DMG Mori kooperiert mit Start-up Wie lange ersetzt die Videoschulung die Weltreise?

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Der Werkzeugmaschinenhersteller DMG Mori flog seine Mitarbeiter für Seminare rund um den Globus. Jetzt soll ein Großteil der Weiterbildung über die Lernplattform des Start-ups Masterplan laufen. Corona sorgte für einen Kaltstart.

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Mittlerweile steht sogar ein eigenes Filmstudio: In einem seiner Werke hat der Werkzeugmaschinenhersteller DMG Mori nun einen eigenen Raum, um Videos in TV-Qualität aufzuzeichnen. In nicht einmal zwei Jahren sind hier und an anderen Standorten bereits an die 400 Clips entstanden. Denn das Traditionsunternehmen mit Sitz in Bielefeld hat Anfang 2020 seine Weiterbildungsstrategie umgestellt – und damit auch einen eigenen Wandel angestoßen.

Die Bedeutung der Schulungen ist dabei groß: Fünf Jahre Ausbildung seien nötig, bis ein DMG-Mori-Servicetechniker allein an einer Maschine arbeiten dürfe, berichtet Generalbevollmächtigter Maurice Eschweiler. An 138 Standorten weltweit sind 12.000 Mitarbeiter tätig, in 86 Ländern hat das Unternehmen Kunden.  In der Vergangenheit gaben eine Hausausstellung und eine Leitmesse den Takt vor: Jeweils einige Tage zuvor flogen zahlreiche Beschäftigte ein, dann wurde intensiv geübt und geschult. Gut für den Zusammenhalt, schlecht für den Lernerfolg: „Aufgrund der Fülle an Informationen in kurzer Zeit bleibt natürlich nicht viel hängen“, sagt Eschweiler.

Auf der Suche nach neuen Konzepten stieß das Unternehmen auf Masterplan. „Wir sind eine permanent lernende Organisation“, sagt DMG-Mori-Manager Eschweiler, „bis zur Einführung von Masterplan haben wir aber sehr klassisch gelernt.“ Das 2017 in Bochum gegründete Start-up hat sich ganz auf die Bedürfnisse von Unternehmen fokussiert. Statt Spanischkurse gibt es hier SAP-Schulungen. Gestartet ist Masterplan mit eigenen Inhalten. Mittlerweile erstellen aber Unternehmenskunden individuelle Kurse und spielen die an ihre Mitarbeiter aus. Zu den Nutzern des Start-ups zählen Firmen wie die Stadtwerke Herne, Miele, Beiersdorf oder der Spezialbaustoffhersteller Ardex. „Wir wollen das Betriebssystem für eine lebenslange Lernreise sein“, formuliert es Gründer Stefan Peukert.  

Keine Angst vor der Kooperation

Einige Mittelständler und Konzerne scheuen vor Kooperationen mit jungen Digitalfirmen zurück: Sie fürchten, dass die Gründer zu schnell wieder aufgeben, wollen nicht mit unausgereifter Software arbeiten – oder ihre Einkaufsrichtlinien verlangen zwingend positive Bilanzen. Umgekehrt machen Traditionsfirmen wie DMG Mori, die sich an Start-ups herantrauen, jedoch häufig gute Erfahrungen: Sie können die Produktentwicklung in ihrem Sinne mit beeinflussen, können Sonderwünsche einbringen – und erleben ein großes Engagement von Seiten der jungen Tech-Unternehmen. „Wir arbeiten sehr gerne mit Start-ups in frühen Phasen zusammen“, sagt Eschweiler, „weil wir dann gemeinsam etwas entwickeln können.“

In kurzer Zeit entstanden so bei DMG Mori mehr als 60 sogenannte Lernpfade. Das sind eigene Kurse, die aus verschiedenen Übungen, Videos und kurzen Fragebögen zusammengebaut werden. Das erforderte jedoch einen Umbau bei dem Unternehmen: Nicht jeder erfahrene Kollege fühlte sich auch vor der Kamera wohl, altes Schulungsmaterial musste anders umgesetzt werden. Für geeignete Kandidaten gab es Fortbildungen, wie sie die Inhalte digital aufbereiten. „Das ist eine Herkulesaufgabe, denn die Videos müssen kurz, aber gut sein“, sagt Stefan Peter, der das Thema bei DMG Mori jetzt als Leiter der neu geschaffenen „Digital Academy“ verantwortet.

Kleines Team, viel Koordination

Groß ist das Team jedoch nicht: Peter koordiniert sich mit zwei weiteren Kolleginnen, darüber hinaus gibt es keine eigenen Mitarbeiter für die Weiterbildungen. Stattdessen ist viel Abstimmung gefragt: Vertriebsverantwortliche in den jeweiligen Ländern melden an, für welches Produkt besonderer Bedarf besteht. Die Geschäftsführung muss entscheiden, welche Videoideen als nächstes umgesetzt werden sollen. Und die Personalabteilung berät zur Frage, wie viel Material den Mitarbeitern überhaupt zugemutet werden darf. „Man darf nicht zu viel machen“, sagt Eschweiler, „die Dosierung ist eine Wissenschaft für sich“.

Neben den Inhalten muss daher auch die Organisation umschulen. „Es reicht nicht, wenn man ein Programm einkauft – aber es dann den Mitarbeitern verbietet, zu lernen“, berichtet Masterplan-Gründer Peukert von Negativbeispielen. Bei DMG Mori waren zentrale Seminare zuvor häufig mit den Reisen verbunden, Weiterbildung standen so als kompakter Block im Kalender der Mitarbeiter. Jetzt stehen die digitalen Kurse auf der Plattform bereit. Und die Beschäftigten sind frei darin, wann das Video in ihren Alltag passt: „Es ist etwas ganz Neues, wenn man lernen kann, wann und wo man will“, sagt Eschweiler.

Der Spindeltausch lässt sich nicht per Software lernen

Geplant war daher ein behutsamer Start zu Beginn des letzten Jahres. „Wir haben mit einer kleinen Gruppe von 30 Mitarbeitern angefangen und wollten uns vorarbeiten“, berichtet Isa Schlünder, die für Masterplan den Großkunden DMG Mori betreut. Eine geübte Taktik, wenn neue Software eingeführt wird: Besonders technikaffine Mitarbeiter werden früh mitgenommen – und sollen dann ihre Erfahrungen und im Idealfall ihre Begeisterung in die Abteilungen tragen. Doch Corona sorgte in diesem Fall für einen Kaltstart: Reisen wurden im vergangenen Frühjahr plötzlich unmöglich, zahlreiche Schulungen – sowohl intern als auch für Kunden – mussten digital abgewickelt werden. Schon Mitte März 2020 konnte DMG Mori auf Kurse via Masterplan umstellen. Mittlerweile seien 4500 Kolleginnen und Kollegen für die Plattform freigeschaltet, meldet DMG Mori, etwas mehr als 70 Prozent der deutschen Belegschaft.

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Grenzen bleiben jedoch: „Den Austausch einer HSK63-Spindel können sie nicht per Video lernen“, sagt Eschweiler. Um die Handgriffe zu üben, werden die Servicetechniker also auch in Zukunft immer wieder zu Seminaren vor Ort reisen – solange nicht Datenbrille oder virtuelle Realität in der Weiterbildungspraxis ankommen. „Wir werden sicher wieder die eine oder andere Schulung in Präsenz machen“, sagt Eschweiler. „Aber die großen Präsenzveranstaltungen werden eher nicht zurückkommen.“

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