Direktvertrieb Nicht nur der Thermomix boomt

Der Umsatz im Direktvertrieb hat sich in zehn Jahren verdoppelt. Fast 900.000 Vertriebler verkaufen ihre Produkte meist auf Partys in deutschen Wohnzimmern. Die Branche sucht händeringend Leute.

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Fast die Hälfte der deutschen Direktvertriebe nutzt Verkaufspartys. Quelle: Bundesverband Direktvertrieb Deutschland

Düsseldorf Petra Döring ist das, was man eine Seriengründerin nennt. Ihr Spezialgebiet: Direktvertrieb. Die Industriekauffrau mit Management-Abschluss aus London gründete noch im Studium 1990 ihr erstes Unternehmen Cabouchon. Das verkaufte Modeschmuck nicht über einen Laden, sondern direkt an die Kundinnen. Döring blieb der Vertriebsform treu: 2002 gründete sie Energetix, das Magnetschmuck meist auf Partys im Wohnzimmer verkauft. Nach Querelen mit dem Geschäftspartner stieg Döring aus. Und baute mit Magnetix Wellness im Anschluss einen weiteren Direktvertrieb für Magnetschmuck auf. Inzwischen hat das Unternehmen nach Dörings Angaben über zehn Millionen Kunden weltweit. Am Hauptsitz in Frankfurt sind 75 Mitarbeiter beschäftigt. Rund 2000 freie Vertriebler sind in 25 Ländern für Magnetix Wellness im Einsatz. Der Bruttoumsatz stieg 2016 auf rund 20 Millionen Euro.

„Beim Direktvertrieb profitieren alle. Unser Kunde bekommt eine ausführliche Beratung und kann die Produkte in Ruhe zu Hause ausprobieren, und unsere Vertriebspartner können sich eine sichere Existenz aufbauen“, sagt Petra Döring.

Die Direktvertriebsbranche boomt – nicht zuletzt dank Bestsellern wie dem Thermomix von Vorwerk. Die Kult-Küchenmaschine ist nur über Kochpartys (neudeutsch: Erlebniskochen) zu erwerben. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Umsatz der Branche hierzulande fast verdoppelt. Im Jahr 2007 wurden 8,7 Milliarden Euro umgesetzt, 2016 waren es 17 Milliarden Euro. Das zeigt die aktuelle Marktstudie der Universität Mannheim, die im Auftrag des Bundesverbands Direktvertrieb Deutschland (BDD) jährlich durchgeführt wird. Rund 300 Direktvertriebe wurden analysiert. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Umsatz um vier Prozent.

Der Erfolg eines Direktvertriebs steht und fällt – neben dem Produkt - mit den Verkäufern. 2016 konnten die deutschen Unternehmen 26.000 neue Partner gewinnen. Insgesamt sind 865.883 Verkaufsberater für die Branche tätig, drei Prozent mehr als im Vorjahr. Zum Großteil sind es Frauen. Rund zwei Drittel aller Berater sind nebenberuflich tätig. „Gleichwohl übersteigt die Anzahl der Vertriebspartner im Direktvertrieb die Summe aller Arbeitnehmer, die in der deutschen Automobilindustrie tätig sind“, konstatiert Studienautor Florian Kraus, Professor für Marketing von der Universität Mannheim. 2021 dürfte es wohl eine Million Direktvertriebler in Deutschland geben. Allerdings ist es nicht leicht, geeignete Berater zu finden. Die meisten springen nach kurzer Zeit wieder ab. Neue Vertriebler zu gewinnen, betrachten die Firmen denn auch als größte Herausforderung.

„Im Direktvertrieb genießen Vertriebspartner einen sehr hohen Stellenwert verglichen mit anderen Branchen. Ihre Begeisterung und Freude am Verkaufen sind unbedingte Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens und der gesamten Branche“, meint Jochen Acker, BDD-Vorstandsvorsitzender. Entsprechend werden die Vertriebler gepampert – mit Belohnungsreisen in die Karibik oder ins Wellnesshotel, Dienstwagen und Urkunden für besondere Erfolge.


Am Image wird gearbeitet

Die beliebteste Direktvertriebsart ist und bleibt mit rund 50 Prozent die Verkaufsparty. Ansonsten wird bei Vertreterbesuchen (35 Prozent), am Arbeitsplatz (zwölf Prozent) oder auf Messen (sieben Prozent) verkauft. Fast die Hälfte aller Verkaufspartys kann einen Bestellwert von 250 bis 500 Euro verzeichnen. Bei 30 Prozent der Partys werden über 500 Euro umgesetzt. „Das zeigt, dass die Kunden die Attraktivität und Qualität der Produkte sowie die besondere und individuelle Beratung im Direktvertrieb schätzen“, kommentiert Kraus die Zahlen. Beliebte Produkte im Direktvertrieb sind Kosmetik und Wellness (17 Prozent), Schmuck und Accessoires (17 Prozent), Energie- und Kommunikationsdienstleistungen (15 Prozent) und Haushaltwaren sowie Textilien (je 13 Prozent).

Ein auffälliger Trend: Immer mehr Direktvertriebe nutzen inzwischen weitere Verkaufskanäle. 46 Prozent verkaufen auch online über einen Internetshop oder über Social Media. 22 Prozent haben einen Flagstore oder Outlet-Laden. Auch Vorwerk hat heute mehr als 50 Läden, in denen zum Beispiel der Staubsauger Kobold zu kaufen ist. Tupperware plant ebenfalls bundesweit Stores, vornehmlich für die Beratung und Anwerbung neuer Vertriebler. Solche Läden sollen die öffentliche Wahrnehmung von Marken stärken, die sonst fast nur in privaten Wohnzimmern zu sehen sind. 14 Prozent der Direktvertriebe – doppelt so viel wie vor einem Jahr – verkaufen auch im Einzelhandel.

Die zweitgrößte Herausforderung ist für die Direktvertriebe unterdessen nach eigener Sicht die Arbeit am Image. „In der Vergangenheit tummelten sich sicherlich so einige Schwarze Schafe in der Branche“, sagte Thomas Stoffmehl, Chef des europäischen Branchenverbands Seldia, kürzlich dem Handelsblatt. Es gab illegale Schneeballsysteme, unseriöse Haustürgeschäfte oder überteuerte Startersets, die Vertriebspartner kaufen mussten. Heute tauschten sich die Leute jedoch im Internet sofort aus, wenn sie sich über ein Unternehmen ärgern oder dieses illegal arbeitet, so Stoffmehl. Das lasse Schwarze Schafe schnell auffliegen. Zudem haben die Verbände der Direktvertriebe ethische Standards eingeführt.

Die Branche sieht derzeit kein Ende des Booms. Die Unternehmen rechnen mit einem Umsatzplus von acht Prozent auf rund 18,4 Milliarden Euro. Auch wenn der Direktvertrieb nur ein kleines Stück vom 500 Milliarden-Umsatz-Kuchen des gesamten Einzelhandels abbekommt.

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