugendliche ihre Ausbildung bei Aesculap. Die künftigen Werkzeugmechaniker, Maschinen- und Anlagenführer, Industriekaufleute und technischen Zeichner sammeln sich dann im Foyer des weitläufigen Backsteinbaus gegenüber dem Tuttlinger ICE-Bahnhof. Sie hatten Glück. Denn insgesamt 1400 hatten sich auf die freien Stellen beworben.

Gleich zu Beginn ihres Berufslebens lernen die Auserwählten bei den „Betriebs-pädagogischen Tagen“ was sie beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt erwartet, wie Projektarbeit funktioniert und wie sie erfolgreich Präsentationen halten. Später verbringen die kaufmännischen Auszubildenden vier Wochen in einem Betrieb im englischsprachigen Ausland. Die gewerblichen Azubis können auf einen Einsatz in einem Aesculap-Betrieb in Polen hoffen.

Für alle obligatorisch ist ein einwöchiges Kurzpraktikum bei der Lebenshilfe in Tuttlingen, einer Einrichtung für erwachsene Behinderte. „Uns ist es wichtig, dass sich die Auszubildenden auch sozial engagieren“, begründet Wilfried Biallas, der Leiter der kaufmännischen Berufsausbildung bei Aesculap, die Maßnahme. Die Azubis können dabei wahlweise entweder in der Werkstatt, im Wohnheim oder in der Reha-Werkstatt für psychologisch Kranke hospitieren.

Zehn Ausbildungs- und neun Praktikumsplätze sind zudem für lernschwache Kinder von Mitarbeitern reserviert. Der Medizintechnik-Hersteller hat dafür anderthalb Sozialarbeiter-Stellen eingerichtet. Die Betreuer geben ihnen Nachhilfe und auch nötige Lebens- und Lernhilfen.

Insgesamt hat das Unternehmen derzeit 240 Auszubildende unter Vertrag – 1997 waren es noch 142. Einer von ihnen ist Dennis Jäger, 17 Jahre alt. Er stammt aus einem Nachbarort von Tuttlingen. Jäger absolviert sein zweites Ausbildungsjahr. Er bearbeitet gerade eine chirurgische Zange, mit deren Hilfe sich Schrauben im Körper von Patienten festziehen lassen. Wenn er will, kann Jäger wohl bei Aesculap in Rente gehen. „Nahezu alle Auszubildenden werden übernommen“, sagt Ausbildungsleiter Biallas.

Aesculap-Auszubildender Jäger (l.) und Facharbeiter Rutz Quelle: Deniz Saylan für WirtschaftsWoche

Selbst zwei bis drei Ingenieure bildet das Unternehmen pro Jahr aus, rekrutiert diese aber auch von außen. „Wir haben einen guten Ruf und genug Möglichkeiten, Leute zu holen“, so Biallas. „Der allseits beklagte Ingenieurmangel ist bei uns jedenfalls noch kein Thema“, sagt Personalleiter Feldhaus.

An den Hochschulen im Umkreis fahndet Biallas nach Studenten, die er für eine Beschäftigung bei Aesculap gewinnen kann. Besonders gefragt sind auch ausländische Studierende: „Wir müssen ja auch mal frischen Wind von außen reinbekommen“, sagt Biallas. Er selbst ist einer derjenigen, die nicht ihr ganzes Berufsleben bei Aesculap verbracht haben. Biallas startete bei einem Schuhfabrikanten in der Umgebung.

Viele andere Mitarbeiter und Ex-Auszubildende verbringen dagegen ihr ganzes Berufsleben bei Aesculap. Mittlerweile sind jährlich etwa 80 Jubilare zu ehren. Aus den Jubilarfeiern sind mittlerweile gesellschaftliche Ereignisse der Region geworden. Zu den Jubiläumsfeierlichkeiten erscheinen dann Bürgermeister, Landrat und – immer wieder gern – Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Kein Wunder: Tuttlingen gehört zum Wahlkreis von Kauder. Und sein Abgeordnetenbüro hat er ganz in der Nähe.

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