Erfolgsfaktoren Der Mittelstand ist Deutschlands Geheimwaffe

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Germania ist flexibel

Zudem streut die Gruppe das Risiko. Neben der Fliegerei betreibt sie das Wartungsgeschäft, aber auch Hotels wie das Usedom Palace an der Ostsee und das Waldhaus Prieros bei Berlin – ehemals Wohnsitz des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck.

Die Vielfalt macht Germania extrem flexibel. Sollte überraschend ein Reiseveranstalter ein paar Extraflüge nach Mallorca ordern, kann sich Wobig – auch dank der Kontakte der Leasing-Schwester SAT – fast über Nacht zusätzliche Maschinen besorgen und diese nahtlos in den Flugplan einfügen. Das funktioniert nicht zuletzt deshalb, weil Germania ihre eigenen Jets anders als etwa Lufthansa und Air Berlin ohne große Besonderheiten so einrichtet wie das Gros der im Leihmarkt üblichen Maschinen.

Noch mehr hilft Germania diese Antrittsschnelligkeit, wenn die Linie künftig wie geplant vor allem das Geschäft mit Flügen auf eigene Rechnung ausbaut und dabei Marktlücken entdeckt. „Und die gibt es reichlich, wenn man nur genau hinsieht“, sagt Wobig.

Diese findet er beispielsweise bei Flügen aus Kleinflughäfen wie Erfurt oder Bremen. Aus diesen Märkten haben sich Lufthansa und Air Berlin entweder bei ihrem Schrumpfkurs zurückgezogen – oder waren waren nie präsent, wie etwa in Kassel. Hier finden sich nicht nur kleine Reiseveranstalter oder Privatkunden, die für einen bequemen Abflug vor ihrer Haustür gerne einen Aufpreis zahlen. „Diese Airports sind dann auch bei Starthilfen wie niedrigeren Gebühren oder Marketinghilfen so großzügig, dass für eine Airline mit geringen Kosten das Risiko gering ist“, weiß der Chef eines größeren deutschen Airports.

Kosovo, Irak, Libanon, Osten der Türkei

Germania hat auch ein Geschäft aufgebaut, das sonst fast niemand betreibt: Flüge für in Europa lebende Emigranten, die in ihren Heimatländern Geschäfte abwickeln oder Verwandte und Freunde besuchen wollen. Im Rahmen dieses „ethnischen Verkehrs“ steuert Germania aus mehreren Ländern Europas selten angeflogene Länder an. Dazu zählen das Kosovo, Irak, Libanon, der Osten der Türkei sowie – bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs – Syrien. „Es ist ein komplexes Geschäft, das für viele Fluglinien zu aufwendig und am Ende oft zu klein ist“, sagt Wobig.

Für Germania lohnt sich der Aufwand. Die Berliner verfügen über die nötigen Partner für den meist abseits in Agenturen oder über Privatleute laufenden Verkauf der Tickets. Außerdem haben sie die nötigen Fachleute im Unternehmen für die in selten angeflogenen Ländern oft schwierigen Verhandlungen über die Landerechte.

Großbritannien und Afrika

Inzwischen exportiert Germania ihr Erfolgsmodell. So fliegt sie für britische Reiseveranstalter aus Norwich, Manchester sowie London ans Mittelmeer. „Obwohl wir Flugbegleiter aus Großbritannien einsetzen, haben angesichts unseres Namen anfangs vor allem Weltkriegsveteranen ein wenig die Nase gerümpft“, erzählt ein Unternehmens-Insider. „Doch inzwischen haben wir mit unseren im Vergleich zu anderen britischen Linien relativ großzügigen Sitzabständen sogar ein paar Fans gewonnen.“ Von Skandinavien aus bietet Germania im Rahmen des ethnischen Verkehrs sogar Verbindungen zu zwei Städten im Nordirak.

Der bislang größte Sprung war die Gründung der Fluglinie Gambia Bird im westafrikanischen Gambia, die vor zwei Jahren ihren Erstflug hatte. Wobig wundert sich, dass bislang keine andere europäische Gesellschaft den Schritt gewagt hat. Zwar verdient die in Banjul ansässige Linie, die zu 30 Prozent afrikanischen Investoren gehört, noch kein Geld. Aber das soll sich – nicht zuletzt dank kräftiger Hilfe der deutschen Partner in Sachen Flugmanagement – bald ändern. Wobig: „Der Kontinent ist einer der Wachstumsmärkte der Branche, und Gambia ist eines der politisch stabilsten Länder mit einer guten Infrastruktur.“

Aus Wobigs Sicht profitiert Germania von den Erfahrungen der afrikanischen Tochter beim Aufbau neuer Strecken, besonders wenn diese – wie die Routen von Banjul nach London – über bisher ungewohnt lange Distanzen gehen.

Weiterer Schritt ins Ausland

Der Erfolg hat Wobig zu einem weiteren Schritt ins Ausland ermuntert. Im Frühjahr 2015 soll eine Schweizer Tochter mit zwei Maschinen an den Start gehen. Sie soll von Zürich aus für den Veranstalter Hotelplan fliegen und Ziele im Kosovo und anderen südosteuropäischen Staaten anbieten.

Trotz des Erfolgs will Wobig auch künftig vorsichtig wachsen. „Ich kann mir vorstellen, unsere Flotte auf 40 Flugzeuge zu erweitern“, so Wobig. Den Umsatz noch in diesem Jahrzehnt auf 400 Millionen Euro pro Jahr zu verdoppeln, sei denkbar.

Eine deutlich sichtbare Nummer drei in Deutschland werden „ist nicht unser Ziel“, sagt Wobig. Er verweist darauf, dass der Höhenflug von Air Berlin endete, als diese Linie durch die Konkurrenz zu Lufthansa zwischen Hamburg und Frankfurt zu sichtbar wurde – und Deutschlands größte Fluglinie mit Kampfpreisen reagierte.

In diesem Fall befolgt Wobig ausnahmsweise die Gesetze der Flugbranche.

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