Milliardengrab Landesbank Anatomie des BayernLB-Skandals

Jetzt wird ausgemistet: In wenigen Tagen startet der Untersuchungsausschuss zum Kauf der österreichischen Bank Hypo Group Alpe Adria durch die BayernLB. Wie getrickst wurde, woher die Verluste kommen – die Skandalchronik.

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Zwei Mitarbeiter der BayernLB Quelle: dpa

Ein eiskalter Dezemberabend in München. Im Kaminzimmer der Bayerischen Landesbank soll eigentlich ein Weihnachtsgespräch von Journalisten mit dem versammelten Vorstand stattfinden. Doch dazu kommt es nicht. Gegen 20 Uhr fahren die Limousinen der Mitglieder des Verwaltungsrats vor, des Kontrollgremiums der Bank. Im obersten Stockwerk treffen sie sich zu einer Sondersitzung. BayernLB-Chef Michael Kemmer ist am Nachmittag zurückgetreten. Finanzminister Georg Fahrenschon, der dem Verwaltungsrat vorsitzt, hastet durch das Foyer zum Aufzug.

Nach einem Verhandlungsmarathon in der Nacht zuvor hat die BayernLB ihre Anteile an der Hypo Group Alpe Adria (HGAA) für einen Euro und mit einer Mitgift von 825 Millionen Euro an den österreichischen Staat abgegeben. Nur knapp ist das Kärntner Institut am Zusammenbruch vorbeigeschrammt. Von diesem Tag an muss Fahrenschon immer wieder erklären, wie die staatseigene BayernLB bei ihrem zweieinhalb Jahre dauernden Balkanabenteuer rund 3,7 Milliarden Euro verschleudern konnte.

Offene Fragen

Bis heute hat er keine befriedigende Antwort gegeben und wohl auch selbst nicht gefunden. Seit Oktober ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Ex-Bankchef Werner Schmidt und weitere Manager. Haben sie 2007 möglicherweise wissentlich einen zu hohen Kaufpreis für die HGAA gezahlt? Warum hat bei den Kaufverhandlungen niemand gemerkt, dass viele Geschäfte der Bank mehr als riskant waren? Wie konnte ein kleines Kreditinstitut aus den Bergen die durch hohe Verluste mit spekulativen Wertpapieren ohnehin geschwächte Landesbank erneut in größte Bedrängnis bringen, die CSU in ihre schwerste politische und das Land Bayern in die tiefste finanzielle Krise der Nachkriegsgeschichte stürzen? In wenigen Tagen wird sich ein Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag formieren und versuchen, mehr Licht ins Dunkel zu bringen.

Neue Details zeigen schon jetzt, wie der Vorstand der HGAA die Bank über Jahre aufgehübscht hat, um die Wünsche der Eigentümer zu erfüllen und das Institut für einen möglichen Börsengang oder Verkauf herzurichten. Jetzt zeigt sich auch, woher die Milliardenverluste stammen, für die nun Steuerzahler in Deutschland und Österreich aufkommen. Das sagenhafte Wachstum der österreichischen Bank von zeitweise gut 40 Prozent pro Jahr stand von Anfang an auf tönernen Füßen.

Karriere einer Provinzbank

Anfang der Neunzigerjahre ist das Geschäft der 1896 als Kärntner Hypothekenbank gegründeten HGAA unauffällig. Wie andere Banken in Staatseigentum steht sie unter politischem Einfluss. Die Hypo finanziert etwa größere Tourismusprojekte wie neue Seilbahnen in dem strukturschwachen Land, bei denen sich private Banken nicht engagieren wollen.

Die Geschicke der Bank steuert seit 1992 Wolfgang Kulterer, den der damalige Landeshauptmann Christof Zernatto zur HGAA geholt hat. Kulterer ist ein ehrgeiziger wie geschmeidiger Finanzmanager, der seinen Eigentümern stets abliefert, was sie verlangen. „Er hat selten einen Wunsch abgeschlagen“, sagt ein Weggefährte. Kulterer geht auf Expansionskurs.

In Europa ist es eine Zeit politischer Umbrüche. 1995 geht der Jugoslawienkrieg zu Ende. Als direkter Anrainer hat sich die Kärntner Regierung stark für die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens eingesetzt. Als eine der ersten Banken wagt sich die Hypo Alpe in die neuen Staaten.

Die Wünsche an die HGAA werden größer, als Jörg Haider 1999 Regierungschef in Kärnten wird. Der FPÖ-Politiker will seine Landeskinder mit Renommierprojekten bei Laune halten. Wirtschaftlich bis ins Letzte durchgerechnet sind die oft nicht, die HGAA finanziert sie trotzdem.

Zu ihnen gehört die Wörtherseebühne, auf der Haider musikalische Festspiele etablieren will. Das Projekt leidet von Beginn an unter Intendantenwechseln und wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die HGAA finanziert auch das Schlosshotel Velden, das zu einer ebenso luxuriösen wie unausgebuchten Edelherberge aufgerüstet wird, die Jahr für Jahr Millionenverluste macht. Auch als Wahlkampffinanzierer für die Kärntner Parteien hält die Bank her. Gleichzeitig spielt Haider den sozialen Wohltäter. So führt er den „Teuerungsausgleich“ ein, bei dem er Bedürftigen einen 100-Euro-Schein in die Hand drückt.

Um die Rolle des Förderers spielen zu können, muss die HGAA wachsen. Da der österreichische Markt nicht viel hergibt, geht das nur im Ausland: Anvisiert wird Südosteuropa, vor allem auch Kroatien.

Kulterer schickt eine junge Truppe los, die das junge, wilde Land erobern soll. Regeln und Infrastruktur sind kaum vorhanden. Der Krieg hat die Touristen vertrieben, die Grundstückspreise sind überall im Keller. Es gibt jede Menge Chancen, wenn man entschlossen und skrupellos ist und die nötigen Kontakte besitzt.

„Wir waren sehr aggressiv unterwegs“, sagt ein ehemaliger HGAA-Banker. „Sicher macht man dann auch mal Geschäfte, die man im Nachhinein besser nicht gemacht hätte.“ Es ist ein Geben und Nehmen: Viele die der Hypo mit Kontakten helfen, werden von ihr auch geschäftlich unterstützt.

Das Geschäft lohnt sich zunächst: Die Grundstückspreise etwa an der istrischen Küste vervielfachen sich binnen weniger Jahre. Die HGAA bläht sich immer mehr auf. Von 1992 bis 2007 steigt ihre Bilanzsumme von 2 auf fast 38 Milliarden Euro. In Ex-Jugoslawien arbeiten 2007 mit mehr als 5000 Angestellten fast fünfmal so viele Menschen für sie wie in Österreich.

Tricks und Skandale

Viele Banken machen in dieser Zeit in Osteuropa Geschäfte, die nach westeuropäischen Maßstäben dubios sind. Kein anderer Name taucht jedoch öfter auf als der der Hypo Alpe. Schon früh gibt es in den Medien Berichte über Geldwäsche. Zudem wird die Bank verdächtigt, einflussreichen Politikern, Exgenerälen und Geschäftsleuten dabei behilflich gewesen zu sein, für den Wiederaufbau Kroatiens bestimmte Gelder auf private Konten gelenkt zu haben.

Die interne Überwachung hält mit dem Wachstum nicht Schritt. 2007 attestieren die Prüfer der Österreichischen Nationalbank der Bank eine „Negierung der Kontrollinstrumente, insbesondere in der Institution des Risikomanagements“. Laut Prüfbericht vergibt die Bank Kredite an gute Kunden auch mal ohne Sicherheitsdokumente.

Die Prüfer liefern noch weitere Einblicke in das wilde Treiben: Zum Teil konnten sie die Eigentums- und Kontrollverhältnisse von Gesellschaften gar nicht klären. Solche Gesellschaften stellten ein „aus Geldwäschereisicht nicht abzuschätzendes Gefahrenpotenzial“ dar. Zudem stießen sie auf HGAA-finanzierte Gesellschaften, bei denen Käufer und Verkäufer dieselbe Person waren.

Bei den Grundstücksgeschäften gibt es noch weitere Merkwürdigkeiten. So werden manche Naturschutzgebiete direkt nach dem Kauf zu Bauland umgewidmet. Die HGAA gibt Kredite für riesige Hotelprojekte und Einkaufszentren, mitunter von zweifelhaften Investoren ohne Erfahrung. Sie steigt ins Leasinggeschäft ein, finanziert Yachten, Autos und Flugzeuge. Viele Geschäfte sind offenbar Luftbuchungen, so gelten etwa 400 Yachten als vermisst.

Bald fehlt der Bank das nötige Kapital, um ihr Wachstumstempo zu halten. Deshalb schöpfen ihre Manager offenbar alle möglichen Tricks aus, um die wahre Lage zu verschleiern und zu beschönigen.

So vergibt die österreichische Holding-Mutter Kredite direkt an ihre kroatischen Kunden und lässt sich für diese dann wieder Garantien von der kroatischen BankTochter geben. Dieses von der österreichischen Nationalbank gerügte Verhalten spart Eigenkapital. Zu diesem Zeitpunkt müssen Banken in Kroatien einen bestimmten Prozentsatz Kapital bei der Zentralbank hinterlegen, um Kredite vergeben zu dürfen. Für Garantien gilt das nicht.

In die gleiche Richtung weist ein Bericht, den die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young im Auftrag der BayernLB vor dem Kauf 2007 über die Kärntner Bank erstellen. Sie finden heraus, dass unter dem Etikett Leasing an den Auslandsstandorten viele klassische Immobilienfinanzierungen laufen. Dabei handelt es sich laut Ernst & Young „um Bau- und Projektfinanzierungen“. Die zugehörigen Verträge seien jedoch Leasingverträge.

Als Motiv für das seltsame Manöver nennen die Prüfer „die sehr restriktiven Eigenmittelvorschriften in Südosteuropa“. Für eine klassische Finanzierung muss die Tochtergesellschaft mehr Eigenkapital haben. Weiterer möglicher Vorteil: In Ländern außerhalb der EU unterliegen Leasinggeschäfte nicht der Finanzaufsicht und müssen deshalb weniger transparent sein.

Zudem gibt es Indizien dafür, dass die Bankzentrale in Klagenfurt ihre Eigenkapitalausstattung über komplizierte Transaktionen mit ihren ausländischen Tochtergesellschaften schönte. Scheinbar hat sie dazu ein undurchsichtiges System gegenseitiger Überweisungen, Kreditvergaben und vorzeitiger Rückzahlungen etabliert.

Aus Dokumenten, die der WirtschaftsWoche übersetzt in Auszügen vorliegen, geht hervor, dass etwa die HGAA-Tochter Slavonska Banka in der kroatischen Region Slawonien seit 2001 mehrmals hohe zweistellige Millionenbeträge auf ein Devisenkonto der Mutter zahlt. Laut Vertrag sollen diese dort sieben Jahre bleiben. Das Geld darf laut Vertrag nur vorzeitig zurückgezahlt werden, wenn dafür Anteile im Rahmen einer Kapitalerhöhung der Tochter erworben werden. Das geschieht schon wenig später. Das spricht dafür, dass die Kapitalerhöhung letztlich nur fiktiv stattgefunden hat, weil dafür Mittel der Tochterbank verwendet werden.

"Unerlaubte Generierung von Eigenkapital"

Abgewickelt werden diese Transaktionen über ein HGAA-Konto bei der BayernLB mit der Nummer 8196xxxx (der Redaktion bekannt). In Finanzkreisen heißt es, dass auch die BayernLB von den Geschäften profitiert haben könnte. Die Banken wollen sich unter Hinweis auf das Bankgeheimnis nicht äußern.

In einem Gutachten, das der WirtschaftsWoche in Auszügen vorliegt, kritisieren Inspektoren des kroatischen Finanzministeriums die Praxis. Sie könne bei einer ernsten Krise die Liquidität der Tochterbanken gefährden und dramatische Folgen für die Bankenlandschaft haben.

Wegen einer anderen Konstruktion zur Gewinnung zusätzlicher Mittel wird in Liechtenstein ermittelt. Laut Medienberichten soll die HGAA hier Kapitalerhöhungen mithilfe von Gesellschaften, deren Hintermänner unbekannt waren, durchgeführt und diese selbst mit Krediten finanziert haben. Die liechtensteinische Finanzaufsicht will den genauen Hergang nicht bestätigen, erklärt auf Anfrage aber, dass es sich „aus unserer Sicht dabei um eine unerlaubte Generierung von Eigenkapital innerhalb der Gruppe handelte“.

Flucht nach vorn nach Millionen-Verlust

2006 kommt es zum Knall. Die HGAA wollte 2004 in das Geschäft mit Währungsabsicherungen einsteigen und verlor mehr als 300 Millionen Euro. Die wollte Vorstandschef Kulterer nicht sofort verbuchen, sondern über zehn Jahre strecken. Der zuständige Wirtschaftsprüfer lehnt das jedoch 2006 ab, die Jahresabschlüsse müssen neu erstellt werden. Gegen Kulterer wird von nun an wegen Bilanzmanipulation ermittelt.

Auf die Verluste reagiert er mit einer Flucht nach vorn und zieht das Expansionstempo nochmal an. Die Bank finanziert mit jeweils deutlich mehr als 100 Millionen Euro Hotelprojekte in Kroatien, deren Eigentümer mitunter ihr nahestehende Gesellschaften sind. Geld aus einer geplanten Kapitalerhöhung will sie in den Aufbau von Töchtern in Rumänien, Bulgarien und Mazedonien stecken.

In Deutschland steigt die HGAA beim Snow Fun Park ein, einer künstlichen Wintersportwelt in Mecklenburg-Vorpommern. Sogar das versuchte Comeback des pleitegegangenen Unternehmerwunderkindes Lars Windhorst begleitet sie und kauft in seinem Auftrag Aktien des Altenheimbetreibers Curanum und des Handyzulieferers Balda.

Intern ist die Bank längst ins Trudeln geraten. „Jeder merkte, dass etwas nicht stimmte“, sagt ein ehemaliger HGAA-Top-Manager. „Es wurde nicht mehr an einem Strang gezogen, und es gab keine klare Strategie mehr.“ Kulterer tritt schließlich zurück. Kurioserweise übernimmt er sogleich den Aufsichtsratsvorsitz, wofür eigens die Satzung der HGAA geändert werden muss.

In Wien und Klagenfurt beschäftigen sich 2006 und 2007 zwei Untersuchungsausschüsse mit der HGAA. Dabei scheint das Interesse an einer lückenlosen Aufklärung begrenzt. So leidet der Wiener Ausschuss darunter, dass insgesamt 16 geladene Zeugen gar nicht erscheinen. Sie erklären sich aus unterschiedlichsten Gründen für unpässlich, notfalls auch mehrmals.

In neuen Händen

2006 scheitert die geplante Kapitalerhöhung der HGAA, weil das Investoreninteresse zu gering ist. Mit Tilo Berlin tritt Ende des Jahres überraschend ein Investor auf den Plan, der 125 Millionen Euro frisches Kapital mitbringt und sich damit knapp fünf Prozent der HGAA sichert. Das Geld stammt von einer eigens gegründeten Gesellschaft in Luxemburg, in die deutsche und österreichische Unternehmer, vor allem aber Hedgefonds und institutionelle Investoren eingezahlt haben. Berlin und einige Investoren erklären heute, dass sie das Ziel eines Börsengangs verfolgten. Einige Insider bezweifeln indes, dass dies wirklich eine realistische Option war.

Berlin ist in Österreich bestens verdrahtet. Er und Haider kennen sich seit Jahren gut, wie ein Weggefährte Berlins bestätigt. Auf dem Ulrichsberg in Kärnten, der Berlins angeheirateter Familie gehört, findet jährlich ein umstrittenes Treffen zur Erinnerung an Gefallene des Zweiten Weltkriegs statt. So hat Haider dort versammelte ehemalige Angehörige der Waffen-SS als „Männer mit Grundsätzen“ gelobt.

Deutsche Schlafmützen

Als Vermögensverwalter hat Berlin gute Kontakte in wohlhabende Kreise aufgebaut. Den Chef der BayernLB, Schmidt, kennt er aus der gemeinsamen Zeit bei der LBBW. HGAA-Aufsichtsratschef Kulterer und Schmidt sind ebenfalls alte Bekannte. Schmidt hatte schon 2001 – nach seinem Ausscheiden als Chef der Landesbank Baden-Württemberg und vor seinem Start bei der BayernLB – der HGAA als Berater zur Seite gestanden. Anlass der auf drei Monate angelegten, aber nach zwei Wochen wegen des Wechsels zur BayernLB beendeten Beratung war nach Angaben von Schmidts Anwalt „die Einführung der sogenannten Marktzinsmethode“, eines Verfahrens zur Identifikation von Erfolgsquellen in der Bankkalkulation.

Mehrere ehemalige Weggefährten Kulterers berichten von einem seit dieser Zeit guten persönlichen Verhältnis, was Schmidts und Kulterers Anwälte dementieren. So soll Kulterer Schmidt beraten haben, als dieser 2002 den Kauf der Rijeka Banka rückabwickeln musste. Die kroatische Tochter der BayernLB war in eine finanzielle Schieflage geratenen und geht schließlich für einen Euro an den kroatischen Staat. Kulterer erklärt, dass er und Schmidt 2002 im Zusammenhang mit dem Verkauf telefoniert hätten, allerdings einen Tag vor der Entscheidung, sodass keine Beratung stattgefunden haben könne.

Ob und wie persönliche Nähe die kommenden Ereignisse beeinflusst hat, ist bis heute unklar. Jedenfalls tritt im Februar 2007 plötzlich die BayernLB als Interessentin für die HGAA auf den Plan. Für Schmidt ist das die vermeintlich letzte Chance zum Befreiungsschlag. In Deutschland wird über fehlende Geschäftsmodelle und Fusionen der Landesbanken diskutiert, auch über einen Zusammenschluss der BayernLB mit der LBBW. Die Münchner Bank wäre hier nur Juniorpartner.

Schmidt hat die Rückendeckung der Politik. 2005 wurde die HypoVereinsbank von der italienischen UniCredit übernommen. Würde auch die BayernLB als eigenständiges Institut wegfallen, hätte München stark an Bedeutung eingebüßt. Die österreichischen Banken gelten zu dieser Zeit wegen der oft zweistelligen Wachstumsraten ihrer Osteuropaaktivitäten als kluge Pioniere, die deutschen dagegen als Schlafmützen, die eine Goldgrube übersehen haben. Schmidt will keine Schlafmütze mehr sein. Dass viele Geschäfte auf sehr positiven Wachstumsszenarien basieren und die Kreditvergabe oft unprofessionell ist, will niemand wissen.

Rein formal folgt nun ein normaler Verkaufsprozess. Die Investmentbanken Rothschild und Credit Suisse, Wirtschaftsprüfer und Anwaltskanzleien werden beauftragt. Die Verhandlungen laufen ungewöhnlich schnell. Ein Thema scheint im Frühjahr 2007 trotz bedrohlicher Signale vom US-Immobilienmarkt dabei ganz weit weg. „Mit einer möglichen Finanzkrise haben wir uns überhaupt nicht beschäftigt“, sagt einer, der dabei gewesen ist. Wie mehrere Verhandlungsteilnehmer bestätigen, ist allerdings bereits klar, dass die HGAA eine neue Kapitalerhöhung braucht, weil ihre Reserven wieder knapp geworden sind.

Am 22. Mai 2007 wird in Klagenfurt gefeiert. Von einer „einmaligen Win-win-Situation“ und „großem Potenzial in wesentlichen Zukunftsmärkten“ schwadroniert Schmidt bei der Präsentation des Kaufvertrags, mit dem die Münchner für rund 1,6 Milliarden Euro die Mehrheit an der HGAA übernehmen. Verkäufer sind das Land Kärnten und Berlin. Der hatte seinen Anteil nochmals aufgestockt, wobei ihm auch die BayernLB mit einem Kredit über 300 Millionen Euro half.

Haider lobt die „Freunde aus Bayern“. Ministerpräsident Edmund Stoiber gratuliert zum „guten Signal für den Finanzplatz Bayern“. Kulterer spricht später gar von einem „Geschenk Gottes“.

Kurzfristig Ärger macht die kroatische Nationalbank. Sie will die Übernahme nach den schlechten Erfahrungen mit der Rijeka Banka nicht genehmigen. Außerdem verlangt sie eine Änderung der Geschäftspraktiken in Kroatien. Stoiber persönlich interveniert beim damaligen kroatischen Regierungschef Ivo Sanader. Die BayernLB verpflichtet sich, die örtliche -Hypo mit mehr Kapital auszustatten.

Zweifel bleiben

Viele Merkwürdigkeiten des Kaufs fallen erst später auf. So wird offenbar, wie stark die Verkäuferseite um Haider die Bayern unter Zeitdruck setzt, indem sie plötzlich angebliche weitere Interessenten ins Spiel bringt. Ein denkbarer Grund: Der kritische Prüfbericht der Nationalbank wird drei Tage nach dem Kauf fertig.

Zu einem auf den ersten Blick vernichtenden Urteil kommt später ein Bericht der vom bayrischen Finanzministerium engagierten Wirtschaftsprüferin Corinna Linner. „Die Zeit scheint für umfangreiche Analysen knapp“, „potenzielle Synergieeffekte werden nicht genannt“, „...verbleiben Unsicherheiten bei der Bewertung des Kredit- und Wertpapierportfolios“ — die Mängelliste ist lang.

Zusätzlich kritisiert Linner den Kaufpreis. Rothschild und die BayernLB haben den Wert der gesamten HGAA mit knapp 2,8 Milliarden Euro angesetzt. Die Verkäufer gehen von 3,6 Milliarden aus. Nach dem Gutachten hätte die BayernLB nach den Verhandlungen ihr ursprüngliches Angebot von 1,6 Milliarden für den 50-Prozent-Anteil um 100 Millionen reduzieren müssen. Sie zahlt aber 25 Millionen drauf.

Nach einer Sitzung des Verwaltungsrats der BayernLB im Mai 2009 revidiert Linner die Aussagen. Auf einmal soll nun alles in Ordnung gewesen sein. Vor einem Ausschuss des Bayerischen Landtags erklärt sie den Meinungsumschwung so: „Wenn Sie in einer solchen Sitzung sind, und diese ehrenwerten Herren erklären Ihnen, was sie alles getan haben — soll ich dann davon ausgehen, dass ich belogen worden bin? Das darf ich nicht.“

Zweifel bleiben. „Die Prüfung der Risiken entsprach den gängigen Standards“, sagt ein Verhandlungsteilnehmer. „Aber warum die BayernLB einen derart hohen Preis zahlte, wird sie gut begründen müssen.“ Zudem verzichten die Münchner weitgehend auf ihre Rechte, den Vertrag nachzuverhandeln. „Es war natürlich in unserem Interesse, dass wir keine weiteren Risiken tragen müssen, und diesem Wunsch hat die BayernLB entsprochen“, sagt dazu lapidar Josef Martinz, Chef der Kärntner ÖVP.

Selbst wenn die Bayern die HGAA Klagenfurt ausreichend geprüft haben, ist zweifelhaft, ob dies auch für die Tochtergesellschaften gilt. „Eine gründliche Prüfung des Geschäfts in Kroatien gab es wohl nicht“, sagt ein Ex-HGAA-Manager. Ein von der BayernLB bei einer Sicherheitsfirma in Auftrag gegebenes Gutachten zur Lage in Kroatien wird jedenfalls erst nach der Übernahme fertig.

Auf dem Weg ins Desaster

Nach der Übernahme will die BayernLB bei ihrer neuen Tochter aufräumen. Der Liechtensteiner Ableger wird zugemacht, die besonders umstrittenen Geschäfte der Consultants-Tochter in Kroatien werden an einen nicht veröffentlichten Abnehmer verkauft. Der von der BayernLB installierte Risikovorstand Andreas Dörrhöfer baut ein neues System zur Kreditkontrolle auf.

In den Aufsichtsratssitzungen der HGAA tritt Schmidt äußerst dominant auf, wie ein Teilnehmer berichtet. „Aber man hatte manchmal den Eindruck, dass die neuen Mehrheitseigentümer dachten, das Geschäft in Osteuropa laufe wie von selbst“, sagt einer, der dabei war. Einige riskante Projekte wie etwa der Markteintritt in Rumänien werden nicht gestoppt. Zudem verlassen viele Mitarbeiter die Bank.

Der Fokus der bayrischen Bankführung liegt bald ganz woanders. Ihr riesiger Wertpapierbestand verliert durch die weltweite Finanzkrise dramatisch an Wert. Anfang 2008 muss Schmidt nach dem Bekanntwerden von Milliardenverlusten zurücktreten. Später im Jahr rettet Bayern seine Landesbank mit einer Zehn-Milliarden-Euro-Kapitalspritze vor dem Kollaps.

Schmidt wird nach seinem Abgang prompt von Berlin als Berater für die HGAA engagiert. Inzwischen untersucht die Staatsanwaltschaft München das Beratungsverhältnis.

Bei der Hypo läuft es immer schlechter. Die hohen Verluste erklärt Berlin, der die Bank seit der Übernahme leitet, mehrmals damit, dass er nun reinen Tisch gemacht habe. Doch das bleibt ein frommer Wunsch. Berlin gibt schließlich im April 2009 seinen Posten auf. Die BayernLB muss die HGAA bei mehreren Kapitalerhöhungen mit mehr als einer Milliarde Euro stützen und erhöht ihren Anteil so auf rund 67 Prozent. Außerdem bekommt die HGAA 900 Millionen Euro aus dem Rettungspaket des österreichischen Staates.

Die Münchner erarbeiten zu dieser Zeit ein Restrukturierungsprogramm mit dem passenden Namen Herkules. Der griechische Göttersohn musste als eine von zwölf Aufgaben den Stall des Königs Augias ausmisten. Fernziel des Programms ist der Verkauf oder Börsengang der HGAA.

"Verkraftbare Verluste"

Noch im September 2009 geht ein BayernLB-Vorstand im vertraulichen Gespräch von „verkraftbaren Verlusten im niedrigen dreistelligen Millionenbereich“ bei der HGAA aus. Doch im Dezember liegt der Kapitalbedarf auf einmal bei deutlich mehr als einer Milliarde Euro. Die Spirale nach unten dreht sich schneller und schneller.

Der Snow Fun Park schließt nach gut einem Jahr. Bei Lars Windhorst versenkt die Hypo Alpe rund zehn Millionen Euro, weil der die georderten Aktien nicht abnimmt. Auch die Wörtherseebühne geht pleite. In der Wirtschaftskrise kippen viele ohnehin fragwürdige Projekte wie Dominosteine.

Dramatisch ist die Lage in Kroatien. Für viele Projekte gibt es keine Anschlussfinanzierung, Investoren springen ab, das Bonitäts-Rating von Kreditnehmern verschlechtert sich. Da zudem die Grundstückspreise fallen, sind die Sicherheiten für die Kredite deutlich weniger wert. Die Abschreibungen werden höher und höher. Für die Bayern geht es schließlich nur noch darum, die angebliche Perle HGAA schnell loszuwerden.

Gewinner und Verlierer

Das Hypo-Debakel hat viele Verlierer und wenige Gewinner produziert. Berlins Investoren können sich über die schöne Rendite aus dem Verkauf ihrer Anteile freuen. Auch das Land Kärnten hat bei dem Deal einen guten Schnitt gemacht. Zwar musste es bei der Verstaatlichung noch einmal Geld nachschießen, gut 500 Millionen Euro bleiben nach heutigem Stand aber übrig.

Größter Verlierer ist bisher der bayrische Steuerzahler mit 3,7 Milliarden Euro. Die finanziellen Auswirkungen auf Österreich sind noch nicht klar. Offen ist, was langfristig mit der HGAA geschieht. Eine geordnete Abwicklung scheint, wie aus österreichischen Politikkreisen zu erfahren ist, die wahrscheinlichste Option.

Neben Kemmer musste auch Siegfried Naser zurücktreten. Der langjährige Präsident des bayrischen Sparkassenverbandes war zum Kaufzeitpunkt Mitglied des BayernLB-Verwaltungsrats. Die deutsche Staatsanwaltschaft ermittelt wegen verschiedener Delikte. Ob es zu einer Anklage kommt, ist unklar. Zusätzlich prüfte eine Kanzlei Schadensersatzansprüche.

Neuer Vorstandsvorsitzender bei der BayernLB und damit auch Chefausmister wird am 15. April der ehemalige Dresdner-Bank-Manager Gerd Häusler. Als Mitglied des Verwaltungsrats der BayernLB war er an den jüngsten Verhandlungen mit Österreich beteiligt und hat dabei offenbar vor allem auf Fahrenschon Eindruck gemacht.

Häusler muss nun einen weiteren Imageschaden fürchten, sollte es zum Prozess gegen seine Vorgänger kommen. Er muss sich um den immer noch riesigen Bestand ausfallgefährdeter Wertpapiere kümmern und mit einer wachsenden Zahl von Firmenpleiten und platzenden Krediten rechnen. Er muss die Interessen der Bank in Brüssel vertreten: Dort läuft ein Verfahren um die Zulässigkeit der Beihilfen des Freistaats, an dessen Ende der BayernLB harte Auflagen bevorstehen. Er muss die Bank voraussichtlich irgendwann in eine Fusion mit einer anderen Landesbank steuern. Und er muss die durch Sparrunden und Skandale demotivierten Mitarbeiter wieder auf Trab bringen.

Der Mann ist um seinen Job nicht zu beneiden.

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