Aufbruch in neue Gewässer Ein Rettungsanker für die Meyer Werft?

In der Meyer Werft im Emsland wird an einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet Quelle: dpa

Die Meyer Werft will mit grünen Megayachten einen Rettungsversuch aus der sinkenden Kreuzfahrtindustrie wagen. Den Umschwung hat das Unternehmen bitter nötig – 22.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.

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Kino mit angrenzendem Billard-Salon, Entertainment-Bereich mit Bühne, Spa-Bereich auf zwei Ebenen, Kunstgalerie und riesiger Infinity-Pool am Heck: „One 50“ heißt die 150 Meter lange neue Megayacht der Meyer Werft. Sechs Decks sollen Platz für 44 Gäste bieten. Üppiger Luxus also – und das Ganze ohne schlechtes Gewissen, so das Versprechen des Herstellers, als er die schwimmende Villa auf der Monaco Yacht Show vorstellte. Denn die One 50 soll mithilfe von Brennstoffzellen und Batterien fahren – ganz klimafreundlich.

Bisher standen die Megayachten dieser Welt eher für die Gedankenlosigkeit protziger Oligarchen, die damit einen Statuswettbewerb in den Häfen an der Côte d’Azur betrieben. Grün war da gar nichts. Doch genau das will die Meyer Werft nun ändern – und setzt alles auf diese Karte. Denn das eigentliche Kerngeschäft mit Kreuzfahrtschiffen liegt seit der Pandemie brach, schon vorher lief es alles andere als rund. Weswegen nun ein neues Geschäftsfeld die Kehrtwende bringen soll. Ein riskanter Schachzug, an dessen Erfolg 22.000 Arbeitsplätze hängen.

Am Unternehmenssitz in Papenburg haben längst die Einsparungen begonnen. Erst Ende Juli einigten sich Werftleitung und Betriebsrat darauf, 450 Arbeitsplätze zu streichen. Dazu lief ein Freiwilligenprogramm: Bis Ende November sollten 350 Stellen bei der Werft selbst wegfallen und weitere 100 Jobs bei der Tochterfirma EMS im kommenden Jahr. Der Betriebsrat hatte zuletzt gefordert, die Kündigungen zu überdenken. Doch dazu kam es nicht. Bisher sind keine Stellen abgebaut worden – weder durch betriebsbedingte Kündigungen noch durch eine Teilnahme im Freiwilligenprogramm. „Dieser Prozess benötigt noch Zeit, sodass noch keine Zahlen genannt werden können“, heißt es von der Werft.

Zum Ärger der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag. In einem offenen Brief mischte die sich in den Streit um den Abbau der Arbeitsplätze bei der Meyer Werft ein. Umweltminister Olaf Lies (SPD) und die Fraktionsvorsitzende Johanne Modder richteten harte Worte an den derzeitigen Werftchef Bernard Meyer. Beide forderten die Geschäftsführung und den Betriebsrat auf, gemeinsam in einem Gespräch zu einer Lösung zu kommen. „Gerade der Druck auf einzelne Beschäftigte kurz vor Weihnachten ist der Leistung der Beschäftigten, die zum Erfolg des Unternehmens geführt hat, nicht angemessen“, schrieben die SPD-Politiker.

Bernard Meyer reagierte empört. „In meinen 48 Jahren auf der Werft habe ich noch nie so existenzbedrohende zwei Jahre erlebt und es erschreckt mich, wie wenig unsere Umgebung und der Betriebsrat darauf eingeht“, schrieb er Anfang Dezember in seiner Antwort, die der WirtschaftsWoche vorliegt. Durch 40 Prozent weniger Arbeit und erhöhte Kosten sei die Werft zu dem schmerzlichen Schritt des Personalabbaus gezwungen.

„Massiver Druck“

Seit fast zwei Jahren führe Meyer Gespräche mit der Arbeitnehmerseite. Das letzte Gespräch habe Ende November 2021 zusammen mit einem Schlichter, dem früheren niedersächsischen Finanzminister Peter-Jürgen Schneider, katastrophal geendet. „Die Gespräche wurden wieder, ohne für uns verständliche Gründe, vom Betriebsrat abgebrochen“, schrieb Meyer in dem Brief. „Es gibt leider ein Schema: Wir vereinbaren etwas (unter Zeugen), dann halten sich Betriebsrat und IG Metall nicht an die Vereinbarung und verweigern intern und öffentlich die Umsetzung“, so der Geschäftsführer.

Thomas Gelder, Geschäftsführer der IG Metall Leer-Papenburg sieht in den Aussagen von Meyer umgedrehte Tatsachen. „Ohne Zustimmung im Betriebsrat kann Meyer nicht einfach Menschen entlassen“, sagt er. Das Freiwilligenprogramm habe in den ersten zwei Monaten gut funktioniert. Knapp 100 Mitarbeiter hätten sich freiwillig gemeldet, das Unternehmen zu verlassen. „Nun setzt Meyer die Übrigen massiv unter Druck“, sagt Gelder. Er sieht keine Notwendigkeit in der Entlassung weiterer Mitarbeiter. „Die Menschen werden gebraucht“, sagt er.

Vor allem, nachdem die Meyer Werft eine staatliche Coronaförderung in Höhe von 12,5 Millionen Euro beantragt habe, könne Gelder Meyers radikale Personalpolitik nicht nachvollziehen. „Der positive Bescheid aus der Landesregierung für den Antrag der Meyer Werft bezüglich der Corona-Prämie kann nur erfolgen, wenn er mit dem Erhalt der Stammbeschäftigten verknüpft wird“, sagt er.

Seit 1795 baute die Werft mehr als 700 Schiffe allein in Papenburg. In den bis zu 504 Meter langen Schiffbauhallen sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Schiffe mit bis zu 350 Meter Länge entstanden. Die Kreuzfahrtindustrie boomte die vergangenen beiden Jahrzehnte wie keine andere Tourismusbranche. Ganze 900 Prozent ist die Branche seit den Neunzigerjahren gewachsen. Doch mit Corona kam der Stillstand. Über ein Jahr durfte weltweit kaum ein Schiff ablegen.

Mit der neuen Yacht One 50 gibt es einen Hoffnungsschimmer. Denn wer weiter unbehelligt während der Pandemie reisen konnte, waren Milliardäre. Allein die HanseYachts AG, ein Motor- und Segelyachten-Produzent aus Greifswald, verzeichnete in den Sommermonaten 2020 ein Umsatzwachstum von 85 Prozent. „Wir sehen aktuell, dass die Nachfrage nach Megayachten steigt und Platz für eine weitere Werft in diesem Segment ist“, so Geschäftsführer Bernard Meyer. Die One 50 soll der Anfang der neuen Pläne sein. Mit einer elektrischen Leistung von 25.000 Kilowatt wird sie eine Höchstgeschwindigkeit von 23 Knoten, etwa 43 km/h, erreichen.

Doch ob damit die große Rettung kommt, ist zu bezweifeln. „Aktuell gibt es noch keinen Auftrag für eine Megayacht aus dem Hause Meyer“, so das Unternehmen. Das in der Pandemie entstandene Tief mit Megayachten wieder ausgleichen zu können, sei nicht möglich, so ein Sprecher des Unternehmens. Ohne große Kreuzfahrtschiff-Serien benötige die Werft deutlich mehr Entwicklungsarbeit, um die Produktionskapazitäten mit Einzelschiffen auszulasten. „Aufgrund der globalen Auftragsflaute stehen wir noch vor großen Herausforderungen, um unsere Verkaufsprognose zu erfüllen“, so das Unternehmen.

Weswegen auch das Kerngeschäft grüner werden soll. Im Jahr 2019 kündigte das Unternehmen 14 umweltfreundliche Kreuzfahrtschiffe mit Flüssiggas-Antrieb an. „Bei Meyer ist es immer unser Anspruch, uns an der Spitze zu positionieren – beim Umweltschutz genauso wie nun bei der Yachtgröße“, wirbt das Unternehmen auf der eigenen Webseite. Doch auch das Flüssiggas (LNG) ist weiterhin ein fossiler Brennstoff, der teils mit erheblichen Eingriffen in die Umwelt gewonnen wird, kritisiert der Deutsche Naturschutzbund (Nabu). Hinzu entweicht Methan in die Atmosphäre. „Entsprechend bietet der Gasantrieb zwar in puncto Luftschadstoffminderung unbestreitbare Vorteile gegenüber Marinediesel und Schweröl, nicht jedoch in Hinblick auf die Klimabilanz der Flotte“, so der Nabu.

Doch mit den LPG-Schiffen und der neuen brennstoffzellen-betriebenen Megayacht dürfte die Meyer Werft dem Naturschutz entgegenkommen. Der Nabu rechnet vor, dass ein normales Kreuzfahrtschiff pro Tag so viel CO2 ausstößt wie fast 84.000 Autos, so viel Stickoxide wie etwa 421.000 Autos und so viel Feinstaub wie etwa über eine Million Autos. Den Aufbruch in neue Gewässer hat die Meyer Werft demnach im Zuge der Klimakrise bitter nötig, um weiterhin Arbeitsplätze zu retten.

Mehr zum Thema: Die Kapazitäten sind knapp, das Geld ausnahmsweise nicht, also bestellen die Reeder neue Containerschiffe. Die Werften in Asien freuen sich über die Aufträge.

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