Firmen stellen sich die Putin-Frage Deutsche Unternehmen in Russland: Gehen oder bleiben?

Volkswagen hat vergangenes Jahr rund 199.000 Fahrzeuge in Russland ausgeliefert. Quelle: imago images

Seit Kriegsbeginn stehen Firmen vor einer Gewissensfrage: Wie halten sie es mit Putins Russland? Die meisten pausieren ihr Geschäft, einige ziehen sich zurück. Was ihre Reaktionen über die deutschen Weltmarktführer verraten.

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Geht es um Russland, möchte der Mann anonym bleiben. Nur so viel: Chef eines mittelständischen Familienunternehmens, ein Weltmarktführer aus dem Süden Deutschlands, mit nur kleinem Geschäft in Russland. Seine Bedenken liegen nicht etwa in der Furcht begründet, in der Öffentlichkeit als Kriegsprofiteur zu gelten, als jemand, der ungeachtet des Leids in der Ukraine weiterhin Geschäfte macht mit dem Kriegstreiber. Bei Kriegsausbruch, sagt der Mann, habe er sofort die Entscheidung gefällt: Das Geschäft in Russland wird eingestellt. Seine Bedenken gelten vielmehr seiner Handvoll Angestellten im Land. Der Mann sagt: „Unsere Mitarbeiter vor Ort werden bedroht.“ Konkreter könne er nicht werden.

Es ist die Frage der Stunde für Unternehmen - die wirtschaftliche Gretchenfrage: Wie halten sie es mit Putins Russland? Seit Wladimir Putin einen Krieg in der Ukraine führt, stehen Unternehmen vor dieser Entscheidung: sich zurückzuziehen aus dem Riesenreich – oder zu bleiben und sich womöglich rechtfertigen zu müssen.

Der russische Staat und seine Organe, darunter auch die vielen Staatsunternehmen, reagieren offenbar zunehmend rabiat gegenüber Firmen, die Standorte oder Produktionsstätten im Land unterhalten und aufgrund Putins Angriffskrieg ihr Geschäft einschränken oder einstellen. Dazu zählen auch viele deutsche Weltmarktführer, wie eine exklusive WirtschaftsWoche-Umfrage zeigt. Die Mehrheit der deutschen Unternehmen will offenbar zunächst im Land bleiben, schränkt das Geschäft aber temporär stark ein. Zum radikalsten Schritt sieht sich der Frankfurter Gabelstapler- und Lagerlogistikkonzern Kion gezwungen: Wegen des Kriegs in der Ukraine prüft die Firma „aktuell Optionen für den Verkauf des Geschäfts in Russland“. Das betrifft rund 400 Angestellte, die für den M-Dax-Konzern vor Ort Gabelstapler vertreiben. Auch der Rückversicherer Munich Re zieht sich aus Russland zurück. Ob „vorerst“ oder „dauerhaft“, müsse sich zeigen.

Die meisten deutschen Weltmarktführer halten es wie der Bielefelder Werkzeugmaschinenbauer DMG Mori (Umsatz: zwei Milliarden Euro): Das Unternehmen hat sämtliche Geschäftsaktivitäten in Russland eingestellt. Davon betroffen sind rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die meisten von ihnen arbeiten in der südrussischen Großstadt Uljanowsk, wo die Bielefelder ein Fertigungs- und Montagewerk unterhalten. Daneben gibt es noch drei DMG-Mori-Vertriebs- und Servicegesellschaften in Moskau, Uljanowsk und Jekaterinburg.

Der Umsatzverlust stehe in keinem Verhältnis zum Leid der Menschen

Ähnlich äußerte sich auch das Elektrounternehmen EBM Papst aus dem baden-württembergischen Mulfingen, das in Russland unter anderem Ventilatoren für die Ausstattung von Supermärkten lieferte – bis zu Kriegsbeginn. Der aktuelle Umsatzverlust im mittleren zweistelligen Millionen-Bereich aufgrund des Lieferstopps, erklärt eine Sprecherin, stehe „für uns in keinem Verhältnis zum Leid der betroffenen Menschen“. Die 54 EBM-Papst-Angestellten in Russland und jene neun in der Ukraine würden aber weiterhin bezahlt.

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Quer durch alle Branchen drücken die Weltmarktführer in Russland auf Pause: Sei es bei Farben, Lacken und Wärmedämmstoffen (Firma Sto stellt die Lieferungen „bis auf Weiteres“ ein), Waschmaschinen und Trocknern (Miele stoppt die Lieferung, bezahlt die 230 Mitarbeiter für die nächsten sechs Monate weiter), Mess- und Steuerung von Gasen und Flüssigkeiten (Firma Bürkert setzt das Russland-Geschäft für sechs Wochen aus), Software (SAP), Schrauben (Würth: „Die Lieferungen nach Russland, Belarus und in die Ukraine sind bis auf weiteres ausgesetzt“), Flügen (die Lufthansa setzt alle Flüge nach Russland aus und überfliegt den russischen Luftraum nicht mehr für Überflüge) und auch Autos. Der Volkswagen-Konzern hat 2021 immerhin rund 170.000 Fahrzeuge in russischen Fertigungsstätten produziert, in den Werken Kaluga und Nizhny Novgorog. Die dortige Geschäftstätigkeit wurde nun, wie VW mitteilt, „bis auf Weiteres eingestellt“.

Die meisten der antwortenden Unternehmen beziffern den Russland-Anteil am Gesamtumsatz auf weniger als zwei Prozent, viele gar auf weniger als ein Prozent. Sie dürfte das Pausieren des Russland-Geschäfts weniger schmerzen als zum Beispiel die Düsseldorfer SMS Group, Weltmarktführer in der Hütten- und Walzwerkstechnik. SMS erwirtschaftete im vergangenen Jahr rund sechs Prozent des Gesamtumsatzes von 2,7 Milliarden Euro in Russland. Knapp 1.700 Angestellte zählt die Firma in Russland, hauptsächlich im Service-Bereich. Auch der Düsseldorfer Dax-Konzern Henkel beschäftigt mit rund 2.500 Frauen und Männern immerhin fast fünf Prozent aller 52.000 Mitarbeiter in Russland.

Anders als viele genannte Unternehmen hat Henkel in Russland auch nicht alle Tätigkeiten eingestellt: Zwar habe man alle geplanten Investitionen im Land sowie Werbung und Sponsoringaktivitäten gestoppt, aber die lokale Produktion und den Verkauf „von Produkten des täglichen Bedarfs, wie Haushalts- und Körperpflegeprodukte, werden wir zunächst weiterführen“, teilt eine Sprecherin mit. Und ergänzt vielsagend: „Ein kompletter Rückzug aus dem russischen Geschäft kann weitreichende Konsequenzen haben – auch und gerade für unsere Mitarbeiter vor Ort.“

„Einen kompletten Lieferstopp sehen wir nicht als zielführend an“

Oliver Hermes, der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, sah sich kürzlich gezwungen, auf solche Differenzierungen hinzuweisen. In einem Statement wehrte er sich gegen „pauschale Vorwürfe gegen deutsche und europäische Unternehmen (...), die weiter in Russland aktiv sind“. Diese Kritik sei unberechtigt. Denn es gebe „eine Reihe von Wirtschaftszweigen, in denen eine weitere wirtschaftliche Betätigung nicht nur rechtmäßig, sondern auch legitim ist“. Er benennt auch die Methoden, mit denen Russland Druck ausübt: das sogenannte Fremdverwaltungsgesetz, das bislang noch ein Gesetzentwurf ist. Jede Firma, sagt Hermes, die nach russischer Lesart ohne klaren wirtschaftlichen Grund ihre Tätigkeit einstellt oder Leute entlässt und damit die soziale Sicherheit gefährdet, „unterliegt dem Risiko, unter die sogenannte Fremdverwaltung zu fallen“. Man könnte auch sagen: diese Firmen werden enteignet.

Viele Unternehmen berichten Hermes und seinen Verbandskollegen, „dass die lokalen Staatsanwaltschaften schon auf sie zukommen sind und prophylaktisch Gespräche führen, obwohl das Gesetz noch gar nicht in Kraft ist“. Der Ost-Ausschuss könne in dieser Lage keine pauschalen Ratschläge geben, sagt Hermes. Schließlich drohten in Russland auch Vertragsstrafen, „bis hin zum vollständigen Vermögensverlust und rechtliche Konsequenzen für leitende Mitarbeiter“.

Und so gibt auch eine Minderheit der Weltmarktführer an, die Geschäfte weiter zu führen – mit mal mehr, mal weniger starken Einschränkungen. Da ist etwa Landmaschinenfabrik Grimme aus dem niedersächsischen Damme (Umsatz: 453 Millionen Euro). Seit mehr als 30 Jahren exportiere man nach Russland, heißt es vom Unternehmen, das Land zählt zu den fünf größten Exportländern des Mittelständlers. „Bis auf ein paar spezifische Ersatzteile stehen weder Neumaschinen noch Komponenten auf den Sanktionslisten“, erklärt ein Sprecher, „da moderne Landtechnik für die Ernährung der Bevölkerung essentiell ist“. Man hoffe, „zum Start der Saison beim Pflanzen von Kartoffeln und Säen von Rüben weiter unterstützen (zu) können“. Allerdings, schränkt das Unternehmen ein, hätten sich die Logistikkapazitäten durch den Krieg deutlich verändert und die Preise als auch die Stornierungen seien stark gestiegen.

Insgesamt betreibt mehr als ein Dutzend der antwortenden Unternehmen weiter Geschäfte mit Russland. Bayer, Fresenius und Merck etwa liefern weiterhin Gesundheitsprodukte nach Russland. Der pfälzische Pumpenhersteller KSB (Umsatz: 2,2 Milliarden Euro) betreibt sein Russland-Geschäft weiter – „sofern die Finanzierung gesichert ist (Vorkasse)“, teilt das Unternehmen mit. KSB liefert in Russland vor allem Pumpen und Armaturen für die Wasser- und Lebensmittelindustrie und erwirtschaftet damit einen zweistelligen, mittleren Millionenbetrag. „Einen kompletten Lieferstopp sehen wir nicht als zielführend an, da es die Zivilbevölkerung und nicht den eigentlichen Aggressor treffen würde“, heißt es vom Konzern.



Ein paar Unternehmen geben sogar an, gar keine Geschäftseinschränkungen in Russland zu spüren beziehungsweise in Kauf zu nehmen, so etwa Südzucker aus Mannheim („Das Geschäft in Russland läuft weiter wie bisher“) und das oberpfälzische Chemieunternehmen Nabaltec („Die gelieferten Produkte sind nicht sanktioniert“).

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Und damit noch einmal zum anonymen süddeutschen Weltmarktführer vom Anfang – zur Illustration der erstaunlichen Bandbreite der unternehmerischen Sichtweisen. Er schicke niemanden mehr nach Russland, sagt der Mann. Auch habe er von einem Gesetzentwurf gehört, wonach denjenigen Strafen drohen, die für Firmen arbeiten, die in Russland absichtlich in die Insolvenz laufen. Die Pläne, um seine Mitarbeiter in Russland ausfliegen zu lassen, lägen schon bereit, sagt der Mann.

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