Erfolgsfaktoren Der Mittelstand ist Deutschlands Geheimwaffe

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Abeking&Rasmussen

Die niedersächsische Werft bedient eine zahlungskräftige Klientel mit individuell entwickelten Yachten.

Bevor er in See stach, musste der Millionär aus Amerika aufs platte Land nach Germany. Dort, in der Wesermarsch mitten in der niedersächsischen Provinz, hatte der US-Filmunternehmer Alexander Dreyfoos seine 41 Meter lange Motoryacht in Auftrag gegeben: bei Abeking & Rasmussen (A&R) in Lemwerder. Mit dem Schiff wollte er sich endlich seinen Traum erfüllen: eine Reise über die Weltmeere.

Dass der Amerikaner den Edelkahn im Wert eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags letztlich bei A&R orderte, lag an seiner Frau Renate. Denn die wird leicht seekrank. Um Passagiere wie sie bei Laune zu halten, haben die Niedersachsen eine Technologie im Programm, die Yachten bei hohen Wellen ruhig im Wasser liegen lässt. Das können sonst nur Arbeitsschiffe, die etwa Windparks auf hoher See anfahren. „Für einen stolzen Preis“, sagte Dreyfoos, als er den Kaufvertrag unterschrieb, „aber die Scheidung von meiner Frau wäre viel teurer.“

Mondäne Superyachten und elegant-schnittige Schiffe made in Germany

Mit Sonderanfertigungen wie Dreyfoos’ Silver Cloud, die vor sechs Jahren vom Stapel lief, ist es den Niedersachsen gelungen, aus A&R ein Synonym für mondäne Superyachten und elegant-schnittige Schiffe made in Germany zu machen. Das mittelständische Unternehmen gehört zum handverlesenen Kreis von Werften weltweit, die für gutes Geld eine zahlungskräftige Klientel mit individuellen hochseetüchtigen Motor- und Segelyachten der Spitzenklasse ausstatten.

„Rolls-Royce unter den Schiffen“ nennen Branchenkenner die noblen Wassergefährte aus Lemwerder. Neben Yachten baut die Werft auch Lotsenfähren, Arbeitsschiffe für Forschungsexpeditionen und den Offshore-Windparkservice sowie Minen- und Patrouillenboote für die Bundeswehr. Schon seit Kaisers Zeiten ist die Marine Kunde.

Abeking & Rasmussen

Kleine Segeljollen, größere Schiffe, Segelyachten und Spezialanfertigungen

„Obwohl das sehr unterschiedliche Felder sind, gibt es in der Entwicklung immer wieder Synergieeffekte“, sagt Technikvorstand Karsten Fach. Soll heißen: Das Unternehmen kann eine Innovation für ein bestimmtes Schiff auch in anderen Modellen einsetzen und damit die Kosten auf mehrere Exemplare umlegen. Minenräumboote zum Beispiel müssen besonders leise sein, weil Sprengladungen auf akustische Reize reagieren. Mit der Technik für solche Schiffe rüstet A&R auch geräuscharme Privatyachten aus.

Der Däne Henry Rasmussen gründete die Werft 1907 mit seinem damaligen Kompagnon namens Georg Abeking, der in den Zwanzigerjahren aus dem Unternehmen ausstieg. Baute die Werft anfangs nur kleine Segeljollen, kamen zunehmend auch größere Schiffe und schließlich Segelyachten sowie Spezialanfertigungen hinzu, die den internationalen Ruf des Unternehmens begründeten.

Drang zu ständigen Innovationen

Den Drang zu ständigen Innovationen brachte Gründer Rasmussen mit, der seine Mitarbeiter ständig neue Ideen ausprobieren ließ. So baute A&R als erste Werft in den Sechzigerjahren eine vollgeschweißte Yacht aus Aluminium. Auch die in Seglerkreisen legendäre Yacht Germania VI aus dem Jahr 1967 für den letzten familieneigenen Chef der einstigen deutschen Waffenschmiede Krupp, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, stammte von A&R. Weitere prominente Kunden waren auch der Multimilliardär Karim Aga Khan sowie der 2003 verstorbene Fiat-Patriarch Giovanni Agnelli.

Mehr als 50 Jahre lang war es Rasmussens Enkel Hermann Schaedla, der für einen steten Fluss neuer Ideen im Unternehmen sorgte. Er wuchs in Kalifornien auf und studierte in Stanford. Nach einem Besuch bei seinem Großvater blieb er in Deutschland und absolvierte eine Lehre zum Bootsbauer. Als Henry Rasmussen 1959 starb, übertrug er den Betrieb seinem Enkel.

Stabiler im Wasser

Anders als sein Großvater hatte er zwar nicht als Unternehmensgründer reüssiert, sondern kam als Quereinsteiger ins Unternehmen. Gleichwohl entwickelte Schaedla den Betrieb geschickt weiter. So brachte er Ende der Neunzigerjahre das alte, schon in Vergessenheit geratene Bootskonzept des „Small Waterplane Area Twin Hull“ (kurz: Swath) zur Marktreife.

Schiffe, die einen solchen „Doppelrumpf mit wenig Angriffsfläche im Wasser“ besitzen, liegen vor allem bei stürmischer See stabiler im Wasser. Das ist etwa für Lotsenschiffe wichtig – aber auch für Kunden wie den Filmunternehmer Dreyfoos und dessen Gattin. A&R gilt in diesem Bereich als Weltmarktführer.

Änderungswünsche können mit der Unternehmensführung besprochen werden

Für Kontinuität in Lemwerder sorgt die Konstanz der Familie als Eigentümer. 1987 trat Hermann Schaedlas Sohn Hans in die Firma ein. Er ist heute Vorstandsvorsitzender der nicht börsennotierten Aktiengesellschaft. Um das operative Geschäft kümmern sich drei Vorstände. „Die Chefs gehen noch durch die Werkshallen und kennen den Großteil der langjährigen Mitarbeiter. Denn wir arbeiten in flachen Hierarchien“, sagt Technikvorstand Fach. „Wer eine Idee hat, stellt sie vor. Und wenn sie trägt, wird sie umgesetzt.“

Anders als bei einer Konzernwerft können Kunden individuelle Änderungswünsche auch direkt mit der Unternehmensführung besprechen. A&R bietet nicht nur Spitzentechnologie, sondern verkauft auch den Service mit. Hat ein Kunde auf einem Törn eine Panne, fliegen die Mitarbeiter des Kundendienstes im Notfall rund um die Welt, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien.

Es läuft gut

Das zahlt sich für A&R aus. 2012 haben die 430 Mitarbeiter, von denen 100 Ingenieure sind, laut Bundesanzeiger bei einem Umsatz von rund 170 Millionen Euro gut 20 Millionen Gewinn nach Steuern eingefahren. Und im Jahr 2013 – die Bilanz erscheint frühestens zum Jahreswechsel – lief es ebenso gut.

Während der großen Schiffbaukrise 2008 lag der Umsatz sogar bei 240 Millionen Euro, aber der Gewinn sackte auf knapp vier Millionen Euro. Damals gingen reihenweise Unternehmen der maritimen Industrie pleite, wie die P+S Werft in Stralsund. Oder sie mussten wie die Meyer Werft in Papenburg Spar- und Sanierungsprogramme auflegen. Zu lange hatten mittlere und größere Konkurrenten versucht, mit falschen Produkten wie Containerschiffen oder Fähren auf dem hart umkämpften Weltmarkt mitzuhalten.

Kriegsschiff und Yachten

Eine Besonderheit sind bei A&R Kriegsschiffe – etwa Minensuchboote für die Bundeswehr und Patrouillenboote für die Türkei, Südafrika und Lettland. Die Bestellungen der Militärs stabilisieren das Geschäft, weil diese Aufträge in der Regel langfristiger vergeben werden als Bestellungen von zivilen Kunden. „Da es bei öffentlichen Ausschreibungen zunehmend auf technische Anforderungen und nicht mehr allein auf den Preis ankommt, haben auch Premiumhersteller wie wir eine Chance“, sagt dazu Technikvorstand Fach.

Derzeit sind allerdings eher die Yachten die Umsatzbringer. In der Werkshalle stehen unter den Baunummern 6498 und 6499 zwei riesige Rümpfe, so groß wie Wohnblöcke. Während Arbeiter die Schweißnähte mit Spachtelmasse überziehen, trocknet anderswo der Lack. Bis die 80-Meter-Motoryachten aus den Hallen bugsiert und auf der Weser zu Wasser gelassen werden, dauert es noch. Und wem sie gehören, ist Betriebsgeheimnis. Auftraggeber schätzen es nicht, wenn zu viel über ihren schwimmenden Reichtum bekannt wird. Die Eheleute Dreyfoos, die mit der Silver Cloud über die Weltmeere fahren, sind da eine Ausnahme.

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