Edel-Porzellan Meissen setzt jetzt auf Klamotten

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Schnell unglaubwürdig

Brilli made by Meissen: Der Spagat bedroht die Glaubwürdigkeit. Quelle: Presse

"Alle Jobs, die ich vorher hatte, dienten nur einem Zweck: als Vorbereitung für Meissen", sagt Kurtzke. An seinen Handgelenken blitzen unter den Ärmeln des dunkelblauen Anzugs goldene Manschettenknöpfe mit dem Meissen-Emblem hervor. Auch die orangefarbene Seidenkrawatte ist von Meissen, Kurtzke hat sie selbst entworfen. Das schuppenartige Muster zierte einmal den Rand einer Meissen-Porzellan-Vase. Er entdeckte das Motiv zufällig im Firmenarchiv mit seinen 60.000 Dekoren, vergrößerte einen Ausschnitt und druckte es auf eine Krawatte.

Kurtzke hat die Porzellanmanufaktur verändert wie keiner vor ihm. Er verlässt sich nicht mehr auf den klassischen Einzelhandel, sondern betreibt neben dem Geschäft in Meissen seit 2008 neu konzipierte Boutiquen in Köln, Hamburg, Berlin, Stuttgart. Die Flagship-Stores offerieren die gesamte glitzernde Meissen-Welt: viel Gold, kristallene Lüster, gediegenes Interieur.

Der Strategie ist nicht ohne Risiko. Weder die Opulenz noch die neue Produktpalette trifft jedermanns Geschmack. Kurtzke schätzt, dass er mit den Boutiquen rund 90 Prozent seiner Kunden verloren, aber mindestens ebenso viele gewonnen hat. Um den klassischen Porzellankäufer nicht komplett zu verschrecken, erweiterte er das Programm nur langsam. Auf den Schmuck folgten Lampen und Seidenteppiche, im Herbst kommt die Mode. Gegen Ende des Jahres will er Ledergürtel, Taschen und eine Serie mit Füllfederhaltern dazubringen. Allerdings erhält Kurtzke auch Filialen im alten Stil. Die ebenfalls von Meissen betriebenen Shops führen weiterhin ausschließlich Porzellan.

Cassidy Morgan, Europa-Chef der Markenagentur Interbrand, sieht die Spreizung der jahrhundertealten Marke kritisch: "Wenn die Entfernung zu groß wird, dann macht sich Meissen, vor allem bei der deutschen Klientel, schnell unglaubwürdig."

Kritik ganz anderer Art schlägt Kurtzke am Firmensitz in Meißen entgegen, wo sich viele Einwohner um die Zukunft "ihrer" Porzellanmanufaktur sorgen. Zu DDR-Zeiten brachte die Manufaktur harte Westwährung, noch immer ist sie mit 600 Stellen der wichtigste Arbeitgeber der 28.000-Einwohner-Stadt. Das Weiße Gold war die ganze Zeit der Stolz der strukturschwachen Region an der Elbe, und da kommt einer wie Kurtzke, streicht das "Porzellan" aus dem Firmennamen und nennt Meissen nur noch Manufaktur.

Drum sammeln sich einmal im Monat Kurtzke-Gegner in einer Meißener Gaststätte. 2011 gründeten vier ehemalige Mitarbeiter unter Leitung von Reinhard Fichte die Initiative "Manu in Gefahr". Fichte war zu DDR-Zeiten Generaldirektor in Meissen und hatte sich 1989 während eines Messebesuches in die Bundesrepublik abgesetzt. Hätte er das nicht getan, wäre er nach der Wende möglicherweise Manufakturchef geblieben. Kurt Biedenkopf als erster Ministerpräsident Sachsens scherte sich nicht darum, dass die Manufaktur von Ex-SED-Größen und Mitarbeitern der Staatssicherheit durchsetzt war. Also beließ er Hannes Walter, Absolvent der Dresdner Bezirksparteischule und Ex-SED-Funktionär, auf dem Chefposten, von dem Fichte geflohen war.

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