Microsoft-Vorstand Achim Berg Tänzer am Leichenwagen

Microsoft hat das iPhone-Zeitalter verschlafen. Jetzt soll ein Deutscher das Erbe von Bill Gates retten.

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Achim Berg ist als Leiter der Quelle: dpa

Eine Beerdigung in Redmond, ganz im Nordwesten der Vereinigten Staaten, nahe bei Seattle. Erste Herbstwolken hängen schon am Himmel, als der Leichenwagen im Schritttempo an den Trauergästen vorbeirollt. Dahinter vier Sargträger, dann ein Priester.

Ein Mann am Straßenrand trägt eine gelbe Perücke und tanzt. Sein Name ist Achim Berg.

Was vor drei Wochen am Hauptsitz von Microsoft stattfand, "das war ein Riesenspaß für uns alle", schwärmt Berg heute. Keine Trauerfeier, sondern ein Karnevalsumzug Hunderter Angestellter, verkleidet als Totengräber und Priester, Gorillas und Zombies. Symbolisch trugen sie das iPhone zu Grabe – jenes überaus erfolgreiche Smartphone, mit dem man telefonieren, navigieren und so wunderbar im Internet surfen kann, das aber dummerweise der Erzrivale Apple erfunden hat. "Microsoft begräbt die Konkurrenz", stand nun auf einem der Karnevalswagen, eine Zombie-Combo zuckelte zu Michael Jacksons Thriller die Straße entlang. Und mittendrin, bestens gelaunt: Achim Berg, der Tänzer am Leichenwagen.

Berg soll dafür sorgen, dass aus dem Spaß endlich Ernst wird. Seit vier Monaten verantwortet er das Handygeschäft von Microsoft und darf sich Corporate Vice President Mobile Communications Business and Marketing nennen. Der Titel erfordert nicht nur Visitenkarten im extralangen Sonderformat. Er signalisiert darüber hinaus, dass bei Microsoft nur wenige Menschen mehr zu sagen haben als er. Und das ist etwas ganz Besonderes.

Der größte Softwarekonzern der Welt legt sein Schicksal in die Hände eines Deutschen.

"Das wird das heftigste Quartal in der Geschichte des Mobilfunks"

Microsofts Zukunft hängt nicht mehr so sehr an den Computern auf den Schreibtischen, sondern an denen in den Jackentaschen, die inzwischen fast ebenso häufig verkauft werden. Ohne grundlegende Programme sind diese Smartphones jedoch bloß Platinen und Plastik, erst Betriebssysteme erwecken die Hightech-Spielzeuge zum Leben. Wer über die Betriebssysteme herrscht, bestimmt den Markt, lenkt die Nutzer, verdient das Geld. Apple hat längst eines, Google und Nokia auch. Jetzt kommt Microsoft, der Urahn des digitalen Zeitalters.

"Im Oktober stellen wir Phone 7 in New York vor", sagt Berg. "Das wird ein lauter Herbst, wahrscheinlich das heftigste Quartal in der Geschichte des Mobilfunks." Phone 7 ist zwar als neues Betriebssystem, aber weitaus mehr noch als Kampfansage an Google und Apple zu verstehen. Microsoft befindet sich im Angriffsmodus.

Mit seinen 46 Jahren hat Berg eine beeindruckende Karriere in der Informationstechnik vorzuweisen. Er studierte Wirtschaftsinformatik, ging zu Fujitsu und Dell und wurde mit Ende 30 Vertriebsvorstand bei T-Com, der damaligen Festnetzsparte der Deutschen Telekom. Vor drei Jahren wechselte Berg zu Microsoft, zunächst zur Deutschlandzentrale in München und jüngst zur Konzernspitze nach Redmond.

Hier sitzt er nun, mit einem Pappbecher voller Kaffee in der Hand. Das Gebäude Microsoft Commons ist eine Mischung aus Cafeteria und Kantine, gelegen an einem kleinen Platz mit Läden und Restaurants, Post und Frisör. Gleich nebenan umgeben hüfthohe Gräser einen Fußballplatz mit dunkelgrünem Kunstrasen. Microsoft hat diesen Ort nicht als Arbeitsplatz, sondern als Lebensmittelpunkt konzipiert. Man soll sich wohlfühlen, damit hier Großes entstehen kann.

Berg legt zwei neue Smartphones mit Phone 7 vor sich auf den Tisch, eines von HTC, eines ohne Markennamen, aber beide mit Touchscreen. Drei Jahre nach Apples iPhone hat nun auch Microsoft ein brauchbares Konzept für berührungsempfindliche Bildschirme entwickelt. Mit dem Finger streicht Berg über das Display, blättert durch die verschiedenen Anwendungen, die ihm als bunte Kacheln entgegenleuchten. Aufgeräumt wirkt das, elegant und reduziert auf das Wesentliche. "Phone 7 ist das wichtigste Projekt für Microsoft", sagt Berg. "Wir haben uns eineinhalb Jahre Zeit gelassen, um ein völlig neues Programm zu schreiben. Das war eine sehr mutige Entscheidung."

Mut? Gewiss. Der Mut der Verzweiflung? Vielleicht. Bei Smartphones hatte Microsoft in der Vergangenheit jedenfalls kein Glück: Das Vorläufer-Betriebssystem fiel bei den Kunden in Ungnade. Der Versuch, unter der Marke Kin zwei jugendliche Handymodelle zu etablieren, scheiterte im Frühsommer nach gerade mal drei Monaten. Es schien, als stecke der in den siebziger Jahren von Bill Gates gegründete Softwarekonzern in einer Art Midlife-Crisis. Als habe er das Tempo der Veränderung unterschätzt und wolle nun mit aller Macht zu alter Stärke zurück. Männer in so einer Situation kaufen sich gelegentlich einen Porsche, Microsoft leistet sich ein neues Betriebssystem.

"Ich versuche, etwas mehr europäische Gelassenheit mitzubringen"

"Microsoft hat sich lange auf Geschäftskunden konzentriert, aber die Zeiten ändern sich", analysiert Berg die Fehler der Vergangenheit. "Smartphones werden heute vor allem von Privatleuten gekauft. Das sind Statussymbole, die man Freunden zeigt und auf die man stolz ist."

Wenn er so redet, dann bekommt man den Eindruck, als seien bei Microsoft die Uhren stehen geblieben und jetzt käme einer, um sie wieder in Gang zu setzen. Und offenbar kann der Deutsche dem Konzern samt dessen Vorstandschef Steve Ballmer wirklich etwas beibringen. Zum Beispiel, wie man Handys verkauft. "Ich habe vor Steve Ballmer und anderen Topmanagern mal erklärt, wie man einen Consumer-Markt macht. Dass man erst die Meinungsmacher gewinnen muss, um schließlich breite Käuferschichten zu erreichen«, sagt Berg. »Das ist eigentlich kalter Kaffee, aber für viele hier war das eine echte Neuigkeit. Das hat mich selbst überrascht."

Genützt hat Berg außerdem seine Erfahrung bei der Telekom, wo er auch für die Filialen in den Innenstädten verantwortlich war. Mindestens einen Tag pro Quartal verbrachte er schon damals im Laden und lernte, welche Fragen die Kunden stellen und wie man sie beantwortet. Bergs Erkenntnis: Mobiltelefone werden an der Ladentheke verkauft, nicht am Konferenztisch der Chefetage. "Theoretisch weiß man im Hauptquartier immer alles, aber praktisch haben die wenig Ahnung", sagt er.

Also ließ Berg das Verkaufspersonal nun auf maximalen Absatz drillen. Zum Start des neuen Betriebssystems bekommt jeder Händler eine DIN-A4-Seite mit Argumenten in die Hand, falls die Kunden noch überzeugt werden müssen. Microsoft hat sogar durchgesetzt, dass ein amerikanischer Mobilfunkkonzern 150.000 Stunden Fortbildung investiert, um seine Filialmitarbeiter auf Phone 7 einzuschwören. So etwas ist nach außen unsichtbar, möglicherweise aber kriegsentscheidend.

Unübersehbar dürfte demgegenüber die mehrteilige Werbekampagne sein, die bald den Globus überziehen wird. Eine halbe Milliarde Dollar steckt Microsoft angeblich ins Marketing von Phone 7. Die Zahl will Berg nicht kommentieren, lieber betont er, dass man Dinge am besten bewege, wenn man sich nicht ständig bei seinen Vorgesetzten rückversichere. "Die Werbekampagne für Phone 7 habe ich Steve Ballmer erst gezeigt, als sie fertig war. Er fand sie toll. Wenn vorher alle mitreden wollen, wird das Ergebnis schlechter."

Am Ergebnis wird sich Berg später auch messen lassen müssen, ob er will oder nicht.

Drei Jahre lang will er hierbleiben und danach gemeinsam mit Frau und Sohn entscheiden, wie es weitergeht. Sein Hightech-Haus in Deutschland hat er vorsorglich nicht verkauft, selbst wenn er jetzt in Bellevue wohnt, dem Nachbarort von Redmond. Im alten Keller hat er einstweilen auch seine privaten Großrechner zurückgelassen. Per Datenleitung liefern sie nun Musik bis in Bergs neues Wohnzimmer am anderen Ende der Welt. Ein Stück Heimat im digitalen Zeitalter.

"Microsoft versucht, nicht mehr so amerikanisch zu sein. Und ich versuche, etwas mehr europäische Gelassenheit und Humor mitzubringen", beschreibt Berg seine neue Rolle in der Firmenzentrale. Und er wundert sich. Etwa über die Eigenart mancher Mitarbeiter, selbst dann per E-Mail miteinander zu kommunizieren, wenn sie sich im selben Raum aufhalten. Oder über die Lässigkeit in Kleiderdingen. Kein deutscher Konzernchef würde so über sein Firmengelände spazieren wie Ballmer gerade eben durch die Cafeteria im Commons-Gebäude: mit khakifarbener Schlabberhose und zwei Shirts übereinander. Microsoft ist eine Welt ohne Herrenschneider. Wer hier Anzug oder auch bloß Sakko trägt, gibt sich als Fremder zu erkennen.

Rein äußerlich ist Berg also definitiv angekommen in seiner neuen Rolle: mit Jeans und Hemd, ein smarter Kerl für smarte Telefone.

Innerlich ist das schwieriger zu sagen. Bei aller Gelassenheit wirkt Berg bisweilen gehetzt, der Erfolgsdruck muss gewaltig sein. Wenn er geht, bewegt er sich auffällig schnell, so als wolle er jemanden einholen. So wie Microsoft auch Apple und Google einholen muss?

Berg sei "die letzte Chance für Microsoft", sagt ein Manager einer Konkurrenzfirma. Sein Ziel, sagen andere, sei unerreichbar. Die renommierte Beratungsfirma Gartner beispielsweise schätzt den Marktanteil von Phone 7 in vier Jahren auf weniger als vier Prozent. Das ist praktisch nichts, und man mag sich angesichts dessen schon fragen, ob Microsoft bei der großen Begräbnisparade vor einigen Wochen auch die richtige Leiche beerdigt hat.

"Warten wir mal ab", kontert Berg zuversichtlich. "Das wäre nicht die erste Prognose, die später korrigiert werden musste." Microsoft, so lautet Bergs unausgesprochene Botschaft in diesem Herbst, will keinen Kampf verloren geben, der gerade erst beginnt. Unterschätzen solle man den Konzern aus Redmond besser nicht. Man soll das nie bei Totgesagten.

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