WirtschaftsWoche: Herr Lin-Hi, Sie behaupten, Corporate Social Responsibility werde in der Praxis oftmals falsch verstanden. Wieso?
Nick Lin-Hi: CSR wird leider immer wieder auf Sozialprojekte reduziert. Es ist lobenswert, wenn Unternehmen Gutes tun. Aber deswegen übernehmen sie noch lange nicht Verantwortung. Viele schmücken sich zu Unrecht mit dem Begriff CSR.
Und wie wäre es richtig?
Die gesellschaftliche Funktion von Unternehmen besteht darin, Produkte und Dienstleistungen anzubieten. CSR bedeutet im Kern, dass ein Betrieb die hierfür notwendige Wertschöpfung verantwortlich organisiert – also fair mit Mitarbeitern, Kunden, Zulieferern und anderen Partnern umgeht. Die gesellschaftliche Verantwortung liegt darin, Gewinne nicht auf Kosten anderer zu erzielen. Ein Unternehmen, das als verantwortlich wahrgenommen werden will, muss Fehlverhalten vermeiden.
Was sind typische Fehler?
Viele Unternehmen wollen ihren Profit kurzfristig erhöhen. Das ist einer der zentralen Gründe, warum es zu Fehlverhalten kommt wie Preisabsprachen, Ausbeutung von Mitarbeitern, Steuerhinterziehung oder Täuschung von Kunden. Zudem haben Unternehmen eine Verantwortung für ihre Lieferanten. Die Praxis zeigt, dass viele dieser nicht gerecht werden.
Ein harter Vorwurf. Worin liegt denn das Versagen?
Die meisten tun zu wenig, um sicherzustellen, dass etwa Lieferanten aus Ländern wie China oder Bangladesch die Menschenrechte nicht verletzen. Unternehmen sollten wissen, dass ein einziger Skandal ausreichen kann, damit die Öffentlichkeit es als unverantwortlich wahrnimmt. Wie viele gute Taten ein Unternehmen vorher vollbracht hat, interessiert dann nicht mehr.
Was kann ein mittelständisches Unternehmen tun, um verantwortlich zu handeln?
Mittelständler tun viel Gutes, etwa im Rahmen von Spenden oder Sponsoring. Aber sie müssen zugleich Fehlverhalten vermeiden. Versäumen sie das, droht bei Fehlern ein Bumerang-Effekt, und die guten Taten verstärken die negativen Effekte. Das kann man auch als „Uli-Hoeneß-Effekt“ bezeichnen: Hoeneß hat sich als moralische Instanz inszeniert und durch sein Auftreten in der Öffentlichkeit eine enorme Fallhöhe geschaffen. Deshalb war die Reaktion auf seinen Steuerbetrug so heftig. Im Zweifel nimmt man die guten Taten eines Unternehmens dann als Ablasshandel wahr.
"Über CSR im Wettbewerb differenzieren"
Gutes zu tun lässt sich allerdings auch leichter vermarkten als die Vermeidung von Fehlverhalten.
Das ist nur auf den ersten Blick richtig. Ja, ein Engagement für benachteiligte Jugendliche oder den Regenwald lässt sich gut kommunizieren. Meine Studien zeigen aber, dass die Gesellschaft es auch honoriert, wenn ein Unternehmen Schlechtes vermeidet und etwa sicherstellt, dass es die Umwelt nicht verpestet. Das Image von Unternehmen an sich ist so negativ besetzt, dass die Menschen schon positiv überrascht sind, wenn Fehlverhalten aktiv unterbunden wird. Für Unternehmen kann es also sinnvoll sein, gezielt zu kommunizieren, dass sie Fehlverhalten vermeiden.
Wie sieht eine solche Kommunikation konkret aus?
Das funktioniert nur dann, wenn Unternehmen in belastbarer Weise nachweisen können, dass sie über geeignete Strategien und Maßnahmen für eine solche Vermeidung verfügen. Zudem sollten Unternehmen CSR nicht mit Marketing verwechseln. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Dinge versprochen werden, die im Alltag nicht nachgehalten werden können. Üblicherweise leidet das Ansehen eines Unternehmens, wenn sich zeigt, dass Worte und Taten nicht zueinander passen.
Wie können CSR-Maßnahmen umgesetzt werden?
Es ist wichtig, dass die Unternehmensführung oder der Inhaber hinter dem Thema stehen und verantwortliches Verhalten vorleben. Wenn „die da oben“ Wasser predigen, selbst aber Wein saufen, merken die Mitarbeiter das sofort und nehmen CSR nicht ernst. Ein verantwortliches Unternehmen braucht Mitarbeiter, die proaktiv sicherstellen, dass es nicht zu Fehlverhalten kommt.
Wie lässt sich das verhindern?
Vieles entstammt der guten Kinderstube. Lüge nicht, betrüge nicht, stehle nicht – diese Normen sind eigentlich selbstverständlich. Jeder weiß, dass Korruption oder Kinderarbeit verboten sind. Die Herausforderung besteht nicht darin, falsches Handeln zu erkennen, sondern sich dagegen zu entscheiden – auch wenn das Geld kostet.
Häufig sind die Kunden aber nicht bereit, die Mehrkosten zu übernehmen.
Zugegeben, bei Massenprodukten wie Hemden oder T-Shirts ist das schwierig. Aber viele Mittelständler sind in Nischen tätig, und da gelten oft andere Spielregeln. Immer mehr Kunden sind bereit, verantwortliches Verhalten zu honorieren. Mittelständler können sich über CSR im Wettbewerb differenzieren. CSR ist zudem ein wichtiger Faktor, um gute Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Niemand arbeitet gern bei einem Unternehmen, das als unverantwortlich gilt.