Für Florian Sieber ist es die erste Nürnberger Spielwarenmesse als Chef des traditionsreichen Modelleisenbahn-Spezialisten Märklin aus Göppingen, am Fuße der schwäbischen Alb. Erst im Herbst vergangenen Jahres nahm Sieber, gerade 28 Jahre jung, den Platz als Weichensteller Nummer eins ein. Florian Sieber ist der Sohn des Simba-Dickie-Gründers Michael Sieber. Die Spielwarengruppe aus Fürth - bekannt für Marken wie Bobby Car und Schuco - hatte Märklin im März 2013 übernommen.
Es ist das vorläufige Ende einer langen Irrfahrt – und, das zeigt der Auftritt auf der Spielwarenmesse, die am Dienstag ihre Tore für die Pressevertreter öffnet – der Aufbruch in eine neue Ära. Über 300 Neuheiten stellt Märklin quer über alle Spurweiten und die Schwestermarken Trix und LGB vor. Und den neuen Märklino. Die Figur, die bisher nur auf einem Foto zu sehen ist, wird in Zukunft eine entscheidende Rolle im Marketing für die Modellbahnlinie spielen. Dazu später mehr.
Florian Sieber stehen harte Messetage bevor. Nicht, dass die vergangenen Monate für ihn einfach gewesen wären. Zwar hatte der Jungmanager im Unternehmen seines Vaters ausreichend Gelegenheit, Erfahrungen in der Spielwarenbranche zu sammeln, aber Märklin ist eben kein klassisches Kinderspielzeug. Die Loks sind Sammlerstücke und gehen für mehrere hundert bis tausend Euro über die Ladentheke. Was liebevoll auf Dachböden oder Hobbykellern auf Pressspanplatten aufgebaut wird, ist keine Massenware, sondern das Ergebnis eines über 150 Jahre weiterentwickelten und perfektionierten Fertigungsprozesses.
Bis auf die Motoren und wenige elektronische Komponenten fertigen die Schwaben jedes der rund 300 Einzelteile einer Märklin-Lok in der hauseigenen Gießerei, Gußnachbearbeitung, Dreherei, Galvanik und Montage selbst. „Wir müssen zeigen, was an deutscher Ingenieurskunst und Fertigungs-Know-how in Göppingen sitzt. Das ist für mich ein wichtiger Baustein für den zukünftigen Erfolg von Märklin“, erklärt Florian Sieber.
"Das können die Chinesen nicht"
Seit gut zwei Jahren ist die Fertigung in Göppingen auch für Besuchergruppen geöffnet. Angst vor Industriespionage hat der Chef nicht. „Was wir hier machen, ist nicht kopierbar“, sagt Florian Sieber, während er durch die hauseigene Galvanik führt, wo die Gußteile mit einer Schicht aus Schwarznickel überzogen werden, damit die Farbe später hält. Konkurrenz aus Fernost? Sieber winkt ab. „Das können die Chinesen nicht.“ Das dem so ist, musste Märklin schmerzlich selbst erfahren.
Vor ein paar Jahren verlagerten die Schwaben Teile der Fertigung nach China. Unter den Folgen leiden die Marke und ihre Sammler noch immer. Die Qualität blieb weit hinter den Erwartungen zurück, Reklamationen häuften sich, die Auslieferung angekündigter Modelle wie etwa der Serie Mini-Trix verzögert sich bis heute um mehr als ein Jahr. Schon bevor Sieber die Regie in Göppingen übernahm, hat Märklin mit dem Rückzug aus China begonnen. „Jede Lokomotive, die wir aus China zurückholen, wird zu 30 bis 40 Prozent in Göppingen gefertigt werden“, sagt Sieber.
Märklin auf einen Blick
Theodor Friedrich Wilhelm Märklin begann 1859 mit dem Bau von Puppenküchen.
In Göppingen und Ungarn werden im Jahr 500.000 Lokomotiven und zwei Millionen Wagen der Marken Märklin, Trix und LGB gefertigt.
2011 steigerte das Unternehmen seinen Umsatz leicht um 1,6 Prozent auf 108,77 Millionen Euro und legte beim Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) um 12,6 Prozent auf 12,36 Millionen Euro zu.
80 Prozent des Umsatzes generiert Märklin über Neuheiten. Rund ein Viertel des Jahresumsatzes entfällt auf das Weihnachtsgeschäft. Der Großteil seiner Erlöse erwirtschaftet Märklin im Inland – nur gut 15 Prozent entfallen auf das Auslandsgeschäft.
2006 stiegen der Finanzinvestor Kingsbridge und Goldmann Sachs bei Märklin ein und bewahrte den Traditionshersteller vor der drohenden Pleite. Der Sanierungsplan hatte allerdings deutliche Schwächen. 2009 musste Märklin Zahlungsunfähigkeit melden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass allein im Jahr 2007 rund 13 Millionen Euro für Beraterhonorare geflossen waren – mehr als zehn Prozent des Gesamtumsatzes des Jahres 2007 von 126 Millionen Euro.
2009 – im Jahr seines 150-jährigen Bestehens – meldet Märklin Insolvenz an. Insolvenzverwalter Michael Pluta bringt Märklin wieder auf Kurs. Im Dezember 2011 hebt das Amtsgericht Göppingen das Insolvenzverfahren auf und erklärt einen zwischen den Gläubigern und Pluta ausgehandelten Insolvenzplan für rechtskräftig.
Insolvenzverwalter Pluta verkleinerte die Spitze von ehemals drei Geschäftsführern und 14 Managern auf einen Geschäftsführer und sechs leitende Manager. Bonuszahlungen gibt es seither nur noch, wenn das Unternehmen Gewinn macht. Mehr als 400 Mitarbeiter wurden entlassen. Zwei von vier Standorten wurden geschlossen. 13 Bereiche wurden zu fünf zusammengefasst. Aktuell beschäftigt Märklin noch rund 1000 Mitarbeiter. Stefan Löblich übernahm 2010 die Geschäftsführung – zu diesem Zeitpunkt war er der fünfte Märklin-Chef in fünf Jahren.
Märklin will Sammler und Kinder für die Modelleisenbahn begeistern. Dafür will der Mittelständler den Fachhandel neu beleben, aber auch über diesen hinaus wieder sichtbarer werden. Derzeit gibt es rund 800 Modellbahnfachhändler, die in der Märklin-Händler-Inititiative (MHI) zusammengeschlossen sind.
Bis 2019 gibt es für die verbliebenen 485 Göppinger Märklin-Mitarbeiter eine Beschäftigungsgarantie. Aber auch danach, verspricht Sieber, soll sich keiner um seinen Arbeitsplatz sorgen müssen. Im Gegenteil: „Wir wollen, dass das Wissen, das die Mitarbeiter hier über Jahrzehnte aufgebaut haben, auch weitergegeben wird. Die natürliche Fluktuation werden wir mit eigenen Auszubildenden ausgleichen, und sie hier am Standort Göppingen halten.“ Aber natürlich investiere man auch in Automatisierungstechnologien und Robotersysteme, damit das Gesamtkonstrukt Märklin wettbewerbsfähig bleibe, ergänzt Sieber.
Am zweiten Produktionsstandort im ungarischen Gyor soll die Zahl von derzeit rund 600 auf 650 Mitarbeiter wachsen. Leiharbeiten sollen in Festanstellungen übernommen werden.
Manche Maschinen sind 30 Jahre alt
Das alles berichtet Sieber, während er mit energischen Schritten durch die Göppinger Produktion führt. Teile des Gebäudes stammen noch von 1904. Die Dielen in den Fluren knarzen. Schmiedeeiserne Geländer zieren das Treppenhaus. Manche Maschinen sind 30 Jahre alt – und laufen immer noch. Florian Sieber ist erst seit gut acht Monaten Chef im Hause Märklin, spricht aber über die Feinheiten des firmeneigenen Zink-Druck-Guss-Verfahrens als hätte er in seinem Leben nichts anderes gemacht. „Noch nie hat sich ein Chef so schnell in die Technik eingearbeitet“, lobt Wolfrad Bächle. Bächle ist seit über 20 Jahren bei Märklin und seit zwei Jahren als Geschäftsführer für die Technik der Modelleisenbahnen verantwortlich.
Der hagere Schwabe hat sie alle kommen und gehen sehen: die Finanzinvestoren Kingsbridge und Goldmann Sachs, Chef Axel Dietz, der nur 18 Monate blieb, Insolvenzverwalter Michael Pluta, Geschäftsführer Kurt Seitzinger. Bächle war dabei als 2009 fast 400 der über 1400 Mitarbeiter gehen mussten, als die Konzepte mit den Gläubigerbanken gemacht wurden und als schließlich die Spielwarengruppe Simba-Dickie Märklin übernahm. Zuletzt sagte Bächle Stefan Löbich Adieu. Der 49-Jährige räumte wenige Monate nach dem Verkauf an Simba-Dickie auf eigenen Wunsch den Chefsessel. Insgesamt drei Jahre hatte er als oberster Lokführer die Weichen bei Märklin gestellt. Mit den neuen Eigentümern wollte es aber nicht recht harmonieren. Man habe unterschiedliche Auffassungen über die Strategie gehabt, hieß es offiziell.
Die Erwartungen an die neuen Eigentümer waren und sind hoch. Sieber mag jung sein, naiv ist er nicht. Erfolge in D-Zug-Manier erwarten weder er noch sein Vater. „Märklin ist kein Schnellboot, sondern ein ziemlich großer Dampfer“, sagt Michael Sieber über die dreizehnte Simba-Dickie-Marke. Die Produktionsprozesse sind zu komplex, die Fertigungstiefe zu hoch um mal eben eine Salve neuer Produkte abzufeuern, um den Umsatz anzukurbeln. Der liegt mit 105 Millionen Euro im Jahr 2013 auf Vorjahresniveau. Märklin lasse sich nicht mit anderen Marken seiner Gruppe vergleichen, betont Vater Sieber.
Am Anfang war sich Florian Sieber auch gar nicht sicher, ob Märklin zu Simba-Dickie passt. „Erst als wir die Produktionen in Göppingen und im ungarischen Gyor gesehen haben, waren wir davon überzeugt, dass Märklin großes Potenzial in sich birgt", erzählt Sieber. Den Ausschlag hätten schließlich die Mitarbeiter gegeben. Sie hätten trotz harter Zeiten und Insolvenz, "eine unglaubliche Liebe zum Produkt und riesige Motivation gezeigt". "Da war uns klar, dass Märklin in deutscher Hand bleiben muss.“ Sieber spielt auf die Gruppe chinesischer Investoren an, die ebenfalls Interesse an den Göppingern gezeigt hatten. Was unter einem weiteren Finanzinvestor aus Märklin geworden wäre, wollen sich Fans der Marke lieber nicht vorstellen. Die Siebers versprechen, mit der 150-Jahre-alte Traditionsmarke „behutsam“ umzugehen. „Nichtsdestotrotz ist das hier kein Kindergeburtstag“, sagt Vater Sieber streng, „wir haben Verpflichtungen wie etwa eine Arbeitsplatzgarantie für Göppingen bis 2019. Wir müssen Umsätze machen und unsere Fabriken auslasten.“ Märklin soll 2015 wieder fünf bis zehn Prozent Wachstum vorweisen können. Dafür braucht es keinen radikalen Wandel, aber doch sichtbare Veränderungen.
Eine tiefe Liebe zu Märklin
Der Märklino ist so eine Veränderung. Die Figur könnte bald als Held in Bilderbüchern auftauchen, in Comics oder Kurzgeschichten in Kinder- und Jugendzeitschriften. Was genau die Siebers mit Märklino vorhaben, wollen sie noch nicht verraten. Bedenkt man jedoch, was für einen riesigen Erfolg Disney mit den sprechenden Autos und Flugzeugen aus den Animationsfilmen Cars und Planes haben, kann man erahnen, was den Fürther Spielwarenexperten vorschwebt. Mit spannenden Abenteuergeschichten und einem durchdachten Marketingkonzept könnte den Siebers tatsächlich gelingen, was Märklin so dringend braucht: Die Eisenbahn zurück in die Kinderzimmer zu bringen.
Markenexperte Peter Pirck von der Brandmeyer Markenberatung traut Märklin noch viel zu, wenn es gelingt das Image von der Staubschicht zu befreien. „Darunter verbirgt sich eine tiefe Liebe zu Märklin.“ Viele Eltern, Omas und Opas hätten Angst, dass das Kind nur noch 'daddele'. "Daher gibt es eine große Bereitschaft, klassische Spielwaren zu schenken.“
Mit der Serie 'MyWorld' hat Märklin vor zwei Jahren mit der Rück-Eroberung der Kinderzimmer begonnen. Mit dem Vertrieb über Discounter, wo das Starterpaket für knapp 100 Euro über den Ladentisch ging, soll aber Schluss sein. "Eine gute Entscheidung", pflichtet Markenberater Pirck bei. „Die erste Kaufberührung ist prägend." Lerne der Kunde die Marke als billig kennen, schmälere das seine Bereitschaft, später mehr für sie auszugeben.
Genau das wollen die Fürther aber erreichen: Kunden, die wieder mit Märklin groß werden und selbst im Erwachsenenalter noch davon träumen. Wie der Vater, der sich heute den Lego-Bagger für zweihundert Euro kaufe, weil er mit Lego glückliche Kindheitserinnerungen verbinde, so müsse die Modelleisenbahn wieder ein generationenübergreifendes Hobby werden, schwebt Michael Sieber vor. "Eine langfristige Strategie", wie Sieber weiß und betont: „Wir bringen diesen langen Atmen mit.“
Kurz- und mittelfristig sollen neue Produkte in der MyWorld-Linie für Umsatz sorgen. Für die batteriebetriebene Linie für Kids ab drei soll es neue Züge geben und günstige Erweiterungssysteme, damit die Lok nicht nur im Kreis, sondern kreuz und quer durchs Kinderzimmer fahren kann. Das bisher in den MyWorld-Packungen enthaltene und im Grunde zu hochwertige C-Gleis wird durch ein kinderfreundliches, robustes Kunststoffgleis ersetzt. Das C-Gleis nutzt dafür die neue Serie Startup. Sie richtet sich an 6- bis 14-Jährige und Wiedereinsteiger im Erwachsenenalter. Die Starterpackung für Startup soll zwischen 100 und 200 Euro kosten.
Mit dieser Produktpalette soll Märklin langsam, aber stetig wieder wachsen. Lieber schraube man – wie 2013 geschehen – die Umsatzziele herunter, als sie auf Biegen und Brechen mit Rabatten zu erreichen. Die gab es in den vergangenen Jahren öfter und sorgten bei den Händlern für schlechte Stimmung. Das verlorene Vertrauen will Florian Sieber zurückgewinnen. „Indem den Worten Taten folgen“, sagt er.
40 plus bleibt Kernzielgruppe
Der Aktionsplan der Fürther ist lang – und langfristig, wie Vater und Sohn immer wieder betonen. Nur ein Bruchteil der Investitionen, die die Simba-Dickie derzeit bei den Schwaben tätigt, wird sich schnell rentieren. Zehn Millionen für die neue Werkshalle im ungarischen Gyor, jeweils 8,5 Millionen Euro in 2013 und in 2014 für die Entwicklung von Formen und Werkzeugen für neue Modelle, plus Investitionen für neue Maschinen und Automatisierungstechnik. „Da landen wir locker bei 28 oder 29 Millionen“, rechnet Sieber junior vor. Und das bei einem jährlichen Umsatz von rund 105 Millionen Euro.
Allein für die Entwicklung und Fertigung der neuen schlanken Bogenweiche investiere man 2013 und 2014 je rund eine halbe Million Euro. „Das wird sich vielleicht erst in zehn Jahren rechnen. Aber die Sammler fordern dieses Teil seit über 15 Jahren. Daran sehen Sie, wir meinen es wirklich ernst mit Märklin.“
Die Sammler ab 40 plus bleiben die Kernzielgruppe der Märklin-Loks. Das bedeutet neben der schrittweisen Erschließung der jungen Zielgruppe aber auch: „Wenn wir nachhaltig wachsen wollen, ist der größte Hebel definitiv im Ausland“, erklärt Florian Sieber. Polen, Russland, Ungarn und Bulgarien stehen ganz oben auf der Liste. Dort wolle man in den Markt einsteigen, Gespräche mit Vertriebsorganisationen liefen bereits, so Vater Michael Sieber.
Auch Tschechien ist für Märklin prinzipiell interessant, allerdings bedauert Sieber, sei das „ein Zwei-Leiter-Markt“. Für alle Nicht-Modelleisenbahner: Das Märklin-System fährt über drei elektrische Leitungspunkte und Wechselstrom, die meisten anderen Hersteller nutzen nur zwei Punkte – die linke und die rechte Schiene – und fahren mit Gleichstrom. Wer mit dem einen System begonnen hat, steigt nicht so schnell auf das andere um. "Der Drei-Leiter-Markt ist eine Insel. Die Welt um Deutschland tickt ganz klar im Zwei-Leiter-Markt“, erklärt Florian Sieber, „aber für uns ist es ein wichtiges Charakteristikum: Märklin ist H0 Drei-Leiter. Diese Ausrichtung werden wir nicht ändern."
Vom amerikanischen Markt erwarten sich Vater und Sohn Sieber wenig. Mit seiner amerikanischen Niederlassung der Simba-Dickie-Gruppe habe er Lehrgeld bezahlt, aber im Gegensatz zu den großen deutschen Konzernen wie Telekom oder Daimler immerhin nur Millionen statt Milliarden verbrannt, scherzt Michael Sieber. „Der amerikanische Markt ist sehr abgeschottet. Als europäisches, mittelständisches Familienunternehmen haben sie es da schwer.“ Lediglich für die Gartenbahn LGB sehe man mehr Potenzial – speziell an der Westküste der USA.
Das eine oder andere Geschäft lässt sich ja vielleicht schon auf der Nürnberger Spielwarenmesse in die Bahnen lenken. Falls Florian Sieber zum Plaudern kommt, wird er dann auch verraten, welche Modelle aus dem Märklin-Programm es ihm besonders angetan haben. „Was die Spurweite angeht, bin ich von der kleinen Z-Spur beeindruckt. Mein Lieblingsmodell in H0 ist derzeit das neu aufgelegte Krokodil. Und absolut begeistert bin ich von unserer neuen Spur-1-Lok P8. Das ist die Königsspurweite, in der wir mit diesem Modell eine neue Benchmark gesetzt haben.“
Kostenpunkt: 2999,95 Euro.