Bilfinger-Chefin Christina Johansson „Manchmal dürfen wir nur Android-Geräte einsetzen“

Der Ex-Baukonzern Bilfinger hat sich gewandelt wie kaum ein Unternehmen in Deutschland. Chefin Christina Johansson über ungewöhnliche Kundenwünsche, Verzögerungen bei IT-Projekten – und die Rolle digitaler Zwillinge.

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WirtschaftsWoche: Frau Johansson, Bilfinger hat sich vor Jahren vom Baukonzern zu einem Industriedienstleister gewandelt. Das Unternehmen plant, implementiert und überwacht Bauprojekte, baut aber nicht mehr selber. Das klingt nach Servicegeschäft, das durch und durch digitalisiert sein müsste. Ist Bilfinger digital genug?
Christina Johansson: Bilfinger ist ein international führender Industriedienstleister. Wir warten Industrieanlagen, steigern ihre Effizienz und senken die Instandhaltungskosten. Viele unserer internen Prozesse sind bereits digital. Zum Beispiel erfassen unsere Mitarbeiter im Werk des Kunden vor Ort mit von Bilfinger entwickelten Apps auf Smartphones oder Tablets ausgeführte Reparaturarbeiten. Dadurch steigern wir die Effizienz und reduzieren die Fehleranfälligkeit bei der Datenerfassung und -übertragung. Zudem helfen wir unseren Kunden, ihre Prozesse ebenfalls zu digitalisieren, etwa durch die Einrichtung von Zugriffen für die Fernwartung der Anlagen. Außerdem überprüfen wir laufend, wo wir mit der Digitalisierung weitere Potenziale zum gegenseitigen Nutzen ausschöpfen können.

Welche Herausforderungen hat ein Industriedienstleister wie Bilfinger bei der Digitalisierung seiner Geschäftsprozesse? 
Zu einer erfolgreichen Digitalisierung gehört, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Reise mitnehmen. Wenn sie vom Mehrwert digitaler Lösungen überzeugt sind, befinden wir uns auf einem guten Weg. Eine Herausforderung besteht manchmal auch in den unterschiedlichen Wünschen unserer Kunden oder den gesetzlichen Vorgaben. Beispielsweise dürfen wir im Werk eines Kunden nur Android-Geräte einsetzen und bei einem anderen Kunden wiederum nur mobile Endgeräte mit einem anderen Betriebssystem.

IT-Projekte versprechen viel und verzögern sich oft um Jahre. Was läuft eigentlich immer wieder falsch bei der Planung und Umsetzung von IT-Projekten in deutschen Unternehmen?
Die Komplexität großer IT-Projekte wird in der Planungsphase häufig unterschätzt, einerseits, weil man nicht alle Details voraussehen kann und andererseits, weil der Faktor Mensch entscheidend, aber im Voraus schwierig einschätzbar ist. Die wahren Herausforderungen konkretisieren sich dann in der Umsetzung, aber dann ist das Projekt schon am Laufen. Aus meiner Erfahrung kann die schrittweise erfolgte Umsetzung von großen IT-Projekten ein Erfolgsfaktor sein. Wenn schnell erste Erfolge sichtbar werden, motiviert das sehr. Außerdem wird das Projekt so in kleine, machbare Etappen mit klaren Zwischenzielen unterteilt, aus denen man bereits für die nächste Etappe dazu lernen kann.

Die Kunden von Bilfinger sind breit gestreut, kommen etwa aus den Branchen Chemie, Energie, Pharma oder Zement. Welchen digitalen Schatz gilt es eigentlich noch am meisten zu heben? Wo sehen Sie das größte Potenzial? 
Die Anlagen in der Prozessindustrie sind sehr individuell. Eine identische Übertragung eines einzelnen Digitalisierungsprojekts von einer auf eine andere Anlage ist nicht immer möglich. Das kann die Digitalisierung in der Branche verzögern. Ein großes Potenzial liegt sicherlich noch in der Nutzung und Vernetzung von Anlagendaten mit Data Analytics und Künstlicher Intelligenz. Dadurch können wir zum Beispiel die Instandhaltungsintervalle optimieren und damit teure Ausfallzeiten reduzieren. Vielversprechende Möglichkeiten sehen wir auch im Erstellen von digitalen Zwillingen, mit denen wir gemeinsam mit den Kunden Optimierungen im Engineering, im Betrieb und in der Wartung von Anlagen entwickeln können, ohne den realen Betrieb zu beeinträchtigen.

Die Digitalisierung ändert das Anforderungsprofil der Belegschaft. Benötigt Bilfinger in Zukunft eher weniger oder mehr Mitarbeiter und vor allem wen?
Die Digitalisierung ist auch für unsere Mitarbeiter gleichzeitig Chance und Herausforderung, neue Kompetenzen zu erwerben, was wir mit entsprechender Weiterbildung fördern. Ersetzen kann sie unsere hochqualifizierten Fachkräfte aber nicht. Nehmen Sie das Beispiel mit der mobilen Datenerfassung in der Anlage: Der Mitarbeiter führt die Reparatur immer noch manuell vor Ort aus und nutzt dabei seine umfassende Erfahrung in der Wartung von Industrieanlagen. Er erfasst die Reparaturdaten nur nicht mehr auf Papier, sondern digital über eine mobile App. Mit vorausschauenden Analysen werden wir aber in Zukunft die Einsatzmöglichkeiten unser Mitarbeitenden flexibilisieren.

Sie sprechen auch davon, dass Digitalisierung neue Geschäftsmodelle hervorbringt. Was ist bei Bilfinger Neues entstanden?
Dank der viel effizienteren Erfassung, Auswertung und Modellierung von Anlagendaten sind wir heute in der Lage, unsere Kunden bei der Optimierung aber auch Umstellung – denken Sie nur an die Energiewende – vorausschauend zu beraten. Diese Beratungstätigkeit ist für die Kunden und Bilfinger hoch wertschöpfend und wäre ohne Digitalisierung nicht möglich.

Ein weiteres Beispiel ist die Zuschaltung von Experten an anderen Standorten für Wartungsaufgaben mit Hilfe von Augmented Reality-Brillen. Als durch die Corona-Pandemie Anfang 2020 beispielsweise aus Sicherheitsgründen der Zugang zu vielen Industrieanlagen nur noch eingeschränkt möglich war, haben wir unsere Experten vermehrt auf diese Weise in Anlagen zugeschaltet. Damit kann der Personaleinsatz vor Ort im Werk reduziert werden. Auch haben wir eine cloudbasierte Plattform entwickelt, die Anlagendaten zum Beispiel aus Produktion und Instandhaltung zusammenführt. Aus diesen kombinierten Daten können wir etwa Potenziale zur Verbesserung der Anlageneffektivität ableiten.

Mehr zum Thema: Bis zum Ende des Sommers wird der Kölner Dom per Drohne zentimetergenau vermessen. Der digitale Zwilling der Kathedrale soll die Instandhaltung vereinfachen und Kosten sparen.

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