Biontech-Patentstreit Wie ein altes Patent-Versprechen Moderna Milliarden kosten könnte

Modernas Patentstreit mit Biontech: Dieses Versprechen hätten die Impfstoff-Erfinder nicht geben sollen. Quelle: imago images

Moderna gelobte am Anfang der Pandemie öffentlich, keine Patente durchzusetzen. Jetzt will das US-Biotech-Unternehmen nichts mehr davon wissen. Das könnte im Prozess gegen Biontech relevant werden.

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Die positiven Schlagzeilen rund um den amerikanischen Impfstoffhersteller Moderna dürften einigen noch im Gedächtnis sein: „Während die Pandemie andauert, wird Moderna seine mit Covid-19 in Verbindung stehenden Patente gegenüber Impfstoffherstellern, die die Pandemie bekämpfen, nicht durchsetzen“, versprach das Biotech-Unternehmen im Oktober 2020 vollmundig, als der Großteil der Welt noch auf eine Impfung wartete. Nachdem die Phase der Pandemie vorüber sei, sei Moderna dann offen für Lizensierungen.

Es gab deutlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit, als Moderna am 7. März ein „Update“ auf diese Zusage veröffentlichte: Das Unternehmen werde seine Covid-19-Patente niemals in den 92 Märkten mit niedrigen und mittleren Einkommen durchsetzen. Aber in allen anderen Ländern erwarte das Unternehmen, dass diejenigen, die Moderna-Technologie benutzen, das „geistige Eigentum respektierten“: „Moderna bleibt gewillt, den Herstellern in diesen Ländern Lizenzen zu kommerziell vernünftigen Bedingungen zu gewähren.“

Für Moderna könnte es schwierig werden, vor Gericht gegen Pfizer und Biontech eine Verletzung von Patenten durchzusetzen, deren kostenlose Nutzung sie ausdrücklich öffentlich versprochen hatte: „Der noch existierende Pledge von Moderna aus 2020 verhindert eine Patentverletzungsklage“, argumentiert der Rechtsprofessor Jorge Contreras von der University of Utah, „Ein solches Versprechen ist rechtlich bindend.“

Wohlgemerkt: Moderna verlangt in seiner Klage gegen Biontech und Pfizer sowohl vor dem Landgericht Düsseldorf wie auch dem District Court of Massachussetts erst ab dem 8. März, dem Zeitpunkt der geänderten Fassung ihres Pledges, Lizenzzahlungen. Immerhin fordern sie auch keine Tantiemen auf die Umsätze der Hersteller in den 92 Ländern mit geringen Einkommen.

Die Gerichte in Deutschland und den USA müssen entscheiden, ob öffentliche Gelöbnisse rechtsbindend sind oder nicht. Gerade während der Pandemie gab es eine Welle unternehmerischer Großzügigkeit. Rechtsprofessor Contreras selbst ist Co-Gründer des Open Covis Pledge, einer Plattform, auf der mehr als 500.000 Patente dem Wohl der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wurden.

Aber auch vorher gab es schon „Versprechen“ – nicht zuletzt von Tesla. Der E-Auto-Pionier beteuerte vor Jahren, alle Patente frei zugänglich zu machen, um die Elektromobilität voranzubringen. Auch beim „Low Carbon Pledge“ stellen Unternehmen wie HP oder Microsoft ihre Patente auf Technologien zur Senkung des Kohlendioxidgehalts der Luft frei zur Verfügung. Auch Open Source Programme wie Linux und Android funktionieren unter der Prämisse, dass der kostenlose Gebrauch der Plattform nicht plötzlich rückgängig gemacht werden kann.

Noch gibt es keine Präzedenzfälle

 „Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass ein öffentliches Versprechen rechtswirksam ist“, sagt Gabriela Lenarczyk, die als Doktorandin an der Polish Academy of Sciences die erste juristische Studie zum Thema Patentpledges im Zivilrecht geschrieben hat. „Es gibt weder in den USA noch in Deutschland Präzedenzfälle.“ Allein die Tatsache, dass noch kein Fall vor Gericht kam, hält sie aber für ein starkes Indiz, dass man sich auf das veröffentlichte Wort eines Unternehmens verlassen kann.

In Deutschland käme bei einer Evaluierung eines solchen Versprechen wohl das Vertragsrecht zum Zuge: „Der Pledge könnte als Lizenzvertrag interpretiert werden“, sagt Lenarczyk. In Amerika, so analysiert Contreras, würde ein Pledge als eine „öffentliche Lizenz“ gewertet.



Überhaupt steht auch die Frage im Raum, ob die Pandemie überhaupt schon zu Ende ist. Sie mag zwar ihre tödlichste Phase überwunden haben, aber offiziell zu Ende ist sie wohl erst, wenn die Weltgesundheitsorganisation das verkündet. Die hat den Status der Coronakrise noch nicht heruntergestuft. Experten gehen davon aus, dass das noch zwei oder drei Jahren dauert. 

Moderna definiert das anders: „Ab Anfang 2022 ist die Welt in eine endemische Phase eingetreten“, so die Klageschrift des Unternehmens. Allerdings hatte das Unternehmen in seinem öffentlichen Versprechen nicht definiert, dass es selbst das Ende der Pandemie bestimmen darf. 

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Schon früher kamen Zweifel an der altruistischen Haltung Modernas auf. Als der African Hub, ein von der WHO unterstütztes Konsortium südafrikanischer Biotech-Unternehmen an der Entwicklung eines eigenen Impfstoffes auf der Grundlage der Moderna-Patente arbeitete, rief die WHO das Unternehmen auf, nicht nur das geistige Eigentum zur Verfügung zu stellen, sondern auch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Moderna lehnte ab – man habe selbst bald eine Impfstoffproduktion für Afrika am Start. African Hub gelang es schließlich auch ohne Modernas Hilfe, dank der kostenlosen Patente ein Vakzin herzustellen – ein wichtiger Durchbruch für generische MRNA-Vakzine. Petro Terblanche, die Leiterin der Initiative, erklärte, dass das alles andere als einfach war: „Modernas Patentportfolio ist so sorgfältig und schlau formuliert, dass es absolut nicht alle Geheimnisse für den Impfstoff preisgibt“.

Lesen Sie auch: Worum es im Patentstreit zwischen Curevac und Biontech wirklich geht.

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