
Über "die Lady", wie Aung San Suu Kyi in Myanmar, dem früheren Burma verehrungsvoll genannt wird, sind schon viele Bücher geschrieben worden, meist mit hymnischen Titeln wie "Heldin von Burma" oder "Ikone der Freiheit". Die im März erschienene Biografie von Andreas Lorenz, langjähriger Asien-Korrespondent des "Spiegel", würdigt zwar auch die Verdienste der Friedensnobelpreisträgerin von 1991 und Oppositionsführerin, erdet die Lichtgestalt aber auf vielen Ebenen.
Das beginnt mit dem Blick auf ihren Vater Aung San, Vorkämpfer für die Unabhängigkeit von Großbritannien. Der 1947 im Alter von 32 Jahren erschossene General wird noch heute in Myanmar verehrt, hat aber politisch einen eher wirren Hintergrund – vom Kommunismus bis zur Zusammenarbeit während des Zweiten Weltkriegs mit dem faschistischen Japan. Lorenz beleuchtet, wie Suu Kyis Aufwachsen im Armeeumfeld dafür sorgt, dass sie bis heute eine gewisse Grundsympathie für das Militär beibehalten hat – auch wenn die Generäle das Land jahrzehntelang unterdrückt und ausgebeutet haben.
Der Autor bringt einem die oft auf ein Podest gestellte Suu Kyi auch als Mensch nahe. So zeigte sie die Sturheit und Kompromisslosigkeit, mit der die gläubige Buddhistin den jahrelangen Hausarrest durchhielt, obwohl sie jederzeit das Land hätte verlassen können, schon in jungen Jahren. Eine Weggefährtin berichtet etwa, sie habe Kindern bei der Geburtstagsfeier eines ihrer Söhne einen Preis verweigert, weil sie bei einem Spiel gemogelt hatten.
Hoch aktuell ist angesichts der für dieses Jahr in Aussicht gestellten Wahlen der Blick nach vorn auf die demokratische Entwicklung. Der Autor hat die neue, weit weg von der größten Stadt Yangon im Landesinneren aus dem Boden gestampfte Regierungshauptstadt Naypyidaw besucht. Er beschreibt, wie das immer noch vom Militär dominierte Parlament, in das Suu Kyi 2012 einzog, quasi als Marionette der Regierung arbeitet. Auch sie hat dort nur einen sehr eingeschränkten Wirkungskreis.
Zudem verschweigt der Autor nicht die kritischen Stimmen gegenüber Suu Kyi. Einige Kampfgefährten werfen ihr seit Jahren vor, zu rigide auf den Sanktionen des Auslands bestanden zu haben. Das habe verhindert, dass Investitionen und damit Jobs und Geld in das bettelarme Land kamen.
Manche Myanmarer sind auch skeptisch, ob die 69-Jährige tatsächlich eine geeignete Präsidentin wäre ¬– wenn sie sich überhaupt zur Wahl stellen dürfte, was bisher ein Gesetz verhindert. Denn Suu Kyis politische Agenda ist jenseits des Kampfes für die Demokratie noch relativ diffus. Das gilt auch für den Umgang mit den zahlreichen Minderheiten im Land. So warten viele auf klarere Äußerungen der Oppositionschefin zu den Massakern von Buddhisten an der muslimischen Minderheit der Rohingya.