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Deutschland braucht einen Masterplan für die Standortsicherung. Quelle: dpa

„Made in Germany“ droht die Kranker-Mann-Falle

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Fachkräftemangel und hohe Strompreise treiben erste Firmen ins Ausland. Deutschland braucht einen Masterplan für die Standortsicherung.

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Den Exportweltmeister plagt eine Sinnkrise. Plötzlich steht „made in Germany“ nicht mehr für Qualität, Präzision und Pünktlichkeit, sondern für Qual, Pannen und Pleiten. „Made in Germany bröckelt überall“, schlägt Telekom-Chef Timotheus Höttges Alarm und diagnostiziert eine Arroganz der Wohlstandsverwahrlosten.

Das Klagen über die Deutschlanddämmerung ist nicht neu. Immer wieder übt man sich in jüngerer Vergangenheit in Selbstzerfleischung. Viele fragen sich, ob das Land bald wieder Europas „kranker Mann“ wird, wie einst in den späten Neunzigerjahren.

Während viele Weltmarktführer dafür sorgen, dass im Bereich Hightechprodukte „made in Germany“ der Goldstandard bleibt, müssen sich Politik und öffentlicher Sektor dieser Frage dringend stellen. Denn für „made in Germany“ braucht es ein ideales Umfeld. Seit Jahren verschlechtern sich am Standort Deutschland die Rahmenbedingungen. Still und leise wandern Teile großer Konzerne ab, aber der große Knall im Mittelstand bleibt aus. Eine ineffiziente Bürokratie, hohe Steuern und die lahme Digitalisierung scheinen ihnen nichts auszumachen, denken sich manche Politiker und fahren das Land auf Verschleiß.

Während die üblichen Standortnachteile den Sprung ins Ausland für viele nicht rechtfertigten, kommen nun aber zwei fatale Entwicklungen hinzu. Der Fachkräftemangel eskaliert und führt neben operativen Problemen zu einem massiven Anstieg der Personalkosten. Die Strompreise explodieren als Folge von Putins Energiepoker. Und so könnte eine gefährliche Wanderungsbewegung einsetzen. Die Ersten gehen bereits. Zum Beispiel baut der Jenaer Chipzulieferer Hellma Materials in Schweden, weil der Strom günstiger und die Energiewende verlässlicher ist. Autozulieferer verabschieden sich nach Südosteuropa. Das Friendshoring aufgrund des Lieferkettenchaos findet eh dort statt.

Der Regierung bleibt das nicht verborgen. Sie preist zwar zu Recht die grüne Wende, um den Standort nachhaltiger und wettbewerbsfähiger zu machen. Aber bis es so weit ist, muss die Industrie darauf vertrauen können, dass die Ampel ihre Sorgen mit einem zeitlich verbindlichen Masterplan zur Standortsicherung ernst nimmt: unkomplizierte Fachkräftemigration, CO2-Grenzzölle für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, Wasserstoffinfrastruktur, beschleunigte Genehmigungen, um nur ein paar Stichworte zu nennen. Sonst heißt es bald noch öfter „made in Ausland“.

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