Finanzierung Warum Mittelständler nicht an die Börse wollen

Ein Mann mit Regenschirm steht zwischen steigenden und fallenden Aktienkursen. Quelle: imago images

Die Börse als Königsweg zu Wachstum und Beschäftigung? Der deutsche Mittelstand ist skeptisch, wenn es um den Gang aufs Parkett geht. Das hat viele Gründe.

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Für den Gang aufs Parkett wäre das Unternehmen groß genug: 12.300 Beschäftigte, gut zwei Milliarden Euro Umsatz. Doch Arndt G. Kirchhoff winkt ab. „Das kurzfristige Gewinndenken der Börse und unser Bestreben, langfristig zu wachsen – das passt einfach nicht zusammen.“ Der 63-Jährige ist einer von drei Gesellschaftern des Automobilzulieferers aus Iserlohn. Er führt das Unternehmen in vierter Generation. Geht es nach seinem Willen, soll die Kirchhoff-Gruppe auch künftig in Familienhand bleiben.

In Hamburg bekommt Reinhold von Eben-Worlée ständig Schreiben von Beratern, die ihm empfehlen, seine Anteile zu verkaufen. Solche Angebote liest der geschäftsführende Gesellschafter der Chemiefirma Worlée schon gar nicht mehr. Ein Börsengang? Für ihn keine Option. Ständig detaillierte Bilanzen zu veröffentlichen, das will von Eben-Worlée vermeiden. „Die Konkurrenz bekommt sonst doch viel zu detaillierte Einblicke in unser Geschäft“, sagt der 61-Jährige.

Ob Kirchhoff im Sauerland oder von Eben-Worlée in der Hansestadt, ob langfristiger Unternehmergeist oder die Sorge vor Berichtspflichten: Beide sehen keinen Grund, ihr Unternehmen an die Börse zu bringen. Das ist typisch für den deutschen Mittelstand – der Gang aufs Parkett kommt nur für die Wenigsten infrage.

Einst war der Gang an die Börse der Königsweg

Geld von Beteiligungsgesellschaften und Kredite der Hausbank scheinen die bessere Alternative zu sein. Zu streng sind die Regularien für börsennotierte Firmen, zu hoch die Kosten, klagen Unternehmer. Und ihr Geschäft wollen sie sich nicht durch Analysten und Quartalsberichte diktieren lassen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Börse die deutsche Firmenlandschaft nur unzureichend repräsentiert. Der Wert aller an der Börse notierten Unternehmen entspricht nach Weltbank-Angaben gerade einmal 60 Prozent. Global gesehen liegt diese Zahl bei 100 Prozent.

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von Michael Scheppe

Zur Zeit des Neuen Marktes galt der Gang aufs Parkett noch als Königsweg zu Wachstum und Erfolg. Allein im Jahr 1999 wagten 175 Firmen den Sprung an die Börse. Zwischen 2001 und 2017 waren es in Summe nur 162. „Die Börse hat als eine Säule der Unternehmensfinanzierung in den vergangenen Jahren an Bedeutung eingebüßt“, sagt Norbert Kuhn, Ökonom am Deutschen Aktieninstitut. „Sie droht ihre Rolle als Wachstums- und Beschäftigungsmotor zu verlieren.“ Seit Mitte der Neunzigerjahre, das zeigt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, haben hierzulande durch Pleiten, Fusionen und Übernahmen mehr Unternehmen die Börse verlassen als neue hinzu gekommen sind.

Familienfaktor hält Mittelständler vom Börsengang ab

Wenn Kirchhoff und von Eben-Worlée über ihre Unternehmen sprechen, steht das auch sinnbildlich für den deutschen Mittelstand. Kirchhoff gehört zum Mittelstandsbeirat der NRW-Landesregierung, von Eben-Worlée ist Präsident des Familienunternehmerverbandes. „Wenn wir an der Börse wären“, sagt Kirchhoff, „müssen wir Dividenden an anonyme Kapitalgeber ausschütten.“ Er bevorzuge aber, wenn das Geld im Unternehmen bleibe. Von Eben-Worlée, der sein Unternehmen in fünfter Generation führt, ergänzt: „Ich möchte unabhängig in meiner Entscheidung bleiben.“

„Das kurzfristige Gewinndenken der Börse und unser Bestreben, langfristig zu wachsen – das passt einfach nicht zusammen“, sagt Arndt G. Kirchhoff, 63, Gesellschafter beim Automobilzulieferer Kirchhoff-Gruppe. Quelle: Unternehmen

Was die beiden Unternehmer skizzieren, sei ein psychologisches Thema, sagt Tom Rüsen, Professor und geschäftsführender Direktor des Instituts für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke: der Familienfaktor. „Viele Firmeneigentümer wollen ihre geerbten Anteile durch einen Börsengang nicht vermindern, sondern das Unternehmen in einem soliden Zustand an die kommende Generation weitergeben.“ Familienunternehmer würden anders über die Finanzierung denken als in angelsächsischen Wirtschaftsmodellen skizziert. „Sie wollen nicht die Investorenmütze aufziehen.“

Börsennotiz bedeutet Aufwand und Kosten

Die Börsenskepsis hat verschiedene Gründe. Einerseits können Unternehmen auch schnell wachsen, wenn sie keine Aktien streuen, zeigt eine Untersuchung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV). Demnach haben die deutschen Familienunternehmen ihre Umsätze seit 2004 um gut 40 Prozent gesteigert, die Gewinne sind um mehr als das Doppelte gewachsen. Der DSGV hat Einblick in einzelne Kennzahlen von über 300.000 Familienunternehmen und wertet diese jedes Jahr anonymisiert aus.

Private Equity profitiert

Zum anderen ist die Zurückhaltung dadurch zu erklären, dass der Gang aufs Parkett umständlicher geworden ist. „Ein Börsengang erhöht zwar die Finanzierungsfähigkeit und Reputation eines Unternehmens“, erklärt Ökonom Kuhn vom Deutschen Aktieninstitut, „muss aber durch Transparenzvorschriften teuer erkauft werden.“ Und oftmals wollten Mittelständler lieber im Verborgenen arbeiten als im grellen Licht der Börse.

Gerade im niedrigen Zinsumfeld bietet Private Equity eine Alternative, die nicht so teuer und reglementiert ist. Das hat sich jüngst erst wieder gezeigt: Zwei Private-Equity-Gesellschaften aus den USA kündigten an, bei dem schwäbischen Wohnmobil-Hersteller Hymer einsteigen zu wollen. Laut Insidern ist die Familie sogar bereit, ihre Mehrheit zu verkaufen. Dabei hatten die Eigentümer eigentlich überlegt, wieder zurück an die Börse zu gehen – nachdem sich das Unternehmen 2013 vom Parkett zurückgezogen hatte.

„Ich möchte unabhängig in meiner Entscheidung bleiben“, sagt Reinhold von Eben-Worlée, 61, geschäftsführender Gesellschafter der Chemiefirma Worlée. Quelle: Verband Die Familienunternehmer

Auch die Parfümeriekette Douglas wollte vor zwei Jahren an die Börse zurückkehren, wurde dann aber vom einem Private-Equity-Haus aus Luxemburg gekauft. Und Deutschlands bekannteste Start-ups Flixbus und Auto1 („Wir kaufen Dein Auto“) ziehen einen Börsengang zunächst gar nicht in Betracht. Denn die Folgekosten sind hoch: Ein Büro in der Nähe des Englischen Gartens in München. Josko Radeljic, Leiter Investor Relations, ist im Stress: Lagebericht schreiben, Excel-Tabellen auswerten, Telefonkonferenzen vorbereiten. Am 9. August präsentiert der Mischkonzern BayWa AG seine Halbjahreszahlen.

Mehrere Millionen Euro kosten die mit der Börsennotiz verbundenen Anforderungen den Münchner Konzern, der 15 Milliarden Euro umsetzt und 18.000 Angestellte beschäftigt. In der Vergangenheit habe die Regulierung überhandgenommen, beklagt der 46-Jährige und seufzt. „Die Beziehung zu Aktionären und Analysten sollte eigentlich im Vordergrund stehen.“ Doch durch Berichtspflichten und Regularien würde diese zusehend eingeschränkt.

Radeljic sagt aber auch: „Die Börse ist für ein Unternehmen eine Art Gütesiegel.“ Von diesem will auch das Münchner Familienunternehmen Knorr-Bremse profitieren. Beobachter rechnen damit, dass der Bremsenhersteller in den kommenden Monaten den Sprung aufs Parkett wagt. Bislang sind in diesem Jahr 13 Unternehmen an die Börse gegangen – mehr als im kompletten Vorjahr. „Vom ökonomischen Gewicht müsste Deutschland allerdings 40 Erstnotizen pro Jahr verzeichnen“, sagt Martin Steinbach, Börsengangexperte bei der Beratung EY. Doch diese Zahl wird hierzulande weder in diesem noch in den kommenden Jahren erreicht werden – allein schon, weil der Mittelstand nicht an die Börse will.

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