
Die E-Mail, die in den Postfächern der Aufsichtsräte aufploppte, war denkbar knapp gehalten. Unter dem schlichten Tagesordnungspunkt „Vorstandspersonalien“ wurden die 16 Empfänger gebeten, sich zwei Tage später um Punkt 13 Uhr zur außerordentlichen Sitzung in der Zentrale des Haniel-Konzerns in Duisburg-Ruhrort einzufinden.
Fast alle kamen. Lediglich Baron Wolf von Buchholtz, Haniel-Abkömmling und im bürgerlichen Leben Inhaber eines Sägewerks in Argentinien, ließ sich entschuldigen. Er hatte sein Votum schriftlich hinterlegt. Keine Stunde verging, da verkündete Franz Markus Haniel, Oberhaupt des verzweigten Eigentümer-Clans, hinter verschlossenen Türen die einstimmige Entscheidung: Jürgen Kluge werde neuer Vorstandschef von Haniel. Gut drei Monate später, im Januar dieses Jahres, trat der Auserwählte den Posten an.
Nun, beim jährlichen Familientreffen der Ruhrdynastie am 24. April und der Bilanzpräsentation zwei Tage später, wird Kluge Details seiner neuen Strategie vorstellen. Die Richtung steht fest: Kluge will die Schulden drastisch senken – bis zum Sommer um mindestens 500 Millionen Euro. Zugleich plant er, das milliardenschwere Firmenreich neu auszubalancieren, um Haniel wieder handlungsfähiger zu machen.
Dividende steigern
Die vielleicht wichtigste Mission Kluges, der früher das Deutschland-Geschäft der Beratung McKinsey leitete, ist aber eine andere. Er muss wieder Ruhe in den 620-köpfigen Clan der Haniel-Familiengesellschafter bringen – sprich: die Dividende steigern. Andernfalls droht offene Rebellion.
Damit plant der 56-jährige Exunternehmensberater einen Befreiungsschlag für das über 250 Jahre alte Konglomerat, der alles andere als trivial ist. Haniel ächzt unter einer immensen Schuldenlast. Zuletzt wies der Konzern Verbindlichkeiten über mehr als fünf Milliarden Euro aus – bei einem Umsatz von 26,4 Milliarden Euro (ohne Metro-Beteiligung). Doch zugleich lauert im Haniel-Portfolio ein gewaltiges Klumpenrisiko. Fast 80 Prozent des Haniel-Beteiligungsbesitzes sind auf zwei Unternehmen konzentriert: den Pharmagroßhändler Celesio und die Beteiligung am Düsseldorfer Handelskonzern Metro (siehe Grafik auf der nächsten Seite).
Die beiden Beteiligungen aber entwickelten sich jüngst zum Problem. Bei Metro hat Haniel zu teuer Anteile zugekauft; bei Celesio lahmt das Apothekengeschäft. Längst verortet die Ratingagentur Moody’s die Bontität von Haniel auf dem Niveau von Ramschanleihen.
All das passt so gar nicht zum Image der traditionsumwölkten Revierdynastie. Kriege, Inflation und Hungersnöte hat die Händlerfamilie überstanden und über den Zeitenlauf hinweg ihr Vermögen gemehrt. Ein altes, weiß getünchtes Haniel-Packhaus am Konzernsitz in Duisburg-Ruhrort wurde eigens zum Museum umdekoriert. Von hier aus ließ Franz Haniel einst seine Rheinschiffe beladen.