Der Post-Corona-Kunde „Am besten, der Laminatboden wird per Drohne durchs Fenster geworfen“

Laminatböden per Augmented Reality? Quelle: imago images

Die Pandemie hat das Konsumverhalten der Menschen verändert: Sie wollen alles online, alles jetzt. Das trifft selbst Hersteller von Laminatböden. Der Weltmarktführer Swiss Krono geht nun neue Wege - mit Obi und Hornbach.

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Der Moment der Erleuchtung kam Martin Brettenthaler vor einigen Jahren. Der Chef von Swiss Krono war gerade auf der Interzum, der weltweiten Leitmesse für Möbelfertigung und Innenausbau. Seine Firma Swiss Krono gilt in der Branche als Weltmarktführer, setzt rund 2,1 Milliarden Schweizer Franken im Jahr um. Bisher wickelten die Schweizer viele Geschäfte auf solchen Messen oder über den Direktvertrieb ab. Doch plötzlich war vieles anders.

Brettenthaler beobachtete, wie Kollegen, Kunden und Wettbewerber auf der Messe von Dingen wie „Customer Journey“ redeten. Für Brettenthaler, ein Mann, der bei Terminen noch Krawatte trägt, waren das ungewohnte Vokabeln. „Unsere Branche ist traditionell sehr techniklastig und produktionsorientiert. Konzepte wie 'Customer Journey' waren vor fünf Jahren hier weitestgehend unbekannt.“

Seither befindet sich einer der wichtigsten Produzenten für Holzwerkstoffe im Umbau, weg von Excel-Sheets und hin zur Datenautobahn. Nicht weniger als die besten wollen sie in ihrer Branche werden, verkündet Brettenthaler. Natürlich, was auch sonst. Dafür will er einen zweistelligen Millionenbetrag investieren, wie der Chef der Swiss Krono gegenüber der WirtschaftsWoche verrät. Doch reicht das?

Swiss Krono ist ein typischer Weltmarktführer: Milliardenumsatz, tausende Mitarbeiter, doch bei den meisten Menschen genauso bekannt wie der Erfinder des Bügeleisens. Seit mehr als 55 Jahren gibt es das Unternehmen aus Luzern. Firmengründer Ernst Kaindl, der 2017 verstarb, baute die Firma zu einem Milliardenkonzern aus.

Geld verdienen die Schweizer heute in drei Segmenten: zum einen Bauplatten für den Roh- und Innenausbau, zum anderen Zulieferprodukte für Möbelhersteller wie Küchenbauer. Der dritte Geschäftsbereich richtet sich an die Endkonsumenten. Swiss Krono baut Fußböden – und macht rund 38 Prozent seines Umsatzes damit. Die Produkte verkauft Swiss Krono nicht direkt, sondern über Baumärkte wie Hornbach oder Obi. Wer also in den vergangenen Jahren einen neuen Laminatboden hat verlegen lassen, könnte die Produkte von Swiss Krono heute in seinem Wohnzimmer finden.

Viele Jahre lief es für die Firma so glatt wie die Paneele der hauseigenen Laminatbodenmarke Grand Selection. Es gab kaum Grund zur Veränderung, so schien es. Doch mit den neuen Bedürfnissen der Verbraucher musste sich auch Swiss Krono wandeln. „Früher kam der Kunde ins Geschäft, ließ sich beraten, dann gab es ein Prospekt und drei Wochen später hat er ein paar Materialproben bekommen“, sagt Brettenthaler. „Das war völlig normal.“ Heute gehe das nicht mehr. Die Menschen seien durch Amazon und andere Dienste an eine On-Demand-Gesellschaft gewöhnt: Sie wollten das Produkt spätestens in ein paar Tagen, besser noch am selben. „Die Menschen wollen Liefergeschwindigkeiten wie für ein Buch von Amazon. Am besten“, so scherzt der Firmenchef, werde der Laminatboden „per Drohne durchs Fenster geworfen“.

Für einen trägen Riesen wie Swiss Krono sind die neuen Verhältnisse eine große Herausforderung, immerhin trugen Mitarbeiter bis vor wenigen Jahren noch die meisten Daten in Excel-Tabellen ein – kein Big Data, keine Hightechlösung.

Konkurrenz zu Baumärkten aufzubauen, „macht keinen Sinn“

Verstärkt hat sich der Trend dann sogar noch einmal durch die Pandemie. Deutschland war plötzlich im Baumarktfieber. Die eigenen vier Wände wollten viele hübsch machen: den alten Dachboden ausbauen, den Fußboden neu verlegen oder die Hausfassade streichen. Die Erlöse der Baumärkte schossen in die Höhe, die Regale waren teils leergefegt und die Webseiten der Online-Shops brummten.

Bei Swiss Krono tüftelten sie zu dieser Zeit an einem eigenen Webshop für Endkunden. Das Unternehmen gründete ein eigenes Start-up, doch der Versuch scheiterte grandios. In der Rückschau ist klar, warum. „Die Leute suchen nach neuem Laminatboden bei Obi, bei Hornbach, aber nicht bei Swiss Krono.“ Konkurrenz zu den eigenen Großkunden, also zu den Baumärkten, aufzubauen, „macht keinen Sinn“, sagt Brettenthaler.

Also alles auf Anfang. Statt an einem Online-Shop beginnen sie in der Schweiz daran zu tüfteln, den Firmenkunden mehr und bessere Daten zur Verfügung zu stellen – damit die die Produkte von Swiss Krono in den Baumärkten besser an den Mann und die Frau bringen zu können. Entstehen soll am Ende ein Kundenportal im B2B-Bereich, in dem alles zusammenläuft - und am besten noch vollautomatisch. Dazu brauchen sie immer mehr Daten und müssen diese auch entsprechend aufbereiten.

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Beispiel Laminat: Die Kunden, so erzählt es Brettenthaler, wollen heute ihr Smartphone nehmen, es ins Wohnzimmer halten und in Augmented Reality den Fußboden sehen, den sie vielleicht kaufen wollen. Oder sie wollen sich das Laminat und seine Oberflächen in 3D ansehen, auf dem Smartphone, auf dem Tablet, auf dem Desktop. Zusätzlich müssen die Verteiler, Baumärkte wie Obi oder Hornbach, genau wissen, wann, wie und wo welches Teil zu haben ist, um die Kunden nicht mit langen Lieferzeiten zu enttäuschen. All diese Daten wollen sie bei Swiss Krono jetzt sammeln und über das B2B-Portal an den Baumarkt oder auch andere Geschäftskunden weitergeben.

Für den Umbau haben sie sich für die Lösung eines deutschen Start-ups entschieden: Spryker aus Berlin, die bereits Kunden wie Metro und Aldi Süd gewinnen konnten. Die junge Firma soll mit ihrer Softwarelösung dem Schweizer Weltmarktführer helfen, fit fürs 21. Jahrhundert zu werden. Das 2014 gegründete Start-up positioniert sich selbst als kleines Gegenstück zu SAP und soll nun helfen, das Kundenportal aufzubauen.

Für die Schweizer wird das eine Aufgabe über Jahrzehnte. Immerhin müssen sie die Daten für die einzelnen Produkte zunächst finden, dann aufbereiten und all das auch in den Produktionsbetrieb integrieren. Einen ersten Ausblick, wie es dann künftig aussehen könnte, gibt schon heute das Geschäft in den USA: Dort teilen große Warenhäuser wie Home Depot die Verkaufsdaten. Statt sich selbst die Mühe zu machen, Prognosen zu treffen, erwarten die Märkte nun Vorschläge von Swiss Krono, welches Dekor oder welcher Laminatboden in welcher Größenordnung künftig verkauft wird, errechnet anhand der eigenen Daten und der Daten von Swiss Krono. „Das erwarten wir auch für Europa“, sagt Brettenthaler.

Mehr zum Thema: Microsoft geht bei virtueller und erweiterter Realität den nächsten Schritt: Künftig sollen die 3D-Abbilder von Nutzern in Echtzeit miteinander konferieren können.

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