
St. Katharinen im Westerwald, ein Industriegebiet auf den Höhen weit oberhalb des Rheintals: Schauplatz eines Dramas, das Birkenstock-Mitarbeiter und auch viele Fans der Marke entsetzte. Gnadenlos bekämpfte Karl Birkenstock gemeinsam mit seinen Söhnen Alex, Christian und Stephan die gerade gewählten Betriebsräte der damals wichtigsten Produktionsstätte.
„Idioten“ schmäht der Seniorchef die Arbeitnehmervertreter und kassierte dafür einen Strafbefehl über 15.000 Mark. In seiner Wut macht der Patriarch den Betrieb in der rheinland-pfälzischen Provinz kurzerhand dicht. Bis zur Schließung nannte er die Firma DeP, was im Unternehmen nicht zufällig „Depp“ ausgesprochen wurde. Der ungeheizte Betrieb, in dem es für die Leute fortan keine sinnvolle Arbeit mehr gibt, hieß die „Deppenhalle“.
Vier Jahre dauerte der Vernichtungskampf, dann gehen die letzten 87 Mitarbeiter, die unter anderem Sonnenschutz vor den Fabrikfenstern und gleichen Lohn für Frauen gefordert hatten. Birkenstock lässt sich die Schlammschlacht 1,8 Millionen Mark an Abfindungen und einen nicht bezifferbaren Rufschaden kosten.





20 Jahre ist das jetzt her – Schattenseiten eines Familienunternehmens mit Kultmarke. Erst seit drei Jahren aber sind bei Birkenstock nun familienfremde Manager am Ruder – und die bringen das Geschäft noch mal kräftig nach vorn. 25 Millionen Paar Schuhe wollen sie nächstes Jahr verkaufen, mehr als doppelt so viel wie 2013. Einen Betriebsrat gibt es inzwischen auch. Betriebsratschefin Michaela Falk-Wagner in St. Katharinen sagt: „Birkenstock hat sich deutlich geändert.“ Der Weg von der „Deppenhalle“ bis zu den heutigen Erfolgen war lang, seine Stationen bieten lebendiges Anschauungsmaterial für manches Familienunternehmen.
Explosive Charaktere
Hatten Vater und Söhne den Kampf gegen die Betriebsräte noch gemeinsam ausgefochten, richtete sich ihre Streitlust bald gegeneinander. Der Senior setzte auf interne Konkurrenz und übergab den Nachfolgern ein Sammelsurium von Einzelunternehmen mit jeweils eigenem Gesellschafterkreis, eigenem Management, eigenem Personalwesen, eigener IT. Auch Vater Birkenstock hatte noch sein eigenes Reich und belieferte alle mit Sandalenschnallen. Das halbe Dutzend Untermarken wie Birkis und Alpro – Claims von Sohn Stephan Birkenstock – war allein dem familiären Machtgefüge geschuldet und schadete der Hauptmarke.
Die Charaktere der drei jungen Männer: teilweise explosiv. Ihre Konsensfähigkeit in strategischen Fragen oder Investitionsentscheidungen: nahe null. Ihr unternehmerischer Erfahrungshorizont: weitgehend auf das väterliche Unternehmen begrenzt.
Denn wie man einen Betrieb führt, hatte ihnen der Papa beigebracht. Sie waren als Teenager oder mit Anfang 20 ins Unternehmen gekommen – Stephan nach einigen Semestern Informatik, Alex als Industriekaufmann und Christian als Technik-Autodidakt. Sie waren, bekannte Alex, „so hineingewachsen in diese Sandalenwelt“.
Die forderte inzwischen aber einen weiteren Horizont und eine klare Strategie. Während die Managementstrukturen provinziell blieben, waren die vermeintlichen Jesuslatschen zum Selbstläufer und Kultprodukt geworden. Karl Birkenstock hatte sie als „Fußeinlage ohne Schuh“ entwickelt, bei denen der Fuß nicht seitlich abrutscht, sondern tief eingebettet ist.
Die innovativsten deutschen Mittelständler
Lamilux
Hauptsitz: Rehau (BY)
Produkt: Lichttechnologie
Umsatz: 187 Mio Euro
Innovationsscore: 169
Windmöller Holding
Hauptsitz: Augustdorf (NRW)
Produkt: Bodenbeläge
Umsatz: 120 Mio Euro
Innovationsscore: 170
Maja-Maschinenfabrik
Hauptsitz: Kehl (BW)
Produkt: Lebensmittelverarbeitung
Umsatz: 23 Mio Euro
Innovationsscore: 171
Mekra Lang
Hauptsitz: Ergersheim (BY)
Produkt: Spiegel für Nutzfahrzeuge
Umsatz: 260 Mio Euro
Innovationsscore: 172
Brandt Zwieback
Hauptsitz: Hagen (NRW)
Produkt: Zwieback
Umsatz: 189 Mio Euro
Innovationsscore: 175
Edelmann
Hauptsitz: Heidenheim (BW)
Produkt: Verpackungslösungen
Umsatz: 235 Mio Euro
Innovationsscore: 177
Insiders Technologies
Hauptsitz: Kaiserslautern (RP)
Produkt: Software
Umsatz: 18 Mio Euro
Innovationsscore: 178
Arburg
Hauptsitz: Loßburg (BW)
Produkt: Spritzgießmaschinen
Umsatz: 548 Mio Euro
Innovationsscore: 181
Fischerwerke
Hauptsitz: Waldachtal (BW)
Produkt: Befestigungssysteme
Umsatz: 625 Mio Euro
Innovationsscore: 185
Aquatherm
Hauptsitz: Attendorn (NRW)
Produkt: Rohrleitungssysteme
Umsatz: 91 Mio Euro
Innovationsscore: 182
C. Josef Lamy
Hauptsitz: Heidelberg (BW)
Produkt: Schreibgeräte
Umsatz: 71 Mio Euro
Innovationsscore: 186
Leica Camera
Hauptsitz: Wetzlar (HE)
Produkt: Kameras
Umsatz: 276 Mio Euro
Innovationsscore: 189
Gebr. Kemper
Hauptsitz: Olpe (NRW)
Produkt: Gebäudetechnik
Umsatz: 270 Mio Euro
Innovationsscore: 190
Bahlsen
Hauptsitz: Hannover (NI)
Produkt: Süßgebäck
Umsatz: 515 Mio. Euro
Innovationsscore: 194
Rimowa
Hauptsitz: Köln (NRW)
Produkt: Koffer
Umsatz: 273 Mio. Euro
Innovationsscore: 197
Wer zu Deutschlands innovativsten Mittelständlern gehören will, muss ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen. Die Münchner Unternehmensberatung Munich Strategy Group (MSG) wertete im Auftrag der WirtschaftsWoche zunächst die Daten von 3500 deutschen Unternehmen aus, die zwischen zehn Millionen und einer Milliarde Euro Umsatz erwirtschaften: Sie analysierten Jahresabschlüsse und Präsentationen, sprachen mit Kunden, Branchenexperten, Geschäftsführern, Inhabern und Beiräten. Danach nahm MSG 400 Unternehmen in die engere Wahl. Für jedes einzelne errechneten die Berater einen eigenen Innovationsscore. „Dabei achten wir darauf, dass sich das Unternehmen durch ständige Neuerungen auszeichnet, von Wettbewerbern als innovativ angesehen wird und eine ideenfördernde Kultur etabliert hat“, erklärt MSG-Gründer und Studienleiter Sebastian Theopold die Kriterien. Zudem flossen auch wirtschaftliche Indikatoren wie Umsatzwachstum und Ertragskraft in die Bewertung ein. Theopolds Fazit: „Wer innovativ ist, wächst auch schneller und erzielt nachhaltigere Erträge.“ Die MSG-Berater analysierten bereits um dritten Mal für die WirtschaftsWoche die Innovationskraft deutscher Mittelständler (Heft 15/2014 und Heft 42/2015). Während beim ersten Ranking noch Maschinenbauer dominierten, sind nun mehr Konsumgüterhersteller unter den Siegern. Die meisten innovativen Unternehmen kommen aus Baden-Württemberg. Den ersten Platz belegt der Kölner Kofferhersteller Rimowa. Rang zwei nimmt der Keksbäcker Bahlsen ein. „Die beiden Vertreter der ,Old Economy’ sind Vorreiter bei der Digitalisierung“, sagt Studienleiter Theopold.
Nun schickten Modestars ihre Models nicht mehr auf Highheels, sondern mit Birkenstocks auf den Laufsteg und trieben die Nachfrage nach den Puschen auf immer neue Höhen. Heidi Klum steuerte ihre eigene Kollektion bei. Das Hamburger Völkerkundemuseum zeigte 2014 Birkenstock-Sandalen in einer Ausstellung typisch deutscher Alltagsgegenstände.
Zählbare Krisenjahre gab es keine, aber Entscheidungsstau, Stagnation und ein Klima der Angst. Anstatt das Potenzial der Marke wirtschaftlich zu heben, blockierten sich die Brüder Birkenstock gegenseitig. Als keine Lösung mehr denkbar schien und der interne Kampf wie bei anderen zerstrittenen Familienclans – etwa Bahlsen oder Herz (Tchibo) – die weitere Entwicklung lähmte, fand sich 2013 doch noch ein Ausweg.