Export-Weltmeister unter Druck Wird Deutschlands Stärke zur Schwäche?

Quelle: REUTERS

Die Coronakrise trifft Deutschland – und damit die exportorientierten Mittelständler und Weltmarktführer. Eine Umfrage der WirtschaftsWoche unter ihnen offenbart offene Flanken, aber auch Hoffnung und Optimismus. Der US-Einreisestopp trifft sie kaum und auch China läuft wieder an.

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Wird Deutschlands Stärke zur Schwäche? Rund 450 Weltmarktführer zählt die Universiät St. Gallen hierzulande – mit jeweils mehr als 50 Prozent Umsatz im Ausland. Eine Umfrage der WirtschaftsWoche unter ihnen zeigt: Nahezu alle befragten Unternehmen haben in den vergangenen Tagen Reisebeschränkungen eingeführt, sind umgestiegen auf Homeoffice und Video-Konferenz. Doch wie bewerten die Hidden Champions die Folgen der Corona-Krise auf ihr Geschäftsjahr? Und wie gehen sie mit den Turbulenzen in den wichtigen Märkten China, USA und Italien um? Es gibt Pessimisten, Optimisten und Profiteure.

Die Fragen im Einzelnen:

Welche Auswirkungen erwarten Sie vom Coronavirus auf Ihre gesamtwirtschaftliche Entwicklung für das laufende Jahr?

Die Zuversichtlichen und Profiteure
Unter den ersten deutschen Gewinner der Corona-Pandemie war Teamviewer, die Stuttgarter bieten Lösungen für Videokonferenzen und Fernzugriffe auf Computer an. Aber auch Versicherer Allianz freut sich über „ein breit diversifiziertes Geschäftsmodell und Produkte, die in jeder Konjunkturlage nachgefragt werden“, und auch die Kollegen der Münchener Rückversicherung gehen nicht davon aus, dass der Ausbruch des Coronavirus signifikante Auswirkungen auf ihr Geschäft haben wird: „Unsere Geschäftseinheit „Epidemic Risk Solutions“ verzeichnet seit dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus allerdings eine stark erhöhte Nachfrage von Unternehmen nach unseren Epidemie-/Pandemieversicherungsprodukten.“

Auch Sportartikler Adidas gibt sich „im Hinblick auf die künftigen Wachstumsaussichten äußerst zuversichtlich“. Der hessische Medizintechnik- und Gesundheitsgigant Fresenius (33,5 Mrd. Euro Umsatz) sieht „aktuell keine nennenswerten Einschränkungen“, sagt dies „aber mit aller Vorsicht“. Der Frankfurter Gabelstapler-Bauer Kion ist zuversichtlich, „dass Produktions- bzw. Liefer-Rückstände in Folge der verlängerten Neujahrsferien in China und der aktuellen Corona-Situation in Italien im weiteren Verlauf des Jahres aufgeholt werden können“.

Auch kleinere Unternehmen geben sich betont optimistisch. So erklärt Wolfgang Spreitzer, Vorstand Geschäftsbereich Stellantriebe des Relais-Herstellers Gruner AG im baden-württembergischen Wehingen: „Würde diese Situation so keine weitere Verschärfung erfahren, also ein tatsächlicher Abbruch der Nachfrage, wird die wirtschaftliche Entwicklung nicht besser oder schlechter als 2019 oder 2018.“ Und Peter Wimmer, Vorstand Innovation & Produkte der Medizintechnikfirma Binder aus Tuttlingen, sagt: „Die Produktion läuft nach wie vor rund“. Er betont die Chance für sein Unternehmen: „Auf der anderen Seite ist Binder im großen Stil an der Corona-Forschung beteiligt. Einmal wird am Virus selbst mit Hilfe unserer Freezer (Ultratiefkühlschränke) geforscht und im zweiten Schritt kommen unsere CO2-Inkubatoren bei der Erarbeitung eines Impfstoffes in großen Pharma-Unternehmen zum Einsatz.“

Die Deutsche Post DHL schwankt: „Sollte sich die makroökonomische Situation wieder normalisieren, könnten sich auch positive Auswirkungen für Logistikunternehmen ergeben“, teilt der Bonner Logistikkonzern mit: „Im Falle einer längeren Dauer oder einer Verschlechterung der aktuellen Situation in den kommenden Monaten dürften die negativen Auswirkungen für die Gruppe die positiven überwiegen.“

Die Verlierer
Zu den Konzernen, die mit als erste negative Folgen der Corona-Krise spüren, zählt die Lufthansa. Der Konzern prüfe derzeit „die Umsetzung von Kurzarbeit. Zunächst geht es aber darum Wege zu finden, alle Mitarbeiter auch in der Krise an Bord zu behalten“, teilt ein Sprecher mit. Die Lufthansa habe ihren Mitarbeitern bereits in den vergangenen Wochen „die Nutzung von freiwilligen individuellen Personalmaßnahmen angeboten“, darunter: unbezahlter Urlaub, Vorziehen von Jahresurlaub sowie „die Ausweitung von Teilzeitangeboten“. Seinen Aktionären hat der Konzern die Dividende gestrichen. Der Schritt soll helfen, die Zahlungsfähigkeit zu sichern. Zudem nimmt der Konzern zusätzliche Kredite auf und bringt seine Flugzeugflotte als Sicherheit ein. Für den Fall, dass die Krise noch schlimmer wird oder länger dauert, lotet die Lufthansa sogar die Chance auf Staatshilfe aus.

Aus ähnlichen Gründen leidet auch Mark Hiller, geschäftsführender Gesellschafter des Flugzeugsitzherstellers Recaro Aircraft Seating aus Schwäbisch Hall. Die Pandemie „führt zu massiven Umsatzeinbußen und damit zu enormem Kostendruck“. In der Konsequenz komme es „in Einzelfällen zu Programmverschiebungen“.

Auch der Ludwigshafener DAX-Konzern BASF (Umsatz: 59 Milliarden Euro) bemerkt eine Verschlechterung: „In diesem Jahr erleben wir bereits in den ersten beiden Monaten eine hohe Unsicherheit in der Weltwirtschaft. Mit dem Coronavirus ist ein neuer Faktor hinzugekommen, der das Wachstum am Jahresanfang vor allem in China erheblich belastet“, teilt das Unternehmen mit. Der Chemiekonzern geht davon aus, „dass sich die negativen Effekte des Coronavirus weltweit vor allem im 1. und im 2. Quartal 2020 deutlich auswirken werden“ – unter der Annahme „keiner weltweiten Ausbreitung des Virus“. Konkreter wird die BWF Gruppe (285 Millionen Euro Umsatz), ein Filtermedien- und Filz-Hersteller aus dem schwäbischen Offingen: „Wir erwarten einen Umsatz- und Ergebnisrückgang prozentuell im zweistelligen Bereich.“ Und der Essener Chemiekonzern Evonik (Umsatz: 15 Milliarden Euro) teilte auf seiner Bilanz-PK Anfang März mit, man rechne mit einer Belastung von rund 30 Millionen Euro im ersten Quartal.

Kurzarbeit schließen mehrere Weltmarktführer nicht aus. Jörgen Hofmann, Finanzchef des Schaumstoffschneidemaschinenbauers Albrecht Bäumer aus dem Siegerland, teilt mit: „Wir erwarten, dass wir die Auswirkungen noch bis Sommer 2020 spüren werden und gehen derzeit nicht davon aus, dass wir die negativen Folgen in irgendeiner Form bis Jahresende kompensieren können“ – was schlimmstenfalls zu „Teil- oder Betriebsschließungen“ führen könne. „Zu Kurzarbeit wird es auf jeden Fall kommen“, befürchtet schließlich die Firma E-T-A (Umsatz: rund 90 Millionen Euro), ein Hersteller von Stromverteilungssystemen aus Altdorf bei Nürnberg.

Wie gehen Sie mit dem USA-Einreisestopp um?

Nahezu alle Weltmarktführer haben Homeoffice und Reisebeschränkungen eingeführt. Für zahlreiche Firmen ist überdies der Einreisestopp in die USA, den US-Präsident Donald Trump am Donnerstag für Europa verhängte, kein großes Problem, weil sie Niederlassungen vor Ort haben. Allen voran die Großkonzerne wie Siemens (in den USA beschäftigt Siemens mehr als 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), Volkswagen, Allianz („kaum unmittelbare Auswirkungen“), Münchener Rück („keine negativen Auswirkungen.“). Auch der Gütersloher Waschmaschinen- und Geschirrspülmaschinenspezialist Miele verfügt in den USA über eine eigene Vertriebsgesellschaft mit fast 500 Beschäftigten und beruhigt: „Die Auswirkungen des befristeten Einreisverbots halten sich also in Grenzen.“

Doch auch weniger bekannte Mittelständler sind gerüstet: Der Wellpappenanlagen-Hersteller BHS aus dem oberpfälzischen Weiherhammer erwirtschaftet rund ein Drittel seines Umsatzes von 575 Millionen Euro in den USA, unterhält im Land einen Produktionsstandort und eine Serviceniederlassung. Service- und Montagepersonal sei ebenso vor Ort. So sei es möglich, „alle Kunden weiterhin bedienen zu können. Lediglich die Flexibilität für unsere interne Planung des Außendienstpersonals ist nun leider etwas eingeschränkt“.

„Der amerikanische Präsident ist immer für Überraschungen gut“

Anders dagegen ist die Lage bei manchem Maschinen- und Anlagenbauer. Für das Unternehmen Albrecht Bäumer, für das die USA ebenfalls der größte Absatzmarkt sind, bedeute der Einreisestopp, „dass wir derzeit keine Monteure entsenden können, Inbetriebnahmen, Liefer- und Reparaturtermine absagen müssen“. Maschinenfabrikant Haver&Boecker (515 Millionen Euro Umsatz) aus dem westfälischen Oelde muss aufgrund des Einreisestopps eine gerade hochgefahrene „USA-Offensive“ zwangsreduzieren und der schwäbische Anlagenbauer Lingl ist von zwei „größeren Projekten“ in den USA betroffen. Er geht davon aus, „dass es nicht bei diesen 30 Tagen bleiben wird und auch andere Länder die Grenzen dicht machen werden. Tatsächlich erwarten wir, dass in zwei Wochen die Hälfte der EU-Länder die Grenzen schließt.“ Wieder andere wie Bausch+Ströbel, Verpackungsmaschinenhersteller für die Kosmetik- und Pharmaindustrie, hoffen auf „Sondergenehmigungen“.

Sehr konkrete Folgen hat der Stopp auch für Recaro-Chef Mark Hiller, den Flugzeugsitz-Weltmarktführer: Die Firma muss ihr Frühjahrs-Managementmeeting, das ursprünglich am Standort im texanischen Fort Worth geplant war, nun in Stuttgart abhalten. Einen US-Kollegen, der zwei Drittel in Schwäbisch Hall und zu einem Drittel im Home-Office in den USA arbeitet, habe er „gestern in den Flieger in die USA gesetzt“, schreibt Hiller. Auch Landmaschinenbauer Claas aus dem ostwestfälischen Harsewinkel (Umsatz: 3,9 Milliarden Euro) bemerkt Trumps Politik: „Gerade hat eine Kundengruppe aus den USA von sich aus ihre Reise nach Deutschland abgesagt“, teilt die Firma mit.

Mit fatalistischem Humor nimmt es Heribert Rohrbeck, Chef von Bürkert Fluid Control System (532 Mio. Euro Umsatz), einem Mess- und Steuerungssystem-Spezialisten für Gase und Flüssigkeiten: „Wir sind lokal in den USA stark aufgestellt und von daher von dieser Anordnung nicht in besonderem Maße betroffen. Zudem ist der amerikanische Präsident immer für Überraschungen gut.“

Wie ist Ihre aktuelle Situation in den Wirtschaftsräumen China und Italien?

Die Optimisten
Volkswagen teilt mit, in „fast allen“ VW-Werken in China werde wieder produziert – „wenn auch auf niedrigerem Niveau“, weil sich die Kundennachfrage reduziert habe. Aber die Belieferung der Werke funktioniere, vor allem weil die Mitarbeiter in den Bereichen Logistikketten und Einkauf in den vergangenen Wochen „Schwerstarbeit“ geleistet hätten. Die Ketten funktionierten, wenngleich auch nicht überall auf den üblichen Routen: Bestimmte Bauteile, teilt VW mit, verschickt das Unternehmen nun mit dem Flugzeug statt mit dem Schiff. Auch am Brenner staue es sich.

Der Optimismus in China ist unter Deutschlands Weltmarktführern weit verbreitet:
- BASF: Alle großen Produktionsstandorte in China haben seit dem 17. Februar die Arbeit wieder aufgenommen.
- Merck, mit 4.100 Mitarbeitern in China vertreten, teilt mit: Man habe „inzwischen den Großteil unseres Geschäftsbetriebs in China wieder aufgenommen“.
- Continental: Die Produktion in den chinesischen Werken wurde seit dem 10. Februar schrittweise wieder aufgenommen.
- ZF Friedrichshafen: Die rund 40 ZF-Werke in China haben die Produktion inzwischen „wieder aufgenommen oder sind im Hochlauf“ – wenngleich die Produktionsvolumina „noch nicht bei 100 Prozent“ liegen.
- Covestro: „In China hat sich der Betrieb weitestgehend normalisiert. Die Lieferketten sind weitestgehend wieder intakt und die Produktionsstätten haben den Normalbetrieb wieder aufgenommen.“
- GEA: „Alle GEA-Standorte auf der ganzen Welt sind geöffnet und arbeiten weitestgehend auf Normalniveau; so auch in China und Italien.“

Auch kleinere Mittelständler betonen die Rückkehr zur Normalität. Die Grebe Holding, ein Hersteller von industriellen Beschichtungsstoffen im hessischen Weilburg (Umsatz: 211 Millionen Euro), musste ihren Produktionsstandort in Tianjin für fünf Wochen schließen. Der Verlust sei „aber verschmerzbar“. Seit dem 2. März habe man die Produktion auf 40- Prozent-Niveau wieder aufgenommen, bis Ende März will Grebe die Kapazitätsauslastung auf 70 bis 80 Prozent hochfahren. Auch die Hawe Hydraulik SE beobachtet in China „ein deutliches Anziehen des Geschäftes“ und erwartet „einen starken Aufholeffekt der Umsatzausfälle aus Januar und Februar“.

Die Pessimisten
Doch längst nicht alle deutschen Weltmarktführer sehen das China-Geschäft so optimistisch.
Landmaschinenhersteller Claas etwa kämpft zurzeit ohnehin mit einem rückläufigen Landtechnikmarkt in China. Die dortige Produktion sei „im neuen Jahr verzögert und dann mit verringerter Mannschaft angelaufen“. Die Verluste seien „noch nicht präzise abschätzbar“.

Zahlreiche Unternehmen weisen darauf hin, dass ihre Geschäftstätigkeit in China durch Corona „erheblich beeinträchtigt“ (Ottobock) bzw. „negativ beeinträchtig“ (Fuchs Petrolub) sei; in China fehlten „zwei Monate am Markt“ (Bürkert-CEO Heribert Rohrbeck).

Emka, ein nordrhein-westfälischer Hersteller von Verschlüssen, Scharnieren und Dichtungen für Schalt- und Steuerungsschränke (Umsatz: 285 Mio. Euro), nennt die aktuelle wirtschaftliche Situation in China „angespannt“: Die Emka-Firmen in China mussten zwischen vier und sechs Wochen schließen. „Der chinesische Staat übernimmt zwar die Kosten für Sozialversicherung und Steuer, der Löwenanteil der Kosten geht aber zu unseren Lasten.“ Vom prognostizierten Jahresgewinn sei Emka „aktuell ein deutliches Stück entfernt. Eine schnelle Belebung wäre hilfreich“. Und der Filtermedien- und Filz-Hersteller BWF beziffert seine bisherigen Umsatzeinbußen 2020 in China und Italien auf 15 bis 20 Millionen Euro. Es sei noch nicht absehbar, ob und inwiefern diese Einbußen im weiteren Jahresverlauf noch aufgeholt werden könnten: „Eine gewisse Kompensation kann sich aus unserer technologischen Diversifikation in verschiedene Geschäftsfelder ergeben. Im Fall einer breiten Rezession werden aber voraussichtlich alle Bereiche die Folgen zu spüren bekommen.“

Mehr zum Thema: Der Mittelstand ächzt unter den Auswirkungen des Coronavirus, die Politik macht Milliarden für Kredite locker. Ein Überblick über Hilfsprogramme für Unternehmen.

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