Digitale Revolution Wo Gründer auf Kohle treffen

Die einen begründen ihr Geschäftsmodell darauf, die anderen sehen ihres dadurch bedroht. Das Thema Digitalisierung brachte auf der Zeche Zollverein alte Familienunternehmen, Mittelständler und Start-ups zusammen.

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Investor Frank Thelen (M.) und die Gründer von Richtiggutbewerben.de, Adil und Bilal Zafar (v.l.). Quelle: Julius Gnoth

Essen Der Kontrast hätte stärker kaum sein können. Im Schatten des Doppelbocks von Schacht 12 der Zeche Zollverein in Essen – Inbegriff der „Old Economy“ - traf sich die Digitalszene von Nordrhein-Westfalen. Rund 800 Personen waren zum ersten Summit Digitale Wirtschaft NRW gekommen, um zu diskutieren und zu netzwerken. Eine bunte Mischung aus Gründern, Investoren und Traditionsunternehmen – wobei die Anzugträger das Bild deutlich dominierten. Alle eint eine umwälzende Entwicklung: die Digitalisierung. Die einen begründen darauf ihr Geschäftsmodell, die anderen sehen ihr bisheriges dadurch bedroht.

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“ – diese antike Weisheit ist Stephan Gemkows offene und ehrliche Antwort auf die Digitalisierung. Eines aber weiß der Vorstandsvorsitzende der Familienholding Franz Haniel sicher: „Die Art der Unternehmensführung muss sich radikal ändern.“ Haniel könne sich nicht auf den Lorbeeren von 260 Jahren Firmengeschichte ausruhen.

Unternehmen könnten heute keine anderthalb Jahre mehr ein neues Geschäftsmodell testen bis zu einer Entscheidung. „Wir müssen ausprobieren, machen, schnell aufhören, wenn’s nicht klappt. Dann wieder etwas Neues machen“, so Gemkow. Dafür bekommen die Mitarbeiter Freiräume und mehr Verantwortung.

Haniel hat eine „digitale Werkbank“ aufgebaut – einen geschützten Raum, in dem gemischte Teams an digitalen Projekten schrauben. Die Digitaleinheit „Schacht One“ wurde vor wenigen Monaten ganz bewusst auf dem Gelände des Industriedenkmals Zeche Zollverein gegründet – dort, wo Franz Haniel einst begann, Fettkohle zu fördern. „Franz Haniel würde heute scheitern“, sagt Gemkow.

Haniel vernetzt sich zudem über seinen Wagniskapitalfonds mit der Gründerszene. Von den Start-ups wollen die Unternehmen der Holding von Metro bis Celesio vor allem lernen. „Wissen ist Macht“ – das stimme im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr, so Gemkow. „Lernen ist heute Macht!“

Eine neue Macht, die eine Branche über Nacht auf den Kopf gestellt hat, ist das Start-up Uber. „Wir sind kein Taxiunternehmen, sondern ein Technologieunternehmen“, stellt Christopher Burghardt, Politik- und Kommunikationschef von Uber Deutschland, klar. In Deutschland ist Uber umstritten und erst in Berlin und München am Start. Burghardt betont: Veränderungen durch die Digitalisierung seien zwar zuweilen schmerzhaft, brächten aber mehr Positives als Negatives.

So seien durch Uber 23 Millionen Liter Benzin eingespart worden, weil sich die Menschen Fahrten mit Uber Pool teilten. Jeder Düsseldorfer Autofahrer stehe jährlich 50 Stunden im Stau. Gemeinsam genutzte Mobilität könne viel für Menschen und Umwelt verbessern. Uber denkt noch weiter: Uber Eats liefert in den USA Essen aus, in Pittsburgh sind bereits selbstfahrende Taxis unterwegs. Selbstfahrende LKW, die etwa Bier für Anheuser Busch ausfahren, sind keine Zukunftsvision mehr.


Die neue Berliner Konkurrenz

Zu den Start-ups, die das Geschäftsmodell einer mächtigen Branche zerrütten, gehört auch Auxmoney. Das Düsseldorfer Fintech, 2007 von Studenten gegründet, ist ein privater Marktplatz für Kredite. Anleger arbeiten über Auxmoney direkt mit den Kreditnehmern zusammen. „Die Bank als Mittelsmann ist ausgeschaltet“, konstatiert Co-Gründer Philipp Kriependorf.

20 Millionen Euro vermittelt Auxmoney jeden Monat – auch an Kreditnehmer, die von den traditionellen Banken zuvor abgelehnt wurden. Zwei renommierte Risikokapitalgeber haben in die Düsseldorfer investiert – beide kommen aus den USA. Warum keine Investoren aus Deutschland? „Hier gibt es mehr Leute, die genau wissen, warum etwas nicht geht“, konstatiert Kriependorf.

Nicht nur Banken und Konzerne, auch kleine und mittelständische Unternehmen sind in ihrem Geschäftsmodell von der Digitalisierung bedroht. Alarmierend : „70 Prozent der Mittelständler haben gar keine Digitalstrategie“, sagt Moderator Tobias Kollmann, Professor für E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Sie sehen zwar den Trend, fühlen ihr eigenes Unternehmen aber nicht betroffen. „Die fegt es weg auf dem Weltmarkt, wenn sie sich nicht auf die Digitalisierung einstellen“, warnt NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD).

„Entweder man macht es – oder man stirbt“, so die Erkenntnis von Mittelständler Thomas Görner in Sachen Digitalisierung. Seit 1920 führt seine Familie die Fotofachhandlung Foto Koch in Düsseldorf. „Wir sind von der Digitalisierung zweifach gekniffen“, sagt er – einmal durch die Smartphones, die Fotoapparate verdrängt haben, dann durch den E-Commerce. Zwar hat Foto Koch schon 1999 einen Onlineshop eröffnet, doch hat Görner nun auch den Laden total umgekrempelt. Große Touchscreens erweitern das Sortiment zum Onlineshop. Digitale Preisschilder zeigen Internet-Bewertungen und den Preis von Amazon an. So will sich der Fachhändler gegen die E-Commerce-Riesen behaupten.

„In Nordrhein-Westfalen haben wir eine einzigartige Kombination aus Start-ups und digital denkenden Unternehmen“, betont Minister Duin. Das Land will in Sachen Digitalisierung und Gründer nicht mehr hinter Berlin zurückstehen. Mit Bonn, Köln, Düsseldorf, Aachen, dem Münsterland und dem Ruhrgebiet will NRW künftig sechs digitale Hubs fördern. Zudem hat die NRW-Bank ein bundesweit wohl einzigartiges Projekt gestartet: Investiert ein vorab geprüfter Business Angel 50.000 Euro in ein Start-up, legt die Bank noch einmal 50.000 Euro drauf. Zehn Millionen Euro stehen dafür bereit.

Dass es nicht nur in Berlin, sondern auch in NRW vielversprechende Start-ups gibt, zeigt sich beim finalen Pitch. Candidate Select, eine „Schufa für akademische Leistung“, will Studiennoten vergleichbarer machen. Richtiggutbewerben.de lässt Bewerbungen von Profis optimieren. Scedule vereinfacht mit einer App das Verabreden von Meetings. Investor Frank Thelen, Jurymitglied aus Start-up-Show „Die Höhle der Löwen“, kommentiert die Geschäftsmodelle mit gewohnter Bissigkeit.

Die Zuschauer sollen entscheiden, welches Start-up gewinnt. Als fesche Hostessen im Kostüm mit gläsernen Wahlurnen lächelnd zur Bühne schreiten, kann Digitalexperte Frank Thelen kaum noch an sich halten: „Eine analoge Abstimmung auf einer Digitalkonferenz?!“ Davon muss er sofort ein Foto machen. „Dafür gibt es doch eine App!“ Auch die Veranstalter können bei der Digitalisierung noch ein bisschen lernen...

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