Milchkrise Milchpreise steigen, Grundkonflikt bleibt

Heute haben mehrere Supermarkt-Ketten höhere Milchpreise angekündigt. Auf den ersten Blick ist das ein klarer Sieg für die Milchbauern: Mit Boykotten und Blockaden haben sie höhere Preise durchgesetzt. Die Lösung ihrer Probleme ist damit aber nur aufgeschoben.

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Gestiegene Milchpreise: Die Quelle: dpa

Es zischt und sprüht, dann strömt feiner Schaum in die Tasse. Im Zehnsekundentakt brüht der Barista bei Woyton, einer Coffee-Shop-Kette in Düsseldorf, Latte macchiato, Milchkaffee oder Cappuccino. Milchmangel? „Wir haben genug“, sagt er und wischt sich Schweißtropfen von der Stirn. Während deutschlandweit die Landwirte ihre Milch wegschütteten, wurde Woyton weiter beliefert: Vorzugsmilch direkt vom Bauern. 84 Kühe auf einem Hof am Niederrhein geben ihre Milch für Latte to go & Co. Ab Hof gibt es den Liter der Edel-Milch für einen Euro aufwärts – keine Spur von Dumping-Preisen. Eine kleine heile Welt in einer gebeutelten Branche.

Der 22 Milliarden Euro schwere deutsche Milchmarkt birgt gewaltiges Konfliktpotenzial. Darüber kann auch die nach tagelangen Protesten erreichte jüngste Preiserhöhung nicht hinwegtäuschen – zwar bekommen die Milchbauern statt bislang im Schnitt 33 nun fünf bis zehn Cent pro Kilogramm mehr für ihre weiße Ware. Einige Supermarkt-Ketten haben die Preiserhöhung bereits an die Verbraucher weitergegeben. Doch der Grundkonflikt um das mit einem jährlichen Produktionswert von 9,7 Milliarden Euro wichtigste deutsche Agrarprodukt besteht fort. Die Preisanhebung löst das eigentliche Problem nicht, sie vertagt es nur.

Denn am Ende geht es um mehr als ein paar Cent: Es geht um die Struktur der deutschen Milchproduzenten, bei denen große Agrarfabriken gegen kleine Bauernhöfe stehen. Während viele Großbetriebe im Norden und Osten der Republik auch für unter 33 Cent gewinnbringend wirtschaften, drohen viele Kleinbetriebe unter der Kostenlast zusammenzubrechen. „Dafür kann kein Landwirt produzieren“, schimpfte Romuald Schaber, Chef des Bundesverbands Deutscher Milchbauern (BDM), und zettelte den größten Bauernaufstand der vergangenen Jahre an. Den kleinen Krautern hilft die jetzige Erhöhung der Preise zwar vorerst weiter. Doch spätestens wenn die Preise das nächste Mal neu verhandelt werden, wird sich das Gefeilsche wiederholen. Ob die Bauern sich dann wieder einen tagelangen Ausstand leisten können, ist fraglich. Denn die Gesetze des Marktes machen auch vor Milchbauern nicht halt. Dass viele von ihnen das nicht akzeptieren, verblüfft kaum. Denn bisher war Milch immer ein Sonderfall.

Politik hat jahrelang Preise beeinflußt

Milch ist ein Rohstoff, an dem viele verdienen möchten: die Landwirte, die Molkereien, die Einzelhändler. Dabei gibt es bei Frischmilch, die ein Drittel des deutschen Markts mit Milchprodukten ausmacht, oder Butter auf dem Weg von der Kuh ins Kühlregal kaum Wertschöpfung. Milch ist Milch und in Deutschland in den seltensten Fällen ein Markenartikel. Da bleibt kein Raum für kreative Preisgestaltung.

Die Politik hat über Jahrzehnte verhindert, dass die Milcherzeuger sich um Marktgesetze scheren müssen. Seit 1984 gilt in der Europäischen Union eine Quote für die Milchproduktion. Seinerzeit legten die Eurokraten fest, wie viel Milch jedes Mitgliedsland produzieren darf. Das wurde national auf einen Höchstwert pro Hof, der sich nach der Anzahl der Kühe im Jahr 1984 richtete, heruntergerechnet. Jeder Bauer darf pro Jahr nur eine Höchstmenge erzeugen. Erweitern kann er seinen Betrieb nur, wenn er einem Kollegen dessen Quote abkauft. Weil Großbetriebe so eine Wachstumsbremse haben und die Milchmenge auf dem Markt begrenzt bleibt, hält die Quote auch Kleinbetriebe am Leben. „Die Quote ist ein echtes Entwicklungshindernis“, sagt Thomas Fellmann, Agrarökonom an der Uni Hohenheim.

Milchmädchenrechnung bei der EU?

Die EU selbst hat erkannt, dass dieses System auf Dauer nicht funktioniert. Bis 2015 soll die Quote Stück für Stück entfallen. Die erste Erhöhung hat es im vergangenen Herbst gegeben. Seitdem dürfen die Landwirte über zwei Prozent mehr Milch im Jahr produzieren. Damit reagierte die EU auf die im vergangenen Herbst hohen Weltmarktpreise für Milch. Bei der damals weltweit starken Nachfrage, so das Kalkül, würden die europäischen Bauern die mehr produzierte Milch schon verkaufen können. In Wahrheit eine Milchmädchenrechnung. Denn wegen der hohen Milchpreise mieden Verbraucher und Industrie Milchprodukte. Die Nachfrage nach Milch sank um sieben Prozent, während die Produktion stieg – kein Wunder, dass die Preise in den Keller rauschten. Sogar die Molkereien selbst seien Anfang des Jahres beim Handel vorstellig geworden, um den Einkäufern mehr Milch anzudrehen, sagt ein hochrangiger Handelsmanager. Das war auch nicht dazu angetan, den Preisrutsch zu stoppen – „die ganz normalen Gesetze des Marktes“, konstatiert Agrarexperte Fellmann.

Die Bauern dagegen sprechen von Ausbeutung. Klaus Humpesch ist einer von ihnen. Mehr als eine Woche lang hat der Landwirt aus Korschenbroich bei Mönchengladbach 1700 Liter Milch täglich an seine Tiere verfüttert oder vernichtet. Dünger, Kraftfutter, Sprit – alles sei teurer geworden, klagt er, nur der Erlös für seine Milch sei immer gesunken. Bei Humpesch stehen 70 Kühe im Stall. Für deutsche Verhältnisse ist das ein großer Hof. 40 Kühe hat ein Durchschnitts-Milchbauer. Ein niederländischer Durchschnittsbetrieb ist drei- mal so groß, ein dänischer fünfmal. Gut 100.000 Milchbauern versuchen auf dem deutschen Markt zu bestehen. „Das sind zu viele“, sagt Agrarökonom Fellmann. Und so ist jede Preisrunde zwischen Industrie und Landwirtschaft auch ein Überlebenskampf für viele ineffiziente Betriebe.

Ob sie diesen auf Dauer gewinnen, ist fraglich. Zum einen produzieren die Bauern chronisch mehr, als die Quote zulässt, und verursachen damit ein Überangebot. Zum anderen verhandeln sie ihre Milchpreise mit den etwa 100 deutschen Molkereien, die die Milch für den Handel aufbereiten. Von diesen Molkereien sind fast zwei Drittel Genossenschaften, die den Bauern gehören. Jeder Verlust, den eine Genossenschaftsmolkerei aufgrund unrentablen Wirtschaftens einfährt, trifft am Ende die Landwirte selbst. Längst schon hätte sich die Branche konsolidieren können. In England etwa gibt es lediglich sieben Molkereibetreiber. In Deutschland wollen vor allem viele Genossenschaften nicht fusionieren, weil ihre Anteilseigner um Einfluss bangen.

Damit nehmen sie in Kauf, weiter als David gegen Goliath dazustehen – nur dass in diesem Fall Goliath gewinnt. Denn der zersplitterten Molkereibranche steht ein konzentrierter Einzelhandel gegenüber. Mehr als 80 Prozent der deutschen Milchproduktion wird von Rewe, Edeka, Aldi, Lidl und Metro gekauft. Einzelhandelsverbands-Chef Hubertus Pellengahr rät den Produzenten: „Die Landwirte und Molkereien sollten sich zusammenschließen.“

Denn gerade bei Milchprodukten ist der Einzelhandel sensibel. Vollmilch und Butter gelten als Artikel, über deren Preis sich die Kunden ihre Supermärkte aussuchen. Und der Kunde ist gnadenlos. Nirgendwo in Europa dominieren die Billig-Discounter den Lebensmittelmarkt so stark wie in Deutschland und drücken damit das gesamte Preisniveau.

Ins Ausland ausweichen können die meisten Erzeuger nicht. International gehen sie mit ihren hohen Produktionskosten unter. Erst als im vergangenen Herbst der Weltmarktpreis auf 40 Cent schnellte, wurde deutsche Milch in Übersee attraktiv. Das allerdings war eine Sondersituation. Großexporteur Australien fiel nach einer Dürre aus, gleichzeitig stieg die Nachfrage aus China. Australien produziert aber wieder, und China erzeugt mehr Milch selbst. Solange Deutschland an seiner kostenintensiven Struktur festhält, wird es kaum mit den Agrarfabriken aus Übersee konkurrieren können. Der Kieler Landwirtschafts-Professor Uwe Latacz-Lohmann prophezeit mit Blick auf die aktuellen Preise: „Im Durchschnitt wird der Preis deutlich darunter liegen.“

Der BDM fordert nun ein Milchboard, in dem alle Milchbauern sich auf einen Preis einigen, unterhalb dessen keiner verkaufen darf. Ob diese „Milch-OPEC“ jedoch Wirklichkeit wird, ist zweifelhaft: Das Bundeskartellamt prüft bereits nach den aktuellen Boykottaktionen, ob die Landwirte sich wettbewerbswidrig abgesprochen haben. Ähnliches sagt Agrarökonom Bernhard Brümmer der Board-Idee voraus: „Durch ein Preiskartell höhere Preise durchsetzen zu wollen ist wettbewerbsrechtlich unzulässig.“

Sein Kollege Fellmann sieht das ähnlich und glaubt, die jetzige Situation werde sich verschärfen: „Wenn die Milchquote wegfällt, wird das Spiel von Angebot und Nachfrage den Preis immer wieder nach oben oder unten treiben.“ Das gilt vor allem für die Frühjahrsmonate, wenn die Kühe mehr Milch geben als im Rest des Jahres. Schon gibt es Überlegungen, sich gegen solche Schwankungen abzusichern. Milchfutures, wie es sie in Chicago bereits gibt und bei denen sich Händler schon frühzeitig Milchmengen zu einem festen Preis sichern können, wären eine Möglichkeit. Doch das ist nicht ganz einfach. Milch ist riskanter als andere Agrarprodukte, unter anderem weil sie schlecht lagerfähig ist und der Faktor Tier für eine nur schwer vorhersehbare Produktion sorgt. Zudem ist unklar, ob es solvente Kunden für solche Futures gibt.

Bleibt als Ausweg für gebeutelte Bauern der Weg in die Nische. Bio-Bauern bekommen 50 Cent für den Liter. Bei der Upländer Bauernmolkerei aus Willingen etwa kassieren die Bauern schon seit einem Jahr Preise, mit denen sie ihre Kosten decken. Dafür erfährt der Kunde auf der Packung, warum seine Milch teurer ist. Bei der Bio-Kundschaft funktioniert das. Auch konventionelle Händler wie Edeka und Lidl überlegen, neben der herkömmlichen Milch ein „fair“ gehandeltes Produkt anzubieten. Ob das die Kunden begeistert, ist offen. „Der Kunde ist schon jetzt nicht gezwungen, die billigste Milch zu kaufen“, sagt Pellengahr. Die meisten machen es dennoch.

Experten sind sich einig, wie das Problem gelöst werden könnte: „Wenn man die Kleinbetriebe wegen ihrer regionalen und ökologischen Bedeutung behalten will, soll man sie mit Direktzahlungen unterstützen“, sagt Experte Fellmann. Dass die Quote nicht alle Bauern rettet, zeigt sich ja gerade. Mit Direktzahlungen, wie die EU sie gegen deutschen Widerstand ausbauen möchte, könnten sich Kleinstbetriebe als Landschaftsgärtner oder Hüter traditioneller Viehrassen und Herstellungsverfahren für Edel-Lebensmittel ausleben, während konkurrenzfähige Anbieter wachsen könnten. So wie auf einem normalen Markt.

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