Anti-Terror-Training Mittelständler mit Kalaschnikow

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Terrorübung und Theorie

Anwalt Stein fühlt sich in dem Theorieblock nun sichtlich wohler als in der Terrorübung. Stein stellt viele Fragen. Wie lange man in einer bedrohten Unternehmenszentrale auf Hilfe warten, wann man die Flucht ergreifen soll: „Ich berate unter anderem Mandanten mit Afrika-Aktivitäten. Wenn man über die Risiken in diesen Ländern Bescheid weiß, beginnt man, solche Geschäfte ganz anders zu planen.“

Seminarleiter Hartmann wuchtet nun eine Kalaschnikow auf den Tisch. „Es wurden sieben Millionen Sturmgewehre G3 verkauft, zehn Millionen Uzi-Maschinenpistolen, aber von diesem Ding hier“, Hartmann streichelt über den Lauf des russischen Sturmgewehrs, „sind 100 Millionen vom Stapel gelaufen.“ Wer in einen bewaffneten Konflikt komme, werde es „mit diesem Ding zu tun haben. Und deshalb bauen wir das jetzt auseinander.“

Hartmanns Autorität ist unbestritten. Er hat viele Jahre in der israelischen Armee gedient, arbeitete im Staatsdienst und in der Sicherheitsindustrie. Neben den Seminaren für Unternehmer ist er auch als Antiterror- und Sicherheitsberater in Afrika unterwegs. Sein Kompagnon Dreger arbeitete viele Jahre für IBM, wo er in den Neunzigerjahren den Geschäftsbereich Mittelstand in Russland verantwortete. Russland war unsicher damals, also spezialisierte er sich auf das Thema. In Kooperation mit der Unternehmensberatung KDM Sicherheitsconsulting in Frankfurt verfolgen Hartmann und Dreger ein umfassendes Sicherheitsangebot für Unternehmen.

Hartmann drückt einem der Teilnehmer nun die wuchtige Kalaschnikow in die Hand. Er zeigt ihm, wie man die Abdeckung von der zivilen, halbautomatischen Variante abmontiert, wie der Federzug herausgeht, wie man den Verschlusskopf entfernt. „Erst wenn der ausgebaut ist, ist die Kalaschnikow unschädlich gemacht“, sagt Hartmann. Dem Teilnehmer laufen Schweißperlen über die Stirn. Mit Waffen habe er eigentlich nichts zu tun. Er steuert für ein privates Unternehmen Drohnen. Die kontrollieren zum Beispiel Erdölpipelines in Libyen. Für den Fall, dass bewaffnete Truppen oder Banditen vor seinem Monitor auftauchen, möchte er vorbereitet sein und wissen, was er den Kollegen vor Ort raten soll. 

Den Feind lesen können

Im Bunker startet nun eine neue Unterrichtseinheit. Das Thema: taktische Feindanalyse. Ausbilder Hartmann fragt in die Runde: „Gibt es in einem Bürgerkriegsgebiet einen Staat, mit dem ihr Verträge machen könnt?“ Stein ist ganz in seinem Thema und antwortet: „Natürlich. Man bekommt für alles Verträge.“ Hartmann: „So ist es. In all diesen Ländern gibt es staatliche Einrichtungen. Aber es gibt sie nur virtuell. Vor Ort habt ihr es dann aber mit Warlords zu tun, bei denen diese Papiere nichts mehr gelten.“ Wer in einem Krisenstaat das Sagen hat, merkt man meist, wenn die Sonne untergeht, sagt Hartmann. Denn: „Wer die Nacht kontrolliert, der kontrolliert die Menschen.“ 

Es ist später Nachmittag, auf das Trainingscenter brennt erbarmungslos die Sonne. Die Teilnehmer stehen im Hof vor dem Bunker und schlagen sich gegenseitig Waffen aus der Hand. Hartmann zeigt ihnen, wie man Messerattacken abwehrt und was man tun muss, wenn der Gegner plötzlich eine Pistole zieht. Die Schweißflecken auf den Hemden und T-Shirts der Männer wachsen minütlich. Nach einer Stunde haben fast alle kleinere Schrammen und Blutergüsse an Armen und Händen. Nun sollen die Teilnehmer lernen, wie sich Krieg anhört. Hartmann nimmt die Kalaschnikow und leitet die Gruppe zum Schießstand.

In einem schmalen, langen Raum stehen zwei Ziele vor der Wand. Auf der anderen Seite die Geschäftsleute, die meisten sichtlich nervös. Jeder von ihnen soll nun mit der Kalaschnikow schießen. Scharf. Hartmann drückt jedem von ihnen ein sichelförmiges Magazin in die Hand. Dazu gibt er je fünf Patronen aus, Kaliber 7,62 mal 39. 

Keiner spricht. Mit Schweißfingern drückt Anwalt Stein die Patronen ins Magazin. Hartmann holt Stein nach vorne, beobachtet, wie der das Magazin einsetzt. „Entsichern und durchladen“, sagt Hartmann. Der Verschluss der Sicherung klickt, Stein hält die Waffe auf das Ziel. Er schiebt den Verschluss zu sich. Mit Krach fährt er zurück. „Und Schuss!“ Fünf Mal donnert die Waffe. Fünf Mal zucken die Teilnehmer zusammen. Drei Einschusslöcher bleiben auf der Zielscheibe sichtbar. Die restlichen Kugeln treffen in den Kugelfang. „Gut gemacht“, lobt Hartmann.

Im Bunker sammeln sich die Teilnehmer zur Abschlussbesprechung. Eine Mischung aus Euphorie und Erschöpfung macht sich breit. Dreger sagt: „Ihr habt jetzt gehört, wie laut so eine Waffe ist. Wenn ihr das noch einmal hört, dann rennt oder kämpft. Aber bleibt nicht wie angewurzelt stehen.“

Über dem Trainingsgelände wird es langsam Abend. Krempel hat seinen Block eingepackt, die Vortragenden kommen zum Ende. Weil Hartmann niemanden mit falschen Hoffnungen gehen lassen will, hat er noch einen ganz speziellen Rat für sie parat: „Unter Beschuss oder in einem Nahkampf werdet ihr als Ungeübte ziemlich sicher verletzt werden“, sagt er. „Wenn ihr heute aufgepasst habt und die Übungen öfter wiederholt, schafft ihr es aber zumindest in die Notaufnahme – und endet nicht im Leichenschauhaus.“

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