Milchkrise Milchpreise steigen, Grundkonflikt bleibt

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Damit nehmen sie in Kauf, weiter als David gegen Goliath dazustehen – nur dass in diesem Fall Goliath gewinnt. Denn der zersplitterten Molkereibranche steht ein konzentrierter Einzelhandel gegenüber. Mehr als 80 Prozent der deutschen Milchproduktion wird von Rewe, Edeka, Aldi, Lidl und Metro gekauft. Einzelhandelsverbands-Chef Hubertus Pellengahr rät den Produzenten: „Die Landwirte und Molkereien sollten sich zusammenschließen.“

Denn gerade bei Milchprodukten ist der Einzelhandel sensibel. Vollmilch und Butter gelten als Artikel, über deren Preis sich die Kunden ihre Supermärkte aussuchen. Und der Kunde ist gnadenlos. Nirgendwo in Europa dominieren die Billig-Discounter den Lebensmittelmarkt so stark wie in Deutschland und drücken damit das gesamte Preisniveau.

Ins Ausland ausweichen können die meisten Erzeuger nicht. International gehen sie mit ihren hohen Produktionskosten unter. Erst als im vergangenen Herbst der Weltmarktpreis auf 40 Cent schnellte, wurde deutsche Milch in Übersee attraktiv. Das allerdings war eine Sondersituation. Großexporteur Australien fiel nach einer Dürre aus, gleichzeitig stieg die Nachfrage aus China. Australien produziert aber wieder, und China erzeugt mehr Milch selbst. Solange Deutschland an seiner kostenintensiven Struktur festhält, wird es kaum mit den Agrarfabriken aus Übersee konkurrieren können. Der Kieler Landwirtschafts-Professor Uwe Latacz-Lohmann prophezeit mit Blick auf die aktuellen Preise: „Im Durchschnitt wird der Preis deutlich darunter liegen.“

Der BDM fordert nun ein Milchboard, in dem alle Milchbauern sich auf einen Preis einigen, unterhalb dessen keiner verkaufen darf. Ob diese „Milch-OPEC“ jedoch Wirklichkeit wird, ist zweifelhaft: Das Bundeskartellamt prüft bereits nach den aktuellen Boykottaktionen, ob die Landwirte sich wettbewerbswidrig abgesprochen haben. Ähnliches sagt Agrarökonom Bernhard Brümmer der Board-Idee voraus: „Durch ein Preiskartell höhere Preise durchsetzen zu wollen ist wettbewerbsrechtlich unzulässig.“

Sein Kollege Fellmann sieht das ähnlich und glaubt, die jetzige Situation werde sich verschärfen: „Wenn die Milchquote wegfällt, wird das Spiel von Angebot und Nachfrage den Preis immer wieder nach oben oder unten treiben.“ Das gilt vor allem für die Frühjahrsmonate, wenn die Kühe mehr Milch geben als im Rest des Jahres. Schon gibt es Überlegungen, sich gegen solche Schwankungen abzusichern. Milchfutures, wie es sie in Chicago bereits gibt und bei denen sich Händler schon frühzeitig Milchmengen zu einem festen Preis sichern können, wären eine Möglichkeit. Doch das ist nicht ganz einfach. Milch ist riskanter als andere Agrarprodukte, unter anderem weil sie schlecht lagerfähig ist und der Faktor Tier für eine nur schwer vorhersehbare Produktion sorgt. Zudem ist unklar, ob es solvente Kunden für solche Futures gibt.

Bleibt als Ausweg für gebeutelte Bauern der Weg in die Nische. Bio-Bauern bekommen 50 Cent für den Liter. Bei der Upländer Bauernmolkerei aus Willingen etwa kassieren die Bauern schon seit einem Jahr Preise, mit denen sie ihre Kosten decken. Dafür erfährt der Kunde auf der Packung, warum seine Milch teurer ist. Bei der Bio-Kundschaft funktioniert das. Auch konventionelle Händler wie Edeka und Lidl überlegen, neben der herkömmlichen Milch ein „fair“ gehandeltes Produkt anzubieten. Ob das die Kunden begeistert, ist offen. „Der Kunde ist schon jetzt nicht gezwungen, die billigste Milch zu kaufen“, sagt Pellengahr. Die meisten machen es dennoch.

Experten sind sich einig, wie das Problem gelöst werden könnte: „Wenn man die Kleinbetriebe wegen ihrer regionalen und ökologischen Bedeutung behalten will, soll man sie mit Direktzahlungen unterstützen“, sagt Experte Fellmann. Dass die Quote nicht alle Bauern rettet, zeigt sich ja gerade. Mit Direktzahlungen, wie die EU sie gegen deutschen Widerstand ausbauen möchte, könnten sich Kleinstbetriebe als Landschaftsgärtner oder Hüter traditioneller Viehrassen und Herstellungsverfahren für Edel-Lebensmittel ausleben, während konkurrenzfähige Anbieter wachsen könnten. So wie auf einem normalen Markt.

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