Erfolgsfaktoren Der Mittelstand ist Deutschlands Geheimwaffe

Trotz Globalisierung und Kostenvorteilen durch Größe behaupten sich Mittelständler gegenüber Konzernen. Wie schaffen sie das?

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Angst vor großen Risiken? Der Mittelstand investiert zu vorsichtig, sagen Experten. Quelle: dpa

Der Mittelstand ist die „secret weapon“, die Geheimwaffe Deutschlands. Zu diesem Befund kam der US-Journalist Peter Ross Range, nachdem er sich wochenlang bei Konzernen, Familienunternehmen und mittelständischen Betrieben zwischen Flensburg und dem Schwarzwald umgesehen hatte. Der Ex-Korrespondent des „Time Magazine“ wollte auf seiner Deutschland-Reise ergründen, warum die deutsche Wirtschaft der weltweiten Finanzkrise 2008/09 und der aktuellen Rezession im Euro-Raum trotzte.

Die Antwort des Amerikaners: Es ist „the German Mittelstand“.

Hinter dem Mythos, den die rund 3,7 Millionen kleinen und mittleren deutschen Firmen verbreiten, verbirgt sich keine Metaphysik, sondern ein Bündel betriebswirtschaftlicher Erfolgsfaktoren. Mittelständische Unternehmen sind in der Regel flexibler als Konzerne, weil sie sich schneller neu organisieren, das Personal besser anpassen und neue Techniken vielfach auf kurzem Dienstweg einführen. Denn ihre Entscheidungsstrukturen sind einfacher und die Hierarchien flacher. Zudem spielen langfristige Beziehungen und vielfach informelle Kontakte zu Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten oder Banken eine wichtige Rolle.

Wo der Mittelstand sein Geld anlegt

Regional verwurzelt und international aktiv

Daraus hat sich in Deutschland etwas entwickelt, was wie ein Turbo für die einzelnen Mittelständler wirkt: sogenannte Cluster, also Ansammlungen von Firmen, in denen sich im Umkreis weniger Kilometer viele erfolgreiche Unternehmen zum gegenseitigen Nutzen zusammengefunden haben. Mal sind es Schneidewarenhersteller wie in der Klingenstadt Solingen bei Düsseldorf, mal Wälzlagerspezialisten in Schweinfurt in Unterfranken oder Schließtechnik in Velbert im Bergischen Land.

Im Extremfall knubbeln sich Weltmarktführer auf engstem Raum, etwa im Hohenlohischen, wo der Montagetechnik-Champion Reinhold Würth residiert, oder in Ost- und Südwestfalen mit dem Pumpen- und Ventilhersteller Hora oder dem rund um den Globus geschätzten Küchenbauer Siematic. Diese Unternehmen sind zugleich regional verwurzelt und international sehr aktiv. Die meisten konzentrieren sich auf Nischen, haben sich in engem Kontakt mit ihren Kunden hochgradig spezialisiert und den Sprung in alle Herren Länder geschafft. Um sich unersetzlich zu machen, schicken viele ihre Servicekräfte gleich mit, um bei Problemen – ob technischer oder organisatorischer Art – helfen zu können. Zugleich sind dies Barrieren für Wettbewerber, die ins gleiche Geschäft einsteigen wollen.

Worauf kleine Mittelständler beim Gang ins Ausland achten sollten

Gedeihliches Leben in Nischen

Auf diese Weise müssen mittelständische Champions auch nicht zwingend Großunternehmen fürchten. Wer es geschickt anstellt, findet ein gedeihliches Leben in Nischen, die für Konzerne uninteressant sind. So behauptet sich der Schokoladenhersteller Halloren aus dem ostdeutschen Halle erfolgreich gegen Schokoriesen wie Mondelez (Milka), Storck (Merci) oder Ritter. Oder die deutsche Minifluggesellschaft Germania jettet erfolgreich im Windschatten von Lufthansa und Air Berlin.

Die Geschäftsmodelle überzeugen inzwischen auch Finanzinvestoren. BWK in Stuttgart etwa wird zum Januar 2015 vom Lebensmittelriesen Nestlé dessen Babykostmarken Alete und Milasan samt einer Fabrik übernehmen. Damit treten die Schwaben gegen den französischen Nahrungsmittelmulti Danone an, der mit Milupa und Aptamil auf dem Markt ist, sowie gegen Drogeriemarktketten wie dm oder Rossmann, die ihre umsatzstarken Eigenmarken in die eigenen Regale drücken.

Die WirtschaftsWoche stellt die Erfolgsrezepte von fünf Mittelständlern aus unterschiedlichen Branchen vor.

Alnatura

Die Biodiscountkette macht mit günstiger gesunder Ware klassischen Ökoläden das Leben schwer.

Wenn Götz Rehn von seinem Unternehmen spricht, klingt das, als ginge es um einen mildtätigen Verein. Lohnkosten bezeichnet er als Mitarbeitereinkommen, Fragen nach „seiner“ korrigiert er konsequent in „unsere“ Firma. Und wirtschaftliches Handeln ist für ihn ein Akt der Solidarität: „Man muss erkennen, dass Arbeitsteilung auch bedeutet, für andere tätig zu sein. Das ist tatsächlich selbstlos; dann ist Wirtschaft eigentlich zutiefst altruistisch.“

So abgehoben das Prinzip wirkt, so erfolgreich ist es bei der Biodiscountkette Alnatura: mehr als eine halbe Milliarde Euro Jahresumsatz, Wachstumsraten von zehn Prozent im Lebensmittelmarkt, zehn neue Filialen allein 2014, Expansion in die Schweiz. So liest sich die wirtschaftliche Bilanz von Alnaturas Selbstlosigkeit. Details zum Ende September abgelaufenen Geschäftsjahr nennt Alnatura-Frontmann Rehn nicht. Nur so viel: „Unsere Marge ist auskömmlich, das reicht.“

Händler und Hersteller

Damit das so bleibt, setzt Alnatura auf einen Ansatz, der sich sonst eher bei Textilketten wie Hennes & Mauritz (H&M) oder Zara besichtigen lässt. Ähnlich wie die Modeunternehmen ist Alnatura Händler und Hersteller zugleich. Die Hausmarke Alnatura gilt als wichtigstes Label in Bioläden.

Bei der Vermarktung seines Vorzeigelabels geht Alnatura-Gründer und -Chef Rehn noch weiter. Er verkauft Alnatura-Produkte nicht nur in eigenen Läden, sondern auch in denen von Partnern wie der Drogeriekette dm. Das macht die Marke bekannter und mindert das Absatzrisiko.

Alnatura

Schwieriges Filialgeschäft

Alnatura beliefert 3600 Verkaufsstellen in 14 Ländern. Filialgeschäft und Produkthandel tragen je die Hälfte zum Umsatz bei. Dieser lag im Geschäftsjahr 2012/13 bei rund 593 Millionen Euro, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Für das abgeschlossene Geschäftsjahr geht Rehn erneut von zweistelligem Wachstum aus.

Gegründet hat er das Unternehmen vor 30 Jahren. „Hätte ich gewusst, wie schwierig es ist, ein Filialgeschäft aufzubauen, hätte ich es wohl gelassen“, erzählt Rehn. Unterstützung kam vom damaligen dm-Chef Götz Werner. „Er sagte ganz klar: Wenn, dann jetzt“, so Rehn. „Ich war schließlich schon 35 Jahre alt.“ Werner zeigte Rehn, worauf es im Filialgeschäft ankommt, und nahm die Alnatura-Produkte ins dm-Sortiment auf. Bis heute ist dm Rehns wichtigster Vertriebspartner. Daneben werden Alnatura-Produkte auch von Lokalmatadoren wie der in Osthessen und Thüringen vertretenen Supermarktkette Tegut oder von der in Hamburg aktiven Drogeriekette Budnikowsky verkauft.

„Alnatura kennt die Anforderungen des Lebensmitteleinzelhandels genau“, sagt Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und liefert damit eine Erklärung für den Erfolg.

Keine Marktforscher

Ein weiterer Faktor ist die Kundennähe. Direktkontakte sind für Rehn essenziell. So veranstaltet er regelmäßige Frage-Antwort-Runden mit Kunden. Im Gegenzug arbeitet Alnatura weder mit Marktforschern zusammen, noch gibt es teure Produkttests. Rehn: „Manche würden sagen: Wir sind vollkommen unprofessionell aufgestellt.“

Rehns Konsumentenforschung scheint aber aufzugehen: Alnatura führt circa 80 neue Produkte pro Jahr ein, davon floppen nach eigenen Angaben nur zehn Prozent. Für die Branche ein Spitzenwert. Nach Angaben des Nürnberger Marktforschers GfK fallen im Handel mehr als 60 Prozent aller Produktneueinführungen durch.

Gutes Gefühl für den Markt

Während Wettbewerber auf Zahlen setzten, bekommt Alnatura laut Rehn durch direkten Kontakt mit den Konsumenten ein gutes Gefühl für den Markt. Handelsexperte Roeb sieht den Erfolg schlicht darin, dass Alnatura einen kleineren Markt bedient: „Rewe oder Edeka könnten diesen Ansatz nicht übernehmen, weil sie eine größere und differenziertere Kundschaft haben.“

Allen Aussagen über Kundennähe und Altruismus zum Trotz: Kleine Bioläden klagen, sie könnten mit den niedrigen Preisen von Alnatura nicht mithalten. Zudem musste sich das Unternehmen vor einigen Jahren rechtfertigen, warum es teilweise unter Tariflohn zahlte, etwa in Berlin.

Kundenorientierung

Damals sagte Rehn, er wolle deutschlandweit die gleiche Bezahlung für gleiche Stellen – und nicht nach Standort verschiedene Löhne. Außerdem gebe es für die Belegschaft zusätzliche kostenlose Leistungen wie Kunst- und Sportkurse. Die Presse höhnte daraufhin „Yoga statt Lohn“ oder „Ein Ökokapitalist sahnt ab“. Der öffentliche Druck war groß, Alnatura passte die Gehälter an.

In der Zentrale im südhessischen Bickenbach erinnern hohe Schiefertafeln an die Grundsätze des Unternehmens: ganzheitlich denken, kundenorientiert handeln, selbstverantwortlich sein. „Der Unterschied von Alnatura liegt in der Haltung unserer Mitarbeiter: Die haben Interesse an den Dingen, die wir machen, und wollen mit der Geschäftsführung zusammenarbeiten“, so Rehn.

Dies werde vor allem in schwierigen Situationen deutlich. Kürzlich stellte Alnatura seine komplette Software um. Rehn: „Das war eine Riesenleistung. Andere Unternehmen werden durch so etwas tagelang stillgelegt.“

Germania

Die Fluggesellschaft aus Berlin steuert mit konkurrenzlos niedrigen Betriebskosten weiter auf Erfolgskurs.

Andreas Wobig orientiert sich mit Germania an den klassischen Erfolgsrezepten seiner Branche: Er sieht sie sich an – und tut meistens das Gegenteil. Mögen Berater und Chefs führender Gesellschaften wie Lufthansa den Vorteil der Größe predigen sowie den Fokus auf Vielflieger und den Heimatmarkt legen.

Germania aus Berlin meidet Großstädte, fliegt Urlauber und Geschäftsleute, aber auch Emigranten aus Osteuropa und dem Nahen Osten in ihre Heimat. Dabei bedient sie fast keine Route täglich und hat gleich zwei Tochterlinien im Ausland, davon als einzige Linie Europas eine Mehrheitsbeteiligung in Afrika.

Der Erfolg gibt Wobig Recht. Zwar wollen sich der 49-Jährige und die Eigentümerfamilie um die Nachkommen des Gründers Hinrich Bischoff in bester Mittelständler-Manier nicht näher zu den Früchten ihres Tuns äußern. Doch laut der im August veröffentlichten Bilanz bleiben Germania 2012 im Verbund mit der ebenfalls von Wobig geleiteten Schwester SAT Fluggesellschaft, der das Gros der 23 Germania-Jets gehört, von 260 Millionen Euro Umsatz gut acht Millionen Gewinn nach Steuern. Das ist das Dreifache der Lufthansa-Marge.

Germania

Mittelstandstugenden

Das verdankt die mit sechs Millionen Passagieren nach Lufthansa und Air Berlin drittgrößte deutsche Fluglinie vor allem einer Stärke: „Sie kann kleine Märkte so schnell besetzen, dass sie für die Großen kaum noch attraktiv sind“, heißt es in einer Analyse des Centre for Aviation, eines auf die Branche spezialisierten Marktforschers mit Hauptsitz in Sydney.

Dafür sorgen klassische Mittelstandstugenden, allen voran die in der extrem schwankungsanfälligen Fliegerei besonders wichtige Sparsamkeit. „Germania hat die wohl niedrigsten Betriebskosten auf dem Kontinent“, lobt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Gründe sind vor allem eine schlanke Verwaltung, die vergleichsweise bescheidenen Gehälter und die gute Auslastung der Flugzeuge.

Knauserigkeit ist das wichtigste Erbe von Gründer Bischoff. Der 1936 in Erfurt geborene promovierte Jurist kaufte 1979 die marode Fluggesellschaft SAT und entdeckte eine Marktlücke: den Verleih von Flugzeugen an Fluglinien und andere Unternehmen mit oder ohne Personal.

Konkurrenzdrohung

Dabei ging der wegen seiner Vorliebe für Pullover und großzügig geschnittene Hosen anfangs unterschätzte Unternehmer nicht selten rabiat vor: Wollte ein Großer wie Lufthansa keine Maschinen abnehmen, drohte er kurzerhand, ihm auf wichtigen Strecken Konkurrenz zu machen. „Und das war mehr als glaubhaft, weil er schon immer die niedrigsten Kosten hatte, nicht zuletzt, weil er an sich keine Flugzeugmiete zahlen musste“, so ein Insider. So brachte Bischoff seine Flieger nebst Besatzung auch bei den Konkurrenten Air Berlin, TUI und Condor unter.

Später reüssierte Germania auch beim Geschäft mit Flügen für Unternehmen und Behörden. Als Erstes schnappte sich die Linie in den Neunzigerjahren den Beamtenshuttle, der nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin vor allem Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums hin und her flog. Später folgte der Werksverkehr zwischen den beiden großen Fabriken des Flugzeugherstellers Airbus in Hamburg und dem südfranzösischen Toulouse.

Weil das Modell nach dem Tod des Gründers Ende 2005 immer weniger trug, erfand sich die Linie neu. „Wir können auch ein paar Dinge, die andere nicht können“, erzählt Chef Wobig nicht ohne Stolz.

Dazu zählt eine ungewöhnliche Zurückhaltung. Mögen andere Linien auch ihre Flotte häufig auf Verdacht aufstocken: „Wir haben nur so viele Flugzeuge, wie wir das ganze Jahr über gut und profitabel füllen können“, sagt der Manager mit markantem Kinn und Pfadfinder-Haarschnitt.

Germania ist flexibel

Zudem streut die Gruppe das Risiko. Neben der Fliegerei betreibt sie das Wartungsgeschäft, aber auch Hotels wie das Usedom Palace an der Ostsee und das Waldhaus Prieros bei Berlin – ehemals Wohnsitz des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck.

Die Vielfalt macht Germania extrem flexibel. Sollte überraschend ein Reiseveranstalter ein paar Extraflüge nach Mallorca ordern, kann sich Wobig – auch dank der Kontakte der Leasing-Schwester SAT – fast über Nacht zusätzliche Maschinen besorgen und diese nahtlos in den Flugplan einfügen. Das funktioniert nicht zuletzt deshalb, weil Germania ihre eigenen Jets anders als etwa Lufthansa und Air Berlin ohne große Besonderheiten so einrichtet wie das Gros der im Leihmarkt üblichen Maschinen.

Noch mehr hilft Germania diese Antrittsschnelligkeit, wenn die Linie künftig wie geplant vor allem das Geschäft mit Flügen auf eigene Rechnung ausbaut und dabei Marktlücken entdeckt. „Und die gibt es reichlich, wenn man nur genau hinsieht“, sagt Wobig.

Diese findet er beispielsweise bei Flügen aus Kleinflughäfen wie Erfurt oder Bremen. Aus diesen Märkten haben sich Lufthansa und Air Berlin entweder bei ihrem Schrumpfkurs zurückgezogen – oder waren waren nie präsent, wie etwa in Kassel. Hier finden sich nicht nur kleine Reiseveranstalter oder Privatkunden, die für einen bequemen Abflug vor ihrer Haustür gerne einen Aufpreis zahlen. „Diese Airports sind dann auch bei Starthilfen wie niedrigeren Gebühren oder Marketinghilfen so großzügig, dass für eine Airline mit geringen Kosten das Risiko gering ist“, weiß der Chef eines größeren deutschen Airports.

Kosovo, Irak, Libanon, Osten der Türkei

Germania hat auch ein Geschäft aufgebaut, das sonst fast niemand betreibt: Flüge für in Europa lebende Emigranten, die in ihren Heimatländern Geschäfte abwickeln oder Verwandte und Freunde besuchen wollen. Im Rahmen dieses „ethnischen Verkehrs“ steuert Germania aus mehreren Ländern Europas selten angeflogene Länder an. Dazu zählen das Kosovo, Irak, Libanon, der Osten der Türkei sowie – bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs – Syrien. „Es ist ein komplexes Geschäft, das für viele Fluglinien zu aufwendig und am Ende oft zu klein ist“, sagt Wobig.

Für Germania lohnt sich der Aufwand. Die Berliner verfügen über die nötigen Partner für den meist abseits in Agenturen oder über Privatleute laufenden Verkauf der Tickets. Außerdem haben sie die nötigen Fachleute im Unternehmen für die in selten angeflogenen Ländern oft schwierigen Verhandlungen über die Landerechte.

Großbritannien und Afrika

Inzwischen exportiert Germania ihr Erfolgsmodell. So fliegt sie für britische Reiseveranstalter aus Norwich, Manchester sowie London ans Mittelmeer. „Obwohl wir Flugbegleiter aus Großbritannien einsetzen, haben angesichts unseres Namen anfangs vor allem Weltkriegsveteranen ein wenig die Nase gerümpft“, erzählt ein Unternehmens-Insider. „Doch inzwischen haben wir mit unseren im Vergleich zu anderen britischen Linien relativ großzügigen Sitzabständen sogar ein paar Fans gewonnen.“ Von Skandinavien aus bietet Germania im Rahmen des ethnischen Verkehrs sogar Verbindungen zu zwei Städten im Nordirak.

Der bislang größte Sprung war die Gründung der Fluglinie Gambia Bird im westafrikanischen Gambia, die vor zwei Jahren ihren Erstflug hatte. Wobig wundert sich, dass bislang keine andere europäische Gesellschaft den Schritt gewagt hat. Zwar verdient die in Banjul ansässige Linie, die zu 30 Prozent afrikanischen Investoren gehört, noch kein Geld. Aber das soll sich – nicht zuletzt dank kräftiger Hilfe der deutschen Partner in Sachen Flugmanagement – bald ändern. Wobig: „Der Kontinent ist einer der Wachstumsmärkte der Branche, und Gambia ist eines der politisch stabilsten Länder mit einer guten Infrastruktur.“

Aus Wobigs Sicht profitiert Germania von den Erfahrungen der afrikanischen Tochter beim Aufbau neuer Strecken, besonders wenn diese – wie die Routen von Banjul nach London – über bisher ungewohnt lange Distanzen gehen.

Weiterer Schritt ins Ausland

Der Erfolg hat Wobig zu einem weiteren Schritt ins Ausland ermuntert. Im Frühjahr 2015 soll eine Schweizer Tochter mit zwei Maschinen an den Start gehen. Sie soll von Zürich aus für den Veranstalter Hotelplan fliegen und Ziele im Kosovo und anderen südosteuropäischen Staaten anbieten.

Trotz des Erfolgs will Wobig auch künftig vorsichtig wachsen. „Ich kann mir vorstellen, unsere Flotte auf 40 Flugzeuge zu erweitern“, so Wobig. Den Umsatz noch in diesem Jahrzehnt auf 400 Millionen Euro pro Jahr zu verdoppeln, sei denkbar.

Eine deutlich sichtbare Nummer drei in Deutschland werden „ist nicht unser Ziel“, sagt Wobig. Er verweist darauf, dass der Höhenflug von Air Berlin endete, als diese Linie durch die Konkurrenz zu Lufthansa zwischen Hamburg und Frankfurt zu sichtbar wurde – und Deutschlands größte Fluglinie mit Kampfpreisen reagierte.

In diesem Fall befolgt Wobig ausnahmsweise die Gesetze der Flugbranche.

Tobit AG

Das innovative Softwareunternehmen vom Niederrhein setzt auf häufige Wechsel in einer jungen Belegschaft.

Geht es nach Vorstandschef Tobias Groten, dürften bei Tobit Software in Ahaus am Niederrhein 75 Prozent der Mitarbeiter nicht länger als fünf Jahre bleiben. Wer ein Leben in geregelten Bahnen will, sollte das Unternehmen nach dieser Zeit verlassen. Die anderen 25 Prozent, so die Philosophie des Firmenchefs, müssen möglichst flexibel und verrückt genug sein, um länger zu bleiben.

„Ständige Zellerneuerung ist das Geheimnis des Ladens“, sagt Groten, der 89 Prozent der Anteile hält. Der Rest gehört einem engen Freund sowie Entwicklungschef Franz-Josef Leuders. Frisches Blut holt er mit Auszubildenden ins Unternehmen, den „jungen Wilden unter 25“, wie er sie nennt. Wer bei Tobit gearbeitet hat, muss nicht lange nach einem neuen Job suchen, der Mittelständler gilt als eines der innovativsten deutschen IT-Unternehmen.

Groten führt sein Unternehmen wie ein Start-up, das aber bereits seit 28 Jahren. Er ist überzeugt: „Sobald man etabliert wird, hat man verloren!“ Im Alter von zwölf Jahren begann er, Software für Unternehmen zu programmieren, 1986 gründete er im Alter von 18 Jahren Tobit. Kurze Zeit später brach er die Schullaufbahn ab und widmete sich ganz dem Unternehmen.

Tobit

Kommunikationssoftware und Informations-Apps

Angefangen hat Tobit mit der Kommunikationssoftware David für Unternehmen. Diese bündelt alle Informationsflüsse wie Fax, E-Mail, SMS, Chatfunktion und Voice-Mail und packt Inhalte relevanter Internet-Seiten dazu. Inzwischen baut Tobit auch Informations-Apps für Unternehmen und Vereine – von der lokalen Feuerwehr über die Betreiber von YouTube-Kanälen bis zu Größen wie dem Fußballbundesligisten Schalke 04. Rund 200 solcher Miniprogramme fürs Handy produziert das Unternehmen jeden Tag. „Bisher haben wir 50.000 Apps erstellt, die insgesamt acht Millionen Menschen nutzen“, sagt er.

Das Geschäft läuft offenbar gut, auch wenn Groten beteuert, dass es „nie Ziele in Sachen Umsatz oder Gewinn“ gegeben habe. 2013 habe das Unternehmen rund vier Millionen Euro Gewinn gemacht und werde im laufenden Jahr ähnlich abschließen. 2011 setzte Tobit laut Bundesanzeiger knapp 16 Millionen Euro um und erzielte einen Nettogewinn von fast zwei Millionen Euro. Bis Juni 2015 will Groten 100.000 Apps auf den Markt gebracht haben, mit dann insgesamt 25 Millionen Nutzern.

Ideen werden ausprobiert

Der 47-Jährige mit dem zerzausten lockigen grauen Haar, dem zerknitterten Hemd über der Jeans und den Turnschuhen – weiß oder gerne auch in Neon-Orange – gibt den Nonkonformisten aus dem Bilderbuch. Knapp 90 Prozent der Aktien hält er selbst. Kein Kunde kommt auf einen Anteil von mehr als ein Prozent des Umsatzes. Das verschafft dem Unternehmer viel Freiheit bei seinen Entscheidungen. „Unabhängigkeit steht über allen Dingen“, sagt Grote, „es ist die Grundlage, um etwas Neues zu machen.“

So kritisiert der Vorstandschef, „wer in Deutschland eine Idee hat, wird als Allererstes gefragt: Ist das erlaubt?“. Bei Tobit frage niemand, was erlaubt sei, und auch nicht, ob etwas wirtschaftlich sei. Ideen würden einfach ausprobiert. „Es darf keine Regeln beim Denken geben“, sagt Grote.

E-Bikes mit dem Smartphone steuern

Seine Ideen setzt der IT-Unternehmer im Entwicklungslabor in Ahaus um. Dort arbeitet Entwickler Benjamin Gahle. „Tobias bringt die Idee, wir setzen das um“, sagt der 47-Jährige, der gerade an einem Projekt arbeitet, bei dem E-Bikes mithilfe des Smartphones gesteuert werden. Groten und seine Leute sind zwar „per Du“. Dennoch „ist der Laden alles andere als demokratisch“, betont Groten. Einer müsse am Ende entscheiden.

Dass sich manche Idee als Sackgasse erwies, stört den Unternehmer nicht. Wenn etwas nicht funktioniert wie gedacht, dann stoppt das Enfant terrible die Entwicklung. Auch Tobit hatte mal eine Nachrichten-App, noch vor WhatsApp. Dass daraus kein kommerzieller Erfolg wurde, enttäuscht Groten nicht: „Man muss sein eigener Feind und in der Lage sein, auch eigene Sachen kaputt zu machen.“ Man müsse disruptiv denken, also in technologischen Sprüngen.

Grotens unternehmerischer Drang beschränkt sich nicht auf IT. So hat er den Kinofilm „Stromberg“ mitfinanziert, ein Dschungel-Restaurant und einen Nachtclub eröffnet. Einmal im Jahr veranstaltet er in Ahaus die Winter-Kirmes Stattalm, die in sechs Wochen bis zu 200.000 Besucher anlockt. Seine Partys auf der Computermesse Cebit in Hannover sind wegen lauter Musik, Freibier und leicht bekleideten Tänzerinnen berühmt bis berüchtigt.

Tobias Groten Quelle: Dominik Asbach für WirtschaftsWoche

Grotens einzige Konstante in seinem Leben ist die Heimatverbundenheit. In der 30.000-Einwohner-Stadt Ahaus ist er geboren, hat hier sein Unternehmen und seine Familie gegründet. Dort will er auch bleiben. „Ich war noch nie länger als zwei Wochen aus Ahaus weg“, gesteht er.

In der digitalen Welt gibt sich Groten unangepasst. So nutzt er Facebook nicht für die Kontaktpflege oder zum Netzwerken. Er findet es aber praktisch, sich über dieses soziale Netzwerk bei vielen Web-Seiten anmelden zu können, ohne jeweils ein eigenes Benutzerkonto anlegen zu müssen.

Bonus, Spaß und Leidenschaft

Groten besitzt auch ein Smartphone, ruft damit aber niemanden an, weil er es als aufdringlich empfände. Lieber hinterlässt er eine Textnachricht. Im Sommer hat er es abgelehnt, sich bei der Ice-Bucket-Challenge Wasser mit Eis über den Kopf zu schütten. Stattdessen spendierte er den Bürgern von Ahaus 14.000 Kugeln Eis.

Seine Hauptziele habe er schon erreicht, sagt Groten: „Einen Sohn gezeugt, einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut.“ Der Rest sei Bonus, Spaß und Leidenschaft. Tobit zu verkaufen, komme nicht infrage, Angebote habe er abgelehnt: „Ich bin keiner für Exits, eher der nachhaltige, handfeste Typ.“

Eugen Trauth & Söhne

Der Pfälzer Schaumkusshersteller überzeugt Kunden mit Qualität und Direktverkauf in der Fabrik.

Marie-Luise Trauth lehnt an der Verkaufstheke im Erdgeschoss ihrer Fabrik und zuckt mit den Achseln. „Mithalten kann ich mit den Großen nicht“, sagt die Chefin von Eugen Trauth & Söhne, „aber das will ich auch nicht.“

Die 62-jährige ist Schaumkusskönigin. Niemand in ihrer Region im rheinland-pfälzischen Herxheim bei Landau produziert und verkauft so viele Schokoküsse wie Eugen Trauth & Söhne. Der Absatz der luftigen Süßigkeiten läuft wie geschmiert. Das Unternehmen sei gesund, der Jahresumsatz von knapp 619.000 Euro im Jahr 2003 auf rund rund 1,1 Millionen Euro 2013 geklettert, berichtet die Chefin.

Das Königreich der Pfälzerin ist winzig gegenüber dem Markt, den ihre größten Konkurrenten Storck und Grabower Süßwaren mit ihren Marken Dickmann’s und Topkuss dominieren. Dem Marktforscher Nielsen zufolge aßen die Deutschen 2013 Schokoküsse im Wert von 87,6 Millionen Euro. Der Absatz legte zuletzt um 3,7 Prozent auf 15 400 Tonnen zu. Gerade mal 1,2 Prozent davon stammen aus Herxheim.

Dass Trauth sich damit behaupten kann, liegt am Geschäftsmodell. Sie verkauft nicht an Händler oder Budenbesitzer, sondern bietet ihre Schokoküsse im Direktverkauf an. 200 bis 500 Kunden kommen täglich vorbei. Dafür musste Trauth sogar den Parkplatz erweitern. Manchmal fahren Reisebusse voller Schaumkussfans vor.

Eugen Trauth & Söhne

Niedrige Stückzahlen und hohe Qualität

Inhaberin Trauth stammt aus einer Unternehmerfamilie. Urgroßvater und Vater waren Bäcker, die den Großhandel mit Lebkuchengebäck belieferten. In den Siebzigerjahren wurde der Preiskampf durch das Vordringen der Supermärkte immer härter. Als Trauth 1986 die Leitung des Betriebs übernahm, stellte sie die Firma auf ein Produkt mit niedrigen Stückzahlen und hoher Qualität um – auf Schokoküsse.

Wie sie diese verkaufen sollte, lernte die Einsteigerin auf einer Rucksacktour durch die USA. Dort entdeckte sie Factory Outlets. Vom Fabrikverkauf „war ich fasziniert. In Deutschland gab es so etwas nicht. Da wusste ich, das will ich auch machen.“

Also ließ sie die alte Garage der Fabrik neu gestalten, eine breite Fensterfront einbauen, Rohre sichtbar an der Decke anbringen und moderne Kunst an die Wände hängen. 1991 eröffnete sie den Fabrikladen. Leicht sei der Wandel nicht gewesen, finanziell wie emotional, erzählt die 62-Jährige: „Es war ein schmerzhafter Prozess.“ Zunächst fehlten Aufträge der bisherigen Großabnehmer. Doch dank Mundpropaganda finden heute Kunden aus ganz Süddeutschland den Weg nach Herxheim.

Schnelles Wachstum komme für sie nicht infrage, sagt Trauth: „Ich möchte lieber Bestehendes kultivieren.“ Zum Gewinn will sich die Chefin ebenso wenig äußern wie die großen Wettbewerber. Lieber zeigt sie Besuchern ihren Betrieb.

Marie-Luise Trauth Quelle: dpa Picture-Alliance

Verzicht auf teure Werbung

Eine Wendeltreppe führt in die erste Etage. 8000 Schaumküsse pro Stunde spucken die Maschinen aus, fast fünf Millionen im Jahr. Neffe Daniel Trauth, von Beruf Lebensmitteltechniker, überprüft gerade einen Kühltunnel, in dem sich der flüssige Schokoüberzug langsam glätten soll. Der 30-jährige Familienspross will den Betrieb übernehmen, wenn seine Tante in drei Jahren in den Ruhestand geht. Der Neffe hat bereits als Jugendlicher mitgearbeitet.

Unternehmerin Trauth kennt jeden ihrer 13 Mitarbeiter. Eine Arbeiterin steht am Fließband, packt Schaumküsse in rote Schachteln und stellt diese in den Lastenaufzug, der in den Verkaufsraum führt. Weil die Verpackung nicht die Konkurrenzprodukte im Regal ausstechen muss, begnügt sich Trauth mit schlichten roten Kartons mit weißem Schriftzug. Auf teure Werbung verzichtet der Kleinbetrieb: „Den Kunden schmeckt das Produkt so gut, dass sie es weiterempfehlen.“

Offenbar verfängt auch diese Art der Mundpropaganda. Im Verkaufsraum stehen Kartons sortiert nach Schoko, Kokos, Mokka und Rum. 25 Stück kosten 4,80 Euro. „Beim Preis sind die Kunden kulant“, sagt Trauth und schmunzelt: „Doch wehe, wenn ich an der Rezeptur etwas ändere.“

Abeking&Rasmussen

Die niedersächsische Werft bedient eine zahlungskräftige Klientel mit individuell entwickelten Yachten.

Bevor er in See stach, musste der Millionär aus Amerika aufs platte Land nach Germany. Dort, in der Wesermarsch mitten in der niedersächsischen Provinz, hatte der US-Filmunternehmer Alexander Dreyfoos seine 41 Meter lange Motoryacht in Auftrag gegeben: bei Abeking & Rasmussen (A&R) in Lemwerder. Mit dem Schiff wollte er sich endlich seinen Traum erfüllen: eine Reise über die Weltmeere.

Dass der Amerikaner den Edelkahn im Wert eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags letztlich bei A&R orderte, lag an seiner Frau Renate. Denn die wird leicht seekrank. Um Passagiere wie sie bei Laune zu halten, haben die Niedersachsen eine Technologie im Programm, die Yachten bei hohen Wellen ruhig im Wasser liegen lässt. Das können sonst nur Arbeitsschiffe, die etwa Windparks auf hoher See anfahren. „Für einen stolzen Preis“, sagte Dreyfoos, als er den Kaufvertrag unterschrieb, „aber die Scheidung von meiner Frau wäre viel teurer.“

Mondäne Superyachten und elegant-schnittige Schiffe made in Germany

Mit Sonderanfertigungen wie Dreyfoos’ Silver Cloud, die vor sechs Jahren vom Stapel lief, ist es den Niedersachsen gelungen, aus A&R ein Synonym für mondäne Superyachten und elegant-schnittige Schiffe made in Germany zu machen. Das mittelständische Unternehmen gehört zum handverlesenen Kreis von Werften weltweit, die für gutes Geld eine zahlungskräftige Klientel mit individuellen hochseetüchtigen Motor- und Segelyachten der Spitzenklasse ausstatten.

„Rolls-Royce unter den Schiffen“ nennen Branchenkenner die noblen Wassergefährte aus Lemwerder. Neben Yachten baut die Werft auch Lotsenfähren, Arbeitsschiffe für Forschungsexpeditionen und den Offshore-Windparkservice sowie Minen- und Patrouillenboote für die Bundeswehr. Schon seit Kaisers Zeiten ist die Marine Kunde.

Abeking & Rasmussen

Kleine Segeljollen, größere Schiffe, Segelyachten und Spezialanfertigungen

„Obwohl das sehr unterschiedliche Felder sind, gibt es in der Entwicklung immer wieder Synergieeffekte“, sagt Technikvorstand Karsten Fach. Soll heißen: Das Unternehmen kann eine Innovation für ein bestimmtes Schiff auch in anderen Modellen einsetzen und damit die Kosten auf mehrere Exemplare umlegen. Minenräumboote zum Beispiel müssen besonders leise sein, weil Sprengladungen auf akustische Reize reagieren. Mit der Technik für solche Schiffe rüstet A&R auch geräuscharme Privatyachten aus.

Der Däne Henry Rasmussen gründete die Werft 1907 mit seinem damaligen Kompagnon namens Georg Abeking, der in den Zwanzigerjahren aus dem Unternehmen ausstieg. Baute die Werft anfangs nur kleine Segeljollen, kamen zunehmend auch größere Schiffe und schließlich Segelyachten sowie Spezialanfertigungen hinzu, die den internationalen Ruf des Unternehmens begründeten.

Drang zu ständigen Innovationen

Den Drang zu ständigen Innovationen brachte Gründer Rasmussen mit, der seine Mitarbeiter ständig neue Ideen ausprobieren ließ. So baute A&R als erste Werft in den Sechzigerjahren eine vollgeschweißte Yacht aus Aluminium. Auch die in Seglerkreisen legendäre Yacht Germania VI aus dem Jahr 1967 für den letzten familieneigenen Chef der einstigen deutschen Waffenschmiede Krupp, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, stammte von A&R. Weitere prominente Kunden waren auch der Multimilliardär Karim Aga Khan sowie der 2003 verstorbene Fiat-Patriarch Giovanni Agnelli.

Mehr als 50 Jahre lang war es Rasmussens Enkel Hermann Schaedla, der für einen steten Fluss neuer Ideen im Unternehmen sorgte. Er wuchs in Kalifornien auf und studierte in Stanford. Nach einem Besuch bei seinem Großvater blieb er in Deutschland und absolvierte eine Lehre zum Bootsbauer. Als Henry Rasmussen 1959 starb, übertrug er den Betrieb seinem Enkel.

Stabiler im Wasser

Anders als sein Großvater hatte er zwar nicht als Unternehmensgründer reüssiert, sondern kam als Quereinsteiger ins Unternehmen. Gleichwohl entwickelte Schaedla den Betrieb geschickt weiter. So brachte er Ende der Neunzigerjahre das alte, schon in Vergessenheit geratene Bootskonzept des „Small Waterplane Area Twin Hull“ (kurz: Swath) zur Marktreife.

Schiffe, die einen solchen „Doppelrumpf mit wenig Angriffsfläche im Wasser“ besitzen, liegen vor allem bei stürmischer See stabiler im Wasser. Das ist etwa für Lotsenschiffe wichtig – aber auch für Kunden wie den Filmunternehmer Dreyfoos und dessen Gattin. A&R gilt in diesem Bereich als Weltmarktführer.

Änderungswünsche können mit der Unternehmensführung besprochen werden

Für Kontinuität in Lemwerder sorgt die Konstanz der Familie als Eigentümer. 1987 trat Hermann Schaedlas Sohn Hans in die Firma ein. Er ist heute Vorstandsvorsitzender der nicht börsennotierten Aktiengesellschaft. Um das operative Geschäft kümmern sich drei Vorstände. „Die Chefs gehen noch durch die Werkshallen und kennen den Großteil der langjährigen Mitarbeiter. Denn wir arbeiten in flachen Hierarchien“, sagt Technikvorstand Fach. „Wer eine Idee hat, stellt sie vor. Und wenn sie trägt, wird sie umgesetzt.“

Anders als bei einer Konzernwerft können Kunden individuelle Änderungswünsche auch direkt mit der Unternehmensführung besprechen. A&R bietet nicht nur Spitzentechnologie, sondern verkauft auch den Service mit. Hat ein Kunde auf einem Törn eine Panne, fliegen die Mitarbeiter des Kundendienstes im Notfall rund um die Welt, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien.

Es läuft gut

Das zahlt sich für A&R aus. 2012 haben die 430 Mitarbeiter, von denen 100 Ingenieure sind, laut Bundesanzeiger bei einem Umsatz von rund 170 Millionen Euro gut 20 Millionen Gewinn nach Steuern eingefahren. Und im Jahr 2013 – die Bilanz erscheint frühestens zum Jahreswechsel – lief es ebenso gut.

Während der großen Schiffbaukrise 2008 lag der Umsatz sogar bei 240 Millionen Euro, aber der Gewinn sackte auf knapp vier Millionen Euro. Damals gingen reihenweise Unternehmen der maritimen Industrie pleite, wie die P+S Werft in Stralsund. Oder sie mussten wie die Meyer Werft in Papenburg Spar- und Sanierungsprogramme auflegen. Zu lange hatten mittlere und größere Konkurrenten versucht, mit falschen Produkten wie Containerschiffen oder Fähren auf dem hart umkämpften Weltmarkt mitzuhalten.

Kriegsschiff und Yachten

Eine Besonderheit sind bei A&R Kriegsschiffe – etwa Minensuchboote für die Bundeswehr und Patrouillenboote für die Türkei, Südafrika und Lettland. Die Bestellungen der Militärs stabilisieren das Geschäft, weil diese Aufträge in der Regel langfristiger vergeben werden als Bestellungen von zivilen Kunden. „Da es bei öffentlichen Ausschreibungen zunehmend auf technische Anforderungen und nicht mehr allein auf den Preis ankommt, haben auch Premiumhersteller wie wir eine Chance“, sagt dazu Technikvorstand Fach.

Derzeit sind allerdings eher die Yachten die Umsatzbringer. In der Werkshalle stehen unter den Baunummern 6498 und 6499 zwei riesige Rümpfe, so groß wie Wohnblöcke. Während Arbeiter die Schweißnähte mit Spachtelmasse überziehen, trocknet anderswo der Lack. Bis die 80-Meter-Motoryachten aus den Hallen bugsiert und auf der Weser zu Wasser gelassen werden, dauert es noch. Und wem sie gehören, ist Betriebsgeheimnis. Auftraggeber schätzen es nicht, wenn zu viel über ihren schwimmenden Reichtum bekannt wird. Die Eheleute Dreyfoos, die mit der Silver Cloud über die Weltmeere fahren, sind da eine Ausnahme.

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