Dekarbonisierung der Wirtschaft „In 4 Jahren könnten uns Wettbewerber die Marktführerschaft abnehmen“

Hans-Toni Junius leitet den Stahlveredler Waelzholz. Quelle: PR

Hans-Toni Junius ist Chef des Stahlveredlers Waelzholz. Er warnt: Strenge deutsche Klimagesetze könnten einzig dazu führen, dass mehr Produktion nach Polen oder China verlagert wird – nicht zu weniger Treibhausgasen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Die Stahlverarbeitung ist ein sehr energieintensives Geschäft. Wie sehr trifft Sie das neue Brennstoffemissionsgesetz?
Hans-Toni Junius: Durch das neue Gesetz entstehen uns Zusatzkosten, denen wir nicht ausweichen können – dabei müssen wir als Verarbeiter von Stahl ja den Wandel betreiben. Noch aber können wir keinen grünen Wasserstoff von unseren Versorgern beziehen. Wir brauchen Unterstützung bei den Veränderungen, die wir vorantreiben, nicht weniger Geld in unseren Kassen. Das ist der Webfehler im System.

Was genau kommt auf Sie zu? 25 Euro je Tonne halten viele Experten ja nicht für teuer.
Schon in diesem Jahr fallen für uns wegen des festgelegten Preises für CO2 von 25 Euro je Tonne Zusatzkosten von 1,5 Millionen Euro an. In fünf Jahren soll der Preis so steigen, dass es 3,8 Millionen Euro Belastung wären. Ab 2026 entspricht der CO2-Preis 20 Prozent unserer jährlichen Investitionen. Die sind nötig, damit wir technologisch Weltmarktspitze bleiben. Investiere ich nicht, wirtschafte ich ab. Unser Geld als Familie steckt in unserem Unternehmen. Wir reinvestieren in den Betrieb. 3,8 Millionen entsprechen 75 der aktuell 1500 Arbeitsplätze, die wir hier in Deutschland haben. Die kumulierte Belastung bis 2026 beträgt 15 Millionen Euro – und bis zum Jahr 2030 45 Millionen Euro. Unser Geschäft ist margenschwach. Innerhalb von nur drei bis vier Jahren könnten uns europäische Wettbewerber die Marktführerschaft abnehmen, wenn wir nicht weiter in unsere Technologie investieren.

Wie soll man die globale Erwärmung denn stoppen, wenn man ausgerechnet diejenigen, die am meisten Treibhausgase produzieren ausspart?
Wir stehen zum Pariser Klimaabkommen, zu den europäischen und auch zu den deutschen Klimazielen. Allerdings muss dies für die deutsche Industrie und damit für Waelzholz leistbar sein, damit wir am Weltmarkt bestehen können und so eine Chance haben, die notwendige Transformation mitzugestalten.

Was ist jetzt Ihre Alternative?
Wir bewerben uns gerade, Zulieferer für Tesla in Grünheide zu werden. Für einen solchen Großauftrag müssen wir unsere Kapazität erweitern. Eigentlich hatten wir ein Gelände hier in Hagen schon für die Expansion vorgesehen. Doch die Unsicherheit um die CO2-Bepreisung in Deutschland ist einfach zu groß – sollte eine so große Investition sich am Ende nicht rechnen, ist die Existenz unseres Unternehmens gefährdet. Deshalb führen wir gerade Gespräche in Polen, um eine Ansiedlung dort zu prüfen. Die Ansprechpartner garantieren uns Rahmenbedingungen, die keinem nationalen Alleingang entsprechen und zumindest europäisch einheitlich sind. Selbst in Holland sperrt sich die Politik gegen diesen Vorstoß, den Deutschland jetzt allein betreibt. Da wird es in der EU noch einen großen Krach geben.

Aber genau eine solche „Carbon Leakage“, wo die emissionsstarken Unternehmen in Gegenden mit weniger strengen Gesetze umziehen und gleich viel oder sogar noch mehr CO2 in die Atmosphäre blasen, soll die neue, gleichnamige deutsche Verordnung ja verhindern.
Das ist das Paradox. Wir wären inzwischen sogar lieber von dem EU-Emissionsrechtehandel erfasst, der nur große CO2-Erzeuger wie die Stahlherstellung erfasst. Die erhalten nämlich Gratis-Zertifikate, die 85 Prozent ihrer Mehrkosten auffangen. Wir dagegen würden nur 49 Prozent unserer Zusatzkosten erstattet bekommen. So bleiben deutsche Unternehmen in Europa nicht lange wettbewerbsfähig. Es droht die Deindustrialisierung unseres Landes. Und andere Länder freuen sich.

(Droht die Deindustrialisierung Deutschlands? Mehr dazu lesen Sie auch hier.)

Staatliche Ölkonzerne aus Russland und anderen Nationen wollen Marktanteile privater Konkurrenz abjagen. Grüne Initiativen spielen ihnen in die Hände – zumindest mittelfristig.
von Maxim Kireev

Stahl gilt als schmutziges Produkt. Wäre es denn so schlimm für Deutschland, künftig auf dessen Produktion zu verzichten?
Stahl hat ein schlechtes gesellschaftspolitisches Image und ist gleichzeitig in vielen modernen Produkten unverzichtbar. Man kann Stahl aber hervorragend recyclen, daher ist er eines der nachhaltigsten Materialien. Stahl ist auch sehr wichtig innerhalb der deutschen Wertschöpfung und in den Lieferketten. Und es hängen gut bezahlte Arbeitsplätze davon ab. Unsere Mitarbeiter sind fleißig, arbeiten hart, und sie verdienen gut. Mit Löhnen bis 70.000 Euro im Jahr zählen sie zu den Besserverdienenden. Brechen diese Arbeitsplätze weg, entsteht ein gesellschaftliches Problem.

Die Carbon-Leakage-Verordnung schafft so viele Ausnahmen für Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen, dass Umweltschützer sich aufregen, dass untern Strich gar kein monetärer Anreiz übrig bleibt, den Energiekonsum zu drosseln. Warum sind ausgerechnet Sie nicht auf dieser Liste?
Waelzholz steht im Gegensatz zu anderen nicht automatisch auf dieser Liste. Wir müssten uns dafür erst in einem komplexen Prozess bewerben. Die Verordnung zielt in erster Linie auf Unternehmen ab, die international handeln. Wir dagegen liefern viel an die deutsche Industrie. Doch die kann sich genauso gut bei unseren Wettbewerbern zum Beispiel in Spanien, Italien oder Frankreich eindecken. Die CO2-Kosten selbst an nationale Kunden einfach weiterzugeben, funktioniert daher nicht. Aktuell sind wir sehr unsicher, da die Kosten seit Anfang 2021 anfallen und die Höhe einer Entlastung, wenn sie denn kommt, nicht ausreicht. Wir können uns nicht leisten, den Preis an unsere Kunden weiterzugeben. Doch wir haben jetzt die Unsicherheit, uns akkreditieren zu müsse, um die Entlastung zu erhalten.

„Die Politik muss mit einer Art Marschall-Plan in die Infrastruktur investieren“

Aber ist es nicht eine Frage der Zeit, bis die Länder weltweit sich dem Klimaschutz anschließen müssen? Also auch Polen?
Wünschenswert wäre natürlich eine zentrale Steuerung des CO2-Preises global. Wenn alle Wettbewerber gleichgestellt sind, ist das fair – aber vielleicht illusorisch. Aber mindestens in unserer europäischen Union sollten wir gleichgerichtet agieren und gleiche Rahmenbedingungen schaffen. Natürlich kann es auch sein, dass etwa Polen dasselbe Schicksal ereilt wie das Ruhrgebiet und es über kurz oder lang auf Grund europäischer Entscheidungen und Regeln mit seinem Geschäftsmodell nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Das schauen wir uns gerade ganz genau an. Weltweit ist China der größte Stahlhersteller, da werden zwei Drittel des Weltstahls hergestellt. Die haben sich einen sehr lang gestreckten Zeithorizont bis 2060 für die Carbon-Neutralität gegeben. Durch die strengeren, zeitnah greifenden Gesetze in Europa verlagert sich das Gleichgewicht immer weiter nach China. Die fangen mit der CO2-Reduktion erst richtig an, wenn sie sich das Geschäft aus Europa gesichert haben. Da sitzt politischer Zündstoff dahinter.

Die Idee ist ja, die Industrie zu einem Umstieg auf saubere Brennstoffe zu bewegen – anders werden wir nicht klimaneutral produzieren können.
Das Problem ist, dass wir aktuell gar keinen CO2 neutralen Wasserstoff kaufen können, um unsere Öfen zu betreiben. Er wird schlicht nicht in den Mengen hergestellt, die wir brauchen. Alle 20 Minuten müsste ein LKW voll Wasserstoff zu unserem Werk rollen, damit wir unsere Öfen betreiben können. In der Stahlveredelung brauchen wir Temperaturen bis zu 960 Grad, um den Stahl je nach Kundenwunsch besonders zu härten oder ihm Spannkraft zu geben, wie er in den Federn etwa von Sicherheitsgurten nötig ist. Die beste Lösung wäre wohl, grünen Wasserstoff da herzustellen, wo die Sonne immer scheint und über ein Pipelinesystem zu uns ins Ruhrgebiet zu bringen. Da ist die Politik gefragt: Sie muss wie nach dem Krieg mit einer Art Marschall-Plan in die Infrastruktur investieren. Wir müssten längst die nötigen Pipelines für Wasserstoff bauen. Doch die Politik investiert Milliarden in Grundlagenforschung. Forschen ist gut, aber wir müssten jetzt schon machen, machen, machen.“

*Wenn er falsch gemacht wird. Das anspruchsvollste Projekt der jüngeren Wirtschaftsgeschichte wird auch das teuerste, wenn die Politik zu viele Fehler begeht. Dabei muss Klimaschutz weder Jobs noch Wohlstand kosten.
von Nele Husmann, Stefan Hajek, Max Haerder, Martin Seiwert, Thomas Stölzel, Cordula Tutt, Silke Wettach

Stahlkonzerne wie Arcelor Mittal bauen eigene Windkraftanlagen, um selbst grünen Wasserstoff zu produzieren.
Die Stahlerzeugung haben eine so großen Energiebedarf, dass sie von jeher ihre eigene Versorgung in einer Kuppelproduktion bestritten haben. Unser Geschäft als Mittelständler aber ist die Veredelung von Stahl, nicht die Erzeugung von grüner Energie. Wir sind auf Lieferungen von Versorgern einfach angewiesen.

Sie hatten sich ja gemeinsam mit dem Energiekonzern RWE für die Erzeugung von türkisen Wasserstoff durch Pyrolyse stark gemacht.
Wir hatten zugesagt, den Wasserstoff, den RWE mit diesem Prozess erzeugt, abzunehmen –leider aber führt die RWE dieses Projekt nach einem Wechsel in der Chefetage nicht fort. Unsere Hoffnung ist jetzt die Anstrengung von lokalen Gasnetzbetreibern, eine Pipeline für Wasserstoff bis zu unserem Werk zu bauen. Für uns ist es recht leicht, unsere Öfen von Gas auf Wasserstoff umzustellen. Neue Öfen ordern wir grundsätzlich „Wasserstoff-ready“ – da reicht das Umlegen eines Schalters.

Ist es auch vorstellbar, dass die Stahlindustrie sich langfristig dort ansiedelt, wo grüne Energie direkt und in Hülle und Fülle erzeugt wird?
Das ist keinesfalls abwegig – dann aber könnte es passieren, dass die ganze Wertschöpfungskette mit dorthin zieht. Denn lange Transportwege machen bei einem so schweren Produkt wie Stahl keinen Sinn. Ohne eine Pipeline, die grünen Wasserstoff etwa aus Nordafrika liefert, kann es für einen Stahlkonzern wirklich interessant sein, sein Werk dort anzusiedeln. Für uns wäre das schwierig, weil wir zum einen nicht so viele qualifizierte Arbeitskräfte finden würden, zum anderen dort sein müssen, wo unsere Kunden sind.

Oft beschweren sich die Unternehmen über neue Regulation am Lautesten, die eh schon angeschlagen sind. Auch Waelzholz entließ 2020 fast zehn Prozent seiner Mitarbeiter. Aktuell müsste Ihnen die Chipkrise, die zu einer Drosselung der Autoproduktion führt, auch zu schaffen machen.
Wir erleben gerade einen Boom in unserem Non-Automotive Geschäft, das bei uns 40 Prozent des Geschäfts ausmacht. Die enorme Nachfrage nach Heimwerkerprodukten wie Gartengeräte oder Sägen sowie Scharniere für die Möbelindustrie kommt auch bei uns an. Das macht eine um 15 Prozent verringerte Nachfrage im Automobilbereich mehr als wett. Die Personalanpassung war nötig, um Redundanzen nach den Übernahmen von zwei Wettbewerbern abzubauen. Dabei fielen etliche Stellen in der Verwaltung weg. Inzwischen haben wir in der Produktion fast wieder dieselbe Personaldecke, weil wir in den Werken eingestellt haben.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Dennoch sind Sie als Lieferant für die deutschen Autounternehmen stark abhängig vom Verbrennungsmotor.
Wir sind sehr flexibel. Vor sechs Generationen startete meine Familie das Unternehmen, um Drähte für Korsetts und Reifröcke herzustellen. Dann war die Textilindustrie ein großer Kunde. Auch jetzt können  wir uns an den technologischen Wandel gut anpassen. Natürlich geht unser Stahl noch in die Motoren, Getriebe und Kupplungen, aber wir stellen auch Elektroband her, das für Elektromotoren nötig ist und Trennwände für Brennstoffzellen. Dazu haben auch Elektroautos Teile wie Sitzschienen und Sicherheitsgurte, die aus unseren Produkten gefertigt werden. Am besten sind Hybrid-Autos für uns – die brauchen nämliche für beide Antriebe Material von uns.

Mehr zum Thema: Der Berliner Alleingang in Sachen Klimaschutz stößt Mittelständlern bitter auf. Ausgerechnet die Verordnung, die ein Abwandern in klimapolitisch laxere Regionen verhindern soll, lässt sie just diesen Schritt erwägen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%