Dekarbonisierung der Wirtschaft „In 4 Jahren könnten uns Wettbewerber die Marktführerschaft abnehmen“

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„Die Politik muss mit einer Art Marschall-Plan in die Infrastruktur investieren“

Aber ist es nicht eine Frage der Zeit, bis die Länder weltweit sich dem Klimaschutz anschließen müssen? Also auch Polen?
Wünschenswert wäre natürlich eine zentrale Steuerung des CO2-Preises global. Wenn alle Wettbewerber gleichgestellt sind, ist das fair – aber vielleicht illusorisch. Aber mindestens in unserer europäischen Union sollten wir gleichgerichtet agieren und gleiche Rahmenbedingungen schaffen. Natürlich kann es auch sein, dass etwa Polen dasselbe Schicksal ereilt wie das Ruhrgebiet und es über kurz oder lang auf Grund europäischer Entscheidungen und Regeln mit seinem Geschäftsmodell nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Das schauen wir uns gerade ganz genau an. Weltweit ist China der größte Stahlhersteller, da werden zwei Drittel des Weltstahls hergestellt. Die haben sich einen sehr lang gestreckten Zeithorizont bis 2060 für die Carbon-Neutralität gegeben. Durch die strengeren, zeitnah greifenden Gesetze in Europa verlagert sich das Gleichgewicht immer weiter nach China. Die fangen mit der CO2-Reduktion erst richtig an, wenn sie sich das Geschäft aus Europa gesichert haben. Da sitzt politischer Zündstoff dahinter.

Die Idee ist ja, die Industrie zu einem Umstieg auf saubere Brennstoffe zu bewegen – anders werden wir nicht klimaneutral produzieren können.
Das Problem ist, dass wir aktuell gar keinen CO2 neutralen Wasserstoff kaufen können, um unsere Öfen zu betreiben. Er wird schlicht nicht in den Mengen hergestellt, die wir brauchen. Alle 20 Minuten müsste ein LKW voll Wasserstoff zu unserem Werk rollen, damit wir unsere Öfen betreiben können. In der Stahlveredelung brauchen wir Temperaturen bis zu 960 Grad, um den Stahl je nach Kundenwunsch besonders zu härten oder ihm Spannkraft zu geben, wie er in den Federn etwa von Sicherheitsgurten nötig ist. Die beste Lösung wäre wohl, grünen Wasserstoff da herzustellen, wo die Sonne immer scheint und über ein Pipelinesystem zu uns ins Ruhrgebiet zu bringen. Da ist die Politik gefragt: Sie muss wie nach dem Krieg mit einer Art Marschall-Plan in die Infrastruktur investieren. Wir müssten längst die nötigen Pipelines für Wasserstoff bauen. Doch die Politik investiert Milliarden in Grundlagenforschung. Forschen ist gut, aber wir müssten jetzt schon machen, machen, machen.“

*Wenn er falsch gemacht wird. Das anspruchsvollste Projekt der jüngeren Wirtschaftsgeschichte wird auch das teuerste, wenn die Politik zu viele Fehler begeht. Dabei muss Klimaschutz weder Jobs noch Wohlstand kosten.
von Nele Husmann, Stefan Hajek, Max Haerder, Martin Seiwert, Thomas Stölzel, Cordula Tutt, Silke Wettach

Stahlkonzerne wie Arcelor Mittal bauen eigene Windkraftanlagen, um selbst grünen Wasserstoff zu produzieren.
Die Stahlerzeugung haben eine so großen Energiebedarf, dass sie von jeher ihre eigene Versorgung in einer Kuppelproduktion bestritten haben. Unser Geschäft als Mittelständler aber ist die Veredelung von Stahl, nicht die Erzeugung von grüner Energie. Wir sind auf Lieferungen von Versorgern einfach angewiesen.

Sie hatten sich ja gemeinsam mit dem Energiekonzern RWE für die Erzeugung von türkisen Wasserstoff durch Pyrolyse stark gemacht.
Wir hatten zugesagt, den Wasserstoff, den RWE mit diesem Prozess erzeugt, abzunehmen –leider aber führt die RWE dieses Projekt nach einem Wechsel in der Chefetage nicht fort. Unsere Hoffnung ist jetzt die Anstrengung von lokalen Gasnetzbetreibern, eine Pipeline für Wasserstoff bis zu unserem Werk zu bauen. Für uns ist es recht leicht, unsere Öfen von Gas auf Wasserstoff umzustellen. Neue Öfen ordern wir grundsätzlich „Wasserstoff-ready“ – da reicht das Umlegen eines Schalters.

Ist es auch vorstellbar, dass die Stahlindustrie sich langfristig dort ansiedelt, wo grüne Energie direkt und in Hülle und Fülle erzeugt wird?
Das ist keinesfalls abwegig – dann aber könnte es passieren, dass die ganze Wertschöpfungskette mit dorthin zieht. Denn lange Transportwege machen bei einem so schweren Produkt wie Stahl keinen Sinn. Ohne eine Pipeline, die grünen Wasserstoff etwa aus Nordafrika liefert, kann es für einen Stahlkonzern wirklich interessant sein, sein Werk dort anzusiedeln. Für uns wäre das schwierig, weil wir zum einen nicht so viele qualifizierte Arbeitskräfte finden würden, zum anderen dort sein müssen, wo unsere Kunden sind.

Oft beschweren sich die Unternehmen über neue Regulation am Lautesten, die eh schon angeschlagen sind. Auch Waelzholz entließ 2020 fast zehn Prozent seiner Mitarbeiter. Aktuell müsste Ihnen die Chipkrise, die zu einer Drosselung der Autoproduktion führt, auch zu schaffen machen.
Wir erleben gerade einen Boom in unserem Non-Automotive Geschäft, das bei uns 40 Prozent des Geschäfts ausmacht. Die enorme Nachfrage nach Heimwerkerprodukten wie Gartengeräte oder Sägen sowie Scharniere für die Möbelindustrie kommt auch bei uns an. Das macht eine um 15 Prozent verringerte Nachfrage im Automobilbereich mehr als wett. Die Personalanpassung war nötig, um Redundanzen nach den Übernahmen von zwei Wettbewerbern abzubauen. Dabei fielen etliche Stellen in der Verwaltung weg. Inzwischen haben wir in der Produktion fast wieder dieselbe Personaldecke, weil wir in den Werken eingestellt haben.

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Dennoch sind Sie als Lieferant für die deutschen Autounternehmen stark abhängig vom Verbrennungsmotor.
Wir sind sehr flexibel. Vor sechs Generationen startete meine Familie das Unternehmen, um Drähte für Korsetts und Reifröcke herzustellen. Dann war die Textilindustrie ein großer Kunde. Auch jetzt können  wir uns an den technologischen Wandel gut anpassen. Natürlich geht unser Stahl noch in die Motoren, Getriebe und Kupplungen, aber wir stellen auch Elektroband her, das für Elektromotoren nötig ist und Trennwände für Brennstoffzellen. Dazu haben auch Elektroautos Teile wie Sitzschienen und Sicherheitsgurte, die aus unseren Produkten gefertigt werden. Am besten sind Hybrid-Autos für uns – die brauchen nämliche für beide Antriebe Material von uns.

Mehr zum Thema: Der Berliner Alleingang in Sachen Klimaschutz stößt Mittelständlern bitter auf. Ausgerechnet die Verordnung, die ein Abwandern in klimapolitisch laxere Regionen verhindern soll, lässt sie just diesen Schritt erwägen.

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