
Der Mittelstand ist die „secret weapon“, die Geheimwaffe Deutschlands. Zu diesem Befund kam der US-Journalist Peter Ross Range, nachdem er sich wochenlang bei Konzernen, Familienunternehmen und mittelständischen Betrieben zwischen Flensburg und dem Schwarzwald umgesehen hatte. Der Ex-Korrespondent des „Time Magazine“ wollte auf seiner Deutschland-Reise ergründen, warum die deutsche Wirtschaft der weltweiten Finanzkrise 2008/09 und der aktuellen Rezession im Euro-Raum trotzte.
Die Antwort des Amerikaners: Es ist „the German Mittelstand“.
Hinter dem Mythos, den die rund 3,7 Millionen kleinen und mittleren deutschen Firmen verbreiten, verbirgt sich keine Metaphysik, sondern ein Bündel betriebswirtschaftlicher Erfolgsfaktoren. Mittelständische Unternehmen sind in der Regel flexibler als Konzerne, weil sie sich schneller neu organisieren, das Personal besser anpassen und neue Techniken vielfach auf kurzem Dienstweg einführen. Denn ihre Entscheidungsstrukturen sind einfacher und die Hierarchien flacher. Zudem spielen langfristige Beziehungen und vielfach informelle Kontakte zu Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten oder Banken eine wichtige Rolle.
Wo der Mittelstand sein Geld anlegt
Immerhin 86 Prozent aller Mittelständler lassen ihr Geld auf dem eigenen Konto liegen. Allerdings ihr Anteil deutlich gesunken. Im Vorjahr waren es noch 97 Prozent.
Quelle: Studie zum Finanzanlageverhalten und Finanzanlagebedürfnis mittelständischer Unternehmen von der Fachhochschule des Mittelstands
Auch beim Festgeld sind heutzutage keine hohen Zinsen mehr zu erwarten. Entsprechend sinkt die Nachfrage. Nur noch 82 Prozent legen ihr Geld mit Festgeldkonten oder Termineinlagen an, im Vorjahr waren es 87 Prozent.
Diese Anlageform hat im vergangenen Jahr rasant an Beliebtheit gewonnen. Mit 42 Prozent investierte fast jeder Zweite Mittelständler in Rentenfonds, im Vorjahr waren es gerade einmal 17 Prozent.
Wenn das Risiko steigt, hilft oft nur eine Differenzierung des Portfolios. Gemischte Fonds sind für 31 Prozent eine geeignete Anlageform (Vorjahr: 10 Prozent).
Während die Zinsen stagnieren, erreichen einige Aktienindizes neue Rekordhöhen. Darum wagen sich nun auch die Mittelständler an die Beteiligungen - 23 Prozent investieren in derartige Anlagen.
Auch die Geldmarktfonds sind wieder etwas stärker gefragt als im Vorjahr. Hier investieren 18 Prozent aller befragten Mittelständler.
Die stagnierenden Wechselkurse sorgen für Verunsicherung. Keine Anlageform hat darum beim Mittelstand mehr Vertrauen eingebüßt. Nur noch 10 Prozent legen hier ihr Geld an, im Vorjahr waren es noch 31 Prozent.
Die Immobilienkrise hat ihre Spuren hinterlassen. Nicht umsonst fragte kein einziger Mittelständler im Vorjahr nach Immobilienfonds. Dieses Jahr sind es immerhin rund zehn Prozent. Beruhigt sich die Lage?
Die Nachhaltigkeit bleibt auch bei der Geldanlage ein Trend - und wird damit auch interessant für den Mittelstand. Nach 5 Prozent im Vorjahr investiert mittlerweile jeder Zehnte Mittelständler in nachhaltige Geldanlageformen.
Gleiches gilt für die alternativen Anlagen, die vor allem in Niedrigzinsphasen an Attraktivität gewinnen. Sieben Prozent legen hier ihr Geld an, im Vorjahr waren es vier Prozent.
Auch die Garantiefonds sind zurück. Noch im Vorjahr hatte kein befragter Mittelständler in derartige Produkte investiert. Dieses Jahr sind es immerhin 7 Prozent.
Regional verwurzelt und international aktiv
Daraus hat sich in Deutschland etwas entwickelt, was wie ein Turbo für die einzelnen Mittelständler wirkt: sogenannte Cluster, also Ansammlungen von Firmen, in denen sich im Umkreis weniger Kilometer viele erfolgreiche Unternehmen zum gegenseitigen Nutzen zusammengefunden haben. Mal sind es Schneidewarenhersteller wie in der Klingenstadt Solingen bei Düsseldorf, mal Wälzlagerspezialisten in Schweinfurt in Unterfranken oder Schließtechnik in Velbert im Bergischen Land.
Im Extremfall knubbeln sich Weltmarktführer auf engstem Raum, etwa im Hohenlohischen, wo der Montagetechnik-Champion Reinhold Würth residiert, oder in Ost- und Südwestfalen mit dem Pumpen- und Ventilhersteller Hora oder dem rund um den Globus geschätzten Küchenbauer Siematic. Diese Unternehmen sind zugleich regional verwurzelt und international sehr aktiv. Die meisten konzentrieren sich auf Nischen, haben sich in engem Kontakt mit ihren Kunden hochgradig spezialisiert und den Sprung in alle Herren Länder geschafft. Um sich unersetzlich zu machen, schicken viele ihre Servicekräfte gleich mit, um bei Problemen – ob technischer oder organisatorischer Art – helfen zu können. Zugleich sind dies Barrieren für Wettbewerber, die ins gleiche Geschäft einsteigen wollen.
Worauf kleine Mittelständler beim Gang ins Ausland achten sollten
Jeder träumt von China - aber nicht für jedes Produkt passt der Massenmarkt, den die Deutschen gern bedienen. Oft reicht es, Nischenprodukte weiter zu exportieren. Konzerne müssen Trends mitgehen, die Kleinen nicht zwingend.
Gewerbeparks aus der zweiten Reihe kämpfen oft um Investoren, indem sie beim Papierkram helfen und Steuern senken. Wer vergleicht, spart Geld.
Auf Konferenzen treffen Unternehmer auf Praktiker mit Erfahrung in fremden Märkten. Ihr Wissen hilft, die Chancen und Risiken des Markteintritts richtig einzuschätzen.
Selbst wenn die Marktaussichten noch so rosig sind: Unvorhersehbare Kosten sind bei der Expansion ins Ausland ganz normal und sollten eingeplant werden.
Jeder Gang ins Ausland braucht Planung. Man muss Leute finden, Informationen sammeln, Papierkram bewältigen - und sollte sich Zeit nehmen, auch wenn die Konkurrenz schon da ist.
Gedeihliches Leben in Nischen
Auf diese Weise müssen mittelständische Champions auch nicht zwingend Großunternehmen fürchten. Wer es geschickt anstellt, findet ein gedeihliches Leben in Nischen, die für Konzerne uninteressant sind. So behauptet sich der Schokoladenhersteller Halloren aus dem ostdeutschen Halle erfolgreich gegen Schokoriesen wie Mondelez (Milka), Storck (Merci) oder Ritter. Oder die deutsche Minifluggesellschaft Germania jettet erfolgreich im Windschatten von Lufthansa und Air Berlin.
Die Geschäftsmodelle überzeugen inzwischen auch Finanzinvestoren. BWK in Stuttgart etwa wird zum Januar 2015 vom Lebensmittelriesen Nestlé dessen Babykostmarken Alete und Milasan samt einer Fabrik übernehmen. Damit treten die Schwaben gegen den französischen Nahrungsmittelmulti Danone an, der mit Milupa und Aptamil auf dem Markt ist, sowie gegen Drogeriemarktketten wie dm oder Rossmann, die ihre umsatzstarken Eigenmarken in die eigenen Regale drücken.
Die WirtschaftsWoche stellt die Erfolgsrezepte von fünf Mittelständlern aus unterschiedlichen Branchen vor.