Erfolg Marke Eigenbau Start-ups mit eigener Fabrik: Funktioniert das?

Blick in die Produktionshalle von Kumpan Quelle: Presse

Fabrikhallen, Fertigungsanlagen, Fachkräfte: Wenn Gründer eine eigene Produktionslinie aufbauen, ist der Start aufwändiger und teurer. Doch die Mühe kann sich auszahlen – und eröffnet ganz neue Freiheiten.

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Die ersten Produktionsstraße entstand mit Hilfe von Amazon: Bei dem Online-Marktplatz orderte Prateek Mahalwar ein Gärfass für Hobby-Bierbrauer, ein paar zusätzliche Gefäße und sogar einige Flaschen Kombucha. In einer Garage in Stuttgart arbeitete sich der promovierte Biologe dann in die Feinheiten der Fermentierung ein. Das Ziel: Natürliche Materialien für Kosmetik- oder Pflegeprodukte zu entwickeln, die anstelle von Mikrokunststoffen verwendet werden können, um für Glanz oder Geschmeidigkeit zu sorgen.

Wenige Jahre später ist aus dem Feierabendprojekt das Start-up Bioweg mit zwölf Mitarbeitern entstanden, es gibt zahlreiche neugierige Interessenten aus der Chemie- und Konsumgüterbranche. Und eine Fertigung, die bereits mehrere hundert Kilogramm Ausstoß schafft. Die Gewissheit war früh da – trotz unangenehmer Nebenwirkungen: „Es hat wirklich übel gerochen. Aber uns war klar: Wenn es in unserer Garage gelingt, dann klappt es auch im größeren Maßstab“, sagt Mahalwar.

Auf dem Weg zum eigenen Unternehmen musste der Wissenschaftler einiges dazulernen. Denn Mahalwar gehört zu den Gründern, deren Idee nicht in einer App oder einer Cloud-Lösung mündet. Wer Produkte zum Anfassen erfindet oder verbessert, der muss sich Gedanken machen, wie sie tatsächlich gefertigt werden. Zusätzlich zu „Business Developern“ und Marketingspezialistinnen sind plötzlich Produktionsplanung und Lieferkettenexpertinnen gefragt. Und statt aus den knappen Budgets nur Gehälter, Büroflächen und den einen oder anderen Tischkicker zu bezahlen, müssen diese Start-ups früh in teure Maschinen und Fabrikhallen investieren.

Volle Kontrolle, fixe Veränderungen

Viele Gründer sind jedoch überzeugt, dass sich diese mühevolle Vorbereitung lohnt. Manchmal besteht jedoch gar keine Auswahl: Wenn Start-ups ein Produkt oder einen Produktionsprozess komplett auf den Kopf stellen wollen, dann finden sie schlicht keine Firmen, die ihnen die Fertigung abnehmen können. Mahalwar sieht sein junges Unternehmen jetzt auf dem Weg, ein absoluter Spezialist in dem Bereich des zentralen Fermentationsprozesses zu werden – weil er und sein Team nun seit mehr als drei Jahren testen, welche Maschinen und welche Mengen gut zueinander passen.

Mit der eigenen Fertigung direkt neben dem Büro behalten die Gründer die volle Kontrolle über ihr eigenes Produkt. Das ist gerade in der frühen Phase wichtig, wenn noch viel experimentiert wird. Das erlebten auch die Karlsruher Maschinenbaustudenten, die 2017 „Heat-it“ entwickelten – ein kleiner Stecker für das Smartphone, der sich erhitzt, auf Insektenstiche gedrückt wird und so das Jucken verhindert. Als zertifiziertes Medizinprodukt sind die Ansprüche an die Qualität hoch. Dazu tauchten gerade zu Beginn der Tüftelei viele kleine technische Schwierigkeiten auf. „Wenn wir das einmal nach China abgegeben hätten, hätten wir da nichts mehr machen können“, sagt Mitgründer Lukas Liedtke.

Auch das Elektro-Scooter Start-up Kumpan hatte seine ersten Modelle bei einem Auftragsfertiger in Asien bestellt. Doch zum einen fürchteten die Gründer, dass wichtiges Know-how abwandern könnte. Und zum anderen musste das Team nach jeder Änderung erst einmal warten, bis die Container in Deutschland eintrafen. 2015 fiel daher die Entscheidung: Produziert wird künftig am Hauptsitz in Remagen, kurz hinter Bonn. „Das ermöglicht auch den direkten Dialog zwischen Entwicklung und Fertigung, so dass Verbesserungen und Innovationen direkt umgesetzt werden können“, sagt Patrik Tykesson, einer der drei Brüder, die das Start-up 2010 gegründet haben. Doch bis das eigene Lieferantennetzwerk stand, bis sich richtige Abläufe eingespielt hatten, verging mehr Zeit als erwartet: „Gut, dass wir es damals unterschätzt haben“, sagt Tykesson heute, „sonst hätten wir es bestimmt nicht gemacht.“

Jetzt aber schätzt das Start-up die Flexibilität. Aktualisieren die Entwickler die Fahrzeug-Software, kann diese eine Etage tiefer direkt aufgespielt werden. Und wird die Fußleiste verbessert, kann sie schon im nächsten E-Roller so verbaut werden. Mit Farben, Batteriepack und Zubehör lassen sich mittlerweile hunderte verschiedene Versionen des Rollers kombinieren – „diese Individualität ist für uns mit einer eigenen Produktion viel leichter umzusetzen“, sagt Tykesson.

Groß denken, klein einkaufen

Die grundlegenden Start-up-Prinzipien gelten dabei auch in der Produktion: Erst einmal mit möglichst simplen Strukturen anfangen und dann weiterschauen. Bioweg zog deshalb für den nächsten Wachstumsschritt nicht nach Berlin, Hamburg oder München, sondern ins niedersächsische Quakenbrück. Der große Standortvorteil: Am dort angesiedelten Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik konnte das Team immer wieder Maschinenkapazitäten mieten. „Manche unserer Prozessschritte können theoretisch auf zehn verschiedenen Anlagen funktionieren“, sagt Mahalwar, „die können wir unmöglich alle anschaffen.“ Mittlerweile weiß das Start-up genauer, was gut funktioniert.

Ähnlich kostenbewusst tastete sich Kamedi, das Start-up hinter „Heat-it“ vor. Als zentrale Produktionsmaschine dient ein sogenannter Rundtakttisch, an dem in mehreren Schritten automatisiert aus den Einzelteilen die fertigen Geräte entstehen. Das Gerät beschafften sich die Gründer auf einem Marktplatz für Gebrauchtmaschinen – in einem vorherigen Leben wurden damit Autoradios gebaut. In Eigenarbeit rüsteten die Studenten die Anlage um. „Damals dachten wir: Als Ingenieure sind wir vielleicht nicht die besten im Vertrieb, aber wenn wir die Fertigung auch noch aus der Hand geben, sind wir für das Start-up nicht die richtigen“, erinnert sich Liedtke.

Der kritische Blick führte auch dazu, dass die Gründer nach dem ersten Produktionsjahr die komplette Fertigung noch einmal über den Haufen schmissen. In weniger als zehn Schritten werden nun die angelieferten Platinen zerteilt, die Geräte montiert und getestet, für Apple- und Android-Smartphones. Über 100.000 Einheiten konnten die Karlsruher so nun im vergangenen Jahr produzieren. Und das in einem einzigen Raum, mit drei Festangestellten für Produktion und Logistik – zur Insekten-Hochzeit im Sommer müssen auch die Gründer und andere Teammitglieder aushelfen. „Dieser Output wäre mit unserer ersten Anlage illusorisch gewesen“, sagt Liedtke.

Mehr Mühen beim Wachstum

Gerade das Wachstum stellt Start-ups mit eigener Produktion häufig vor Herausforderungen. Erstens kann es schwerer sein, Investoren aufzutun. Zwar gibt es immer noch viel Geld im Markt, um Gründungen zu unterstützen. Doch viele Risikokapitalfirmen fokussieren sich auf Software-Start-ups. Das sogenannte „Asset-Light“-Modell, bei dem ein Start-up möglichst wenig eigene Gegenstände besitzt, galt lange Zeit als Königsweg – Busplatzvermittler Flixbus ist hier ein Paradebeispiel.

Doch mit etwas Geduld gelingt es auch Hardware-Start-ups, Geldgeber zu begeistern. Bioweg gelang es etwa, insgesamt mehr als zwölf Millionen Euro aus EU-Mitteln einzuwerben, die besonders bei der Entwicklung neuer Technologien helfen sollen – zum Teil Fördergelder, zum Teil Risikokapital. Unterstützung gibt es auch von der Stadt, die günstig passende Räume für das nächstgrößere Fermentierungs-Labor bereitstellt. Produzierende Unternehmen benötigen kein schickes Büro in Innenstadtlagen, sondern günstige Gewerbeflächen mit entsprechender Infrastruktur.

„Heat it“ half ein Auftritt in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“, um bekannt zu werden, auch wenn es nicht zu einem Promi-Investment kam. Und Elektroscooter-Bauer Kumpan ist gerade dabei, eine neue Finanzierungsrunde fertigzustellen. Mit jedem Spritpreishoch gucken dabei Kunden und potenzielle Investoren neugieriger nach Remagen.

Frisches Geld wird wichtig, um der heimischen Fertigung ein Update zu verpassen. Denn auch Hardware-Start-ups streben nach Skaleneffekten – also drastisch sinkenden Kosten pro gefertigte Einheit. Viele Gründer müssen knapp kalkulieren, weil sie von ihrer Marge eben nicht nur das Marketing, sondern auch Produktion und Lieferkette vorfinanzieren müssen. In Deutschland, Hochlohn- und Fachkräftemangelland, bedeutet das vor allem: So viel Arbeit wie möglich soll passieren, ohne dass Mitarbeiter die immergleichen Handgriffe tun müssen.

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Auf 450 Minuten konnte die Produktionszeit für einen Kumpan-Roller bereits reduziert werden, berichtet Mitgründer Tykesson. Die Remagener mussten 2020 die gesamte Linie neu aufbauen, weil ein Feuer die Werkshalle zerstört hatte. Doch fertig ist die Fertigung noch lange nicht: „Unser Automatisierungsgrad ist noch nicht da, wo wir mal hinwollen – auch wenn wir heute schon auf eine Jahreskapazität von 10.000 Stück kommen“, sagt Tykesson.

Mehr zum Thema: Nach einem Dämpfer in der Pandemie bekommen Start-ups laut einer neuen Studie Rekordsummen von Investoren. Die Gelder fließen meist nach Berlin und Bayern – der Abstand zum Rest der Republik ist groß.

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