Erzieher-Mangel Wie fehlende Kinderbetreuung den Fachkräftemangel verschärft

Wie im Teufelskreis führt der Mangel an Kindererziehern zu einem zusätzlichen Mangel an Fachkräften in den Unternehmen. Quelle: imago images

Was tun, wenn die Kita schon zur Mittagszeit schließt? Diese Frage stellen sich neben Eltern zunehmend auch Unternehmen: Fehlende Kinderbetreuung wird für sie zum Problem.

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Es ist Anfang Februar im beschaulichen Tübingen, als sich protestierende Eltern vor dem Rathaus von Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) versammeln. Grund ist ein Beschluss des Gemeinderats, der vorsieht, dass in Zukunft nur noch eine Handvoll Kitas bis in den späten Nachmittag geöffnet sein sollen. Vor allem Mütter sind besorgt, denn die gekürzte Kinderbetreuung könnte eine Vollzeitbeschäftigung für sie unmöglich machen.

Auch bei Kerstin Ressel haben sich sofort besorgte Mitarbeiterinnen gemeldet, „die diese Änderung nicht mit ihrem jetzigen Arbeitsmodell vereinbaren könnten.“ Die Personalchefin des Tübinger Chemiekonzerns CHT hatte schon vor dem Beschluss Mühe, mit einer Vielzahl an Arbeitszeitmodellen gegen den ohnehin vorhandenen Fachkräftemangel anzukämpfen. Nun kommt ein weiteres Problem hinzu, dem Ressel mittels Gleitzeit und Homeoffice nicht vollständig nachkommen kann: Die Stadt Tübingen hat Anfang Februar beschlossen, die Betreuungszeiten der städtischen Kitas aufgrund fehlender Erzieherinnen und Erzieher zu kürzen. Die meisten Gruppen sollen ab September nur noch bis 13.30 Uhr geöffnet sein. „Auch unsere große Flexibilität schützt nicht davor, dass Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, was natürlich auch zu finanziellen Einbußen für sie führt“, mahnt CHT-Personalchefin Ressel.

Und diese Reduzierung der Arbeitszeit führt laut Stefan Küpper vom UBW, dem Dachverband der baden-württembergischen Wirtschaft, in einen Teufelskreis: „Der Mangel an Erziehungskräften führt zu Betreuungsengpässen, wodurch dann berufstätige Eltern – meist junge Mütter – nicht von der Teilzeit in die Vollzeit wechseln können.“ In der Folge entstehe ein großer Verlust an potenzieller Arbeitskraft, die dringend benötigt wird. Und das sei erst der Anfang: „Das Problem geht erst richtig los, wenn die Babyboomer in Rente gehen“, warnt Küpper.

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Ob im Südwesten oder der gesamten Bundesrepublik: Der Mangel an Kinderbetreuung könnte zu einem entscheidenden Faktor im Kampf gegen den Fachkräftemangel werden. Denn laut einer Bertelsmann-Studie fehlten im letzten Jahr bundesweit rund 98.600 Erzieherinnen und Erzieher. In den knapp 60.000 Kindertageseinrichtungen in Deutschland können laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) fast 74 Prozent der Stellen nicht besetzt werden. Diese Lücke zu schließen, scheint zurzeit unmöglich – zu unattraktiv sind die Arbeitsbedingungen in der Branche.

Diese nötige Attraktivität des Erzieherjobs hängt für die Arbeitsmarktexpertin Lydia Malin vom IW Köln von mehreren Aspekten ab: „Neben dem Lohn kommt es vor allem auf Sinnstiftung und Arbeitsbedingungen an. Insbesondere das Ansehen in der Gesellschaft ist in diesen Bereichen nicht so wie es sein sollte.“ Perspektivisch könnten auch die ergänzend eingeführten Studiengänge zur Aufwertung des Berufes beitragen. Eine kurzfristige Entlastung wäre laut ihr nur durch Hilfskräfte möglich, die bestehende Fachkräfte unterstützen – hier sei das Potenzial in Deutschland groß. Ausländische Arbeitskräfte zu rekrutieren sei hingegen, „besonders im Hinblick auf die Sprachkompetenzen oder kulturelle Unterschiede in der Kindererziehung, schwierig“.



Würde der Mangel in der Kinderbetreuung gelöst, wären die positiven Effekte auf den Arbeitsmarkt nicht zu unterschätzen. Laut dem Beratungsunternehmen Prognos arbeiten etwa 2,5 Millionen erwerbstätige Mütter weniger als 28 Stunden pro Woche. Würden diese Mütter lediglich eine Stunde länger arbeiten, entspräche dies der zusätzlichen Arbeitsleistung von gut 71.000 Vollzeiterwerbstätigen.

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In Tübingen kann Markus Horn dem Problem zurzeit nur mit Pragmatismus und Verständnis begegnen. Der Geschäftsführer der Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn ist selbst Vater und kennt die Situation in den städtischen Einrichtungen. In seinem Unternehmen macht die angespannte Betreuungssituation vor allem die Einteilung im Kundendienst schwierig: „Wenn eine städtische Kinderbetreuung nur vormittags möglich ist, stehen Teilzeitkräfte in der Regel nachmittags nicht zur Verfügung und somit auch nicht unseren Kunden.“ In seinem Betrieb versuche man durch Übergangslösungen und eine gute Kommunikation mit den Mitarbeitern Engpässen nachzukommen. Dieses Abwägen der Interessen von Kunden und Mitarbeitern sei für alle Beteiligten eine unbefriedigende Situation und „das aufgrund eines Versprechens, das der Staat nicht entsprechend umsetzt“. Denn eigentlich haben Eltern auch bei Personalmangel Anspruch auf einen Kitaplatz, wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Dezember entschied.

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