„Die goldenen Zeiten sind für die Hersteller von Windkraftanlagen erst einmal vorbei“, fassen die Experten der Managementberatung Oliver Wyman die Ergebnisse ihrer aktuellen Untersuchung zusammen. Mit explosionsartigen Steigerungsraten bei neu installierter Windkraftkapazität hat der weltweite Windenergiemarkt von 2005 bis 2009 geglänzt – um durchschnittlich 35 Prozent pro Jahr wuchs der Markt, die installierte Leistung nahm von 11,5 Gigawatt auf rund 38,3 Gigawatt zu. Ein Gigawatt (=1000 Megawatt) entspricht in etwa der Leistung eines konventionellen Atomkraftwerks.
China baut Windkraft kräftig aus
Seit 2009 aber drehen sich die Flügel langsamer. Im Windschatten der Finanzkrise rutschte die Branche in die Stagnation. So stieg zwischen 2009 und 2011 die neu installierte Leistung im Schnitt jährlich um gerade mal 3,9 Prozent auf 41,2 Gigawatt. Einzig Asien zeigte in diesem Zeitraum mit einem durchschnittlichen Plus von jährlich 17,4 Prozent kräftiges Wachstum - dabei tat sich vor allem China hervor. Der norddeutsche Windturbinenbauer Nordex ergatterte er kürzlich seinen ersten Auftrag im Reich der Mitte. Ein 30 Megawatt-Windpark vor der Küste von Zhongguo soll bis Ende 2012 bis 2,5-Megawatt-Anlagen der Deutschen ausgestattet werden.
Doch meistens bleibt der Auftrag im Land. Chinesische Windkraftanlagenhersteller gehörten 2011 in puncto neu installierte Windkraftkapazität zu den Wachstums-Champions, bei einigen europäischen Markenherstellern schrumpfte diese dagegen. Darüber hinaus, so zeigt die Studie, machen den internationalen Produzenten enorme Überkapazitäten von 25 bis 40 Prozent zu schaffen, die einen massiven Preisdruck ausgelöst haben.
Wymann: „Seit 2009 befinden sich die Preise im freien Fall - bis heute gingen sie um rund 25 Prozent zurück.“ In der Folge sei die Profitabilität bei westlichen Herstellern von Windkraftanlagen drastisch gesunken. Im Schnitt beliefen sich die EBIT-Margen 2011 auf lediglich 1,4 Prozent - nach 4,4 Prozent im Jahr 2010. Einige Unternehmen verzeichneten gar ein negatives EBIT.
„Vom Markt können die Hersteller in den nächsten Jahren keine Lösung ihrer Probleme bei Preis und Überkapazitäten erwarten“, ist Wolfgang Krenz, Partner bei Oliver Wyman, überzeugt. „Dynamisches Marktwachstum ist vorerst nicht in Sicht. Erst ab 2015 ist Licht am Ende des Tunnels zu sehen.“
Entwicklung der größten Windkraftanlagenbauer
Die Experten der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman haben zusammengetragen, wie hoch die Zahl der neu installierten Leistung der jeweiligen Windkraftanlagenbauer weltweit war und wie das Unternehmen in den Jahren 2008 bis 2011 gewachsen ist. Dazu wurde die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (Compound Annual Growth Rate, abgekürzt CAGR) herangezogen.
Neuinstallation 2011 in Megawatt: 3.042
Wachstum 2008-2011 (CAGR): 173%
Neuinstallation 2011: 1.500
Wachstum 2008-2011: 105%
Neuinstallationen 2011: 3.600 MW
Wachstum 2008-2011: 46%
Neuinstallation 2011: 3.700 MW
Wachstum 2008-2011: 37%
Neuinstallation 2011*: 3.116 MW
Wachstum 2008-2011: 20%
*inklusive REpower Systems
Neuinstallation 2011: 2.591 MW
Wachstum 2008-2011: 11%
Neuinstallation 2011: 1.100 MW
Wachstum 2008-2011: 2%
Neuinstallation 2011: 3.308 Megawatt
Wachstum 2008-2011: 2%
Neuinstallation 2011: 3.203 MW
Wachstum 2008-2011: 0 %
Neuinstallationen 2011: 5.217 MW
Wachstum 2008-2011: - 1%
Neuinstallationen 2011: 970 MW
Wachstum 2008-2011: - 3%
Neuinstallationen 2011: 3.170 MW
Wachstum 2008-2011: -3%
Neuinstallationen 2011: 651 MW
Wachstum 2008-2011: - 20%
Enorme Herausforderungen
Damit steht die gesamte Windkraftbranche vor ganz neuen Problemen. Organisches Wachstum ist im dominierenden Onshore-Segment künftig nur schwer zu realisieren. Im Neugeschäft müssen sich die Windkraftanlagenbauer in den nächsten drei Jahren auf weiterhin niedrige Profitmargen einstellen. Konsequentes Kostenmanagement und Produktkostensenkung bleiben zentrale Aufgaben. Wachstumsakzente können vor allem im Servicegeschäft gesetzt werden, so die Einschätzung der Managementberatung.
Tatsächlich sind viele internationale Anlagenhersteller im Bereich Wartung und Reparatur bei der Verteidigung ihrer Marktanteile bislang erfolgreicher als erwartet. Allerdings ist heute noch nicht absehbar, ob die vermehrt abgeschlossenen langfristigen Serviceverträge auf Dauer profitabel sind. Der Offshore-Markt bietet zwar hohe prozentuale Wachstumsraten, macht aber heute erst drei Prozent der neu installierten Leistung aus.
In absoluten Gigawatt-Zahlen bleibt der Zubau im Onshore-Bereich bis 2020 jedoch größer und wird dann noch über 80 Prozent des Gesamtmarkts ausmachen. Chinesische Wettbewerber werden sich nicht wie bislang ausschließlich in ihrem Heimatmarkt bewegen. Ihr Eintritt in internationale Märkte mit technologisch vergleichbaren, aber günstigeren Produkten, erhöht zusätzlich den Wettbewerbsdruck.
Der Größte gewinnt
Die Gründe hierfür sind in der stark fragmentierten Branche vielschichtig. Hersteller von Windkraftanlagen sind gezwungen, erheblich mehr Kostenvorteile aus Skaleneffekten zu ziehen. Immer größere, professionellere Kunden und Windparkbetreiber werden verstärkt auf große Markenproduzenten setzen.
Die Projekte werden größer und umfangreicher, vor allem getrieben durch das wachsende Offshore-Segment. Analog zum traditionellen Energieanlagenbau steigen die Ansprüche der Kunden an Generalunternehmerschaft und komplementäre Leistungsangebote. Dadurch entstehen größere Einzelrisiken. Diese können größere, finanzstarke Player - auch durch ein professionelleres Risikomanagement - besser abfedern. Größe und Finanzkraft erleichtern darüber hinaus den Zugang zu Projektfinanzierungen, die immer noch schwierig sind.
Die Fusionswelle wird rollen
Oliver Wyan Consulting kommt zu dem Schluss, dass Unternehmen deutlich mehr in Forschung und Entwicklung investieren müssen, insbesondere im Offshore-Bereich, in dem asiatische Player derzeit geballt Windkraftanlagen entwickeln. Nur Größe sichere eine entsprechende Amortisation der Forschung und Entwicklungsinvestitionen.
„Internationale OEMs werden einen Marktanteil von deutlich mehr als zehn Prozent haben müssen, um im globalen Wettbewerb auch künftig mithalten zu können“, prognostiziert die Managementberatung.
Mit 12,7 Prozent liege derzeit nur Branchenprimus Vestas über dieser Marke, der aber in den letzten Jahren bereits erheblich Marktanteil verloren hat. Oliver Wymann geht davon aus, dass es in den kommenden Jahren massiv zu Übernahmen und Fusionen kommen wird.
Baukonzerne investieren ins Windgeschäft
„Die klassischen großen Kraftwerks- und Anlagenbauer werden sich verstärkt in den Windmarkt einkaufen und im Offshore-Segment, das zumindest in Europa in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen wird, mit ihrem breiten Leistungsangebot das Rennen machen“, sagt Wymann voraus. Die Energiekonzerne RWE und E.On betreiben bereits eigene Windparks vor der deutschen Nordseeküste.
Aber auch Baukonzerne wie Bilfinger Berger und Hochtief wollen ein Stück von Energiewende-Kuchen abhaben und erweitern ihre Windkraftsparten. Dazu hat Bilfinger Berger ein Joint Venture mit den polnischen Stahlbauunternehmen Crist und dem staatlichen Investmentfonds MARS gegründet. Gemeinsam werden Stahlfundamente für Windräder in großer Meerestiefe errichtet. Konkurrent Hochtief ist ein Joint Venture mit Finanzinvestor Ventizz Capital eingegangen, um bereits in der Entwicklungsphase von Windparks mitzuwirken. Bisher transportiert der Baukonzern Windkraftanlagen über Spezialschiffe zu ihrem Bestimmungsort im Meer und montiert sie auch. Hochtief-Chef Frank Stieler verkündete kürzlich: "Wir planen den Kauf von bis zu sechs Windfeldern."
Die Zeit drängt
Konkurrenz könnte den europäischen Konzernen zunehmend aus Fernost drohen. "Chinesische Hersteller von Windkraftanlangen werden zunehmend internationale Wettbewerber akquirieren", ist sich Oliver Wyman Consulting sicher. Entsprechend müssten sich westliche Player jetzt schnell bewegen, um Größenvorteile zu erzielen und bis 2020 auf der Gewinnerseite zu stehen.
„Die Zeit drängt, der Markt wird jetzt verteilt“, betont Wolfgang Krenz. „Windkraft ist eine gute Technologie. Sie ist wettbewerbsfähiger und attraktiver als alle anderen im Bereich der erneuerbaren Energien. Doch die gegenwärtigen Probleme im Windmarkt verschwinden nicht von alleine. Die OEMs müssen schnell und gezielt handeln.“