Es gibt dieses Zitat des amerikanischen Staatsmannes Benjamin Franklin, das besagt: „Dreimal umziehen ist so schlimm wie einmal abbrennen.“ Jeder, der schon drei Umzüge hinter sich hat, kann das bestätigen.
Doch jetzt stelle man sich vor, dass es nicht nur den Ficus benjamina, Töpfe und Pfannen, Sessel, Schränke und den Partner einzupacken gilt, sondern mehrere Hundert Mitarbeiter, ebenso viele Bürostühle, Tische, Schränke, Akten und Computer. Anschließend müssen noch neue Visitenkarten gedruckt, Briefpapier entworfen und Signaturen geändert werden. Wer diesen Stress auf sich nimmt, muss einen guten Grund dafür haben. Oder gleich mehrere.
Zum Beispiel, wenn zwei Unternehmen nach einer Übernahme zu einem verschmelzen; wenn der Standort zu klein oder zu groß geraten ist; wenn die Verwaltung näher an die Produktion ziehen will; wenn Steuern oder Miete eingespart werden sollen, Umstrukturierungen notwendig sind oder das Unternehmen nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter an den aktuellen Standort lockt – was vor allem für Mittelständler im ländlichen Raum ein Problem ist.
So vielschichtig die Gründe auch sind, aktuell kommt es in der deutschen Unternehmenslandschaft zu einer mittelgroßen Firmenwanderung. Vor einem Jahr zum Beispiel zog ein Teil der Berner-Gruppe von Künzelsau nach Köln. Auch Otto Bock, Weltmarktführer für Prothesen, hatte Probleme, die Talente ins niedersächsische Duderstadt zu locken. Die Lösung: ein neuer Standort in Berlin-Mitte.
Mobilität von Führungskräften nimmt ab
Der Armaturenhersteller Grohe wiederum zog vor ein paar Jahren aus dem sauerländischen Hemer in die nordrhein-westfälische Hauptstadt Düsseldorf. Der Umzug war zwar Teil einer größeren Umstrukturierung. Doch auch hier stand die Anbindung an einen internationalen Flughafen und der attraktivere Standort im Vordergrund.
Die zehn besten deutschen Mittelständler
Um die Wachstumsstärke der mittelständischen deutschen Weltmarktführer zu vergleichen, bedient sich die WirtschaftsWoche eines Indexes des Ökonomen David L. Birch vom Massachusetts Institut of Technology in der Nähe von Boston. Dieser nach ihm benannte Index multipliziert den absoluten Umsatzzuwachs mit dem prozentualen. Das relativiert sowohl das prozentuale Wachstum junger Betriebe als auch das absolute Wachstum bereits großer Unternehmen.
Basis des Indexes waren im Ranking die Jahre 2002 bis 2012.
Branche: Maschinenbau
Mitarbeiter 2012: 1676
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 225,20/682,40
Durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 11,72 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1385,4
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Dentalindustrie
Mitarbeiter 2012: 2979
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 284,00/814,56
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 11,11 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1521,7
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: IT/ Software
Mitarbeiter 2012: 689
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 3,35/73,70
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 36,22 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1547,7
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Logistik
Mitarbeiter 2012: 2000
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 335,24/934,70
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 10,8 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1671,4
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Automatisierungstechnik
Mitarbeiter 2012: 2200
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 78,00/408,00
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 17,95 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1712,0
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Maschinenbau
Mitarbeiter 2012: 3700
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 104,04511,70
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 17,27 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 1996,3
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Agrartechnik
Mitarbeiter 2012: 2432
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 250,00/858,00
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 13,12 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 2083,9
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Sicherheitskameras
Mitarbeiter 2012: 336
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 3,00/81,60
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 39,14 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 2137,9
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Schiffbau
Mitarbeiter 2012: 1400
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 300,00/984,90
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 12,6 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 2248,5
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
Branche: Automobilzulieferer
Mitarbeiter 2012: 4000
Umsatz im Geschäftsjahr 2002/2012 (in Mio. Euro): 179,90/780,00
durchschnittliches jährliches Wachstum über zehn Jahre: 15,80 Prozent
Birch-Index² (prozentuales mal absolutes Wachstum): 2601,9
Quellen: Bundesanzeiger, eigene Schätzungen, Datenbank Weltmarktführer
„Perspektivisch ist dieser Schritt für viele ländlich angesiedelten Mittelständler alternativlos“, sagt Peter May, der an der WHU – Otto Beisheim School of Management lehrt und Familienunternehmen berät. Auch weil die Mobilität von Führungskräften immer weiter abnimmt. Die Beratung Odgers Berndtson befragte für ihr aktuelles Manager-Barometer mehr als 1800 Führungskräfte. Das Ergebnis: Nur noch etwa 55 Prozent sind dazu bereit, für einen neuen Job innerhalb Deutschlands umzuziehen – selbst wenn es sich um eine höhere Position handelt. Im vergangenen Jahr sagten das immerhin noch 63 Prozent der Manager.
Doch es geht auch andersrum, nämlich von der Stadt aufs Land. Bärchenproduzent Haribo will seinen Hauptsitz im kommenden Jahr von Bonn ins rheinland-pfälzische Städtchen Grafschaft verlegen. Die Gründe? Neben der größeren Fläche, die dem Unternehmen dort zur Verfügung steht, lockte vermutlich auch die niedrigere Gewerbesteuer im Nachbar-Bundesland. Da half es auch nicht, dass der künftige Exstandort Bonn sogar im Firmennamen verewigt ist. Heimatverbundenheit allein zahlt eben keine Rechnungen.
Für den Ruf ist so ein Umzug schädlich. Der Betriebsrat fürchtet einen Jobabbau, die Mitarbeiter haben sich meist häuslich eingerichtet. „Gerade Familienunternehmen leben oft von diesem Kümmer-Image, das sie in ihrer Region haben“, sagt Experte Peter May. Sie unterstützen Schulen oder richten selbst Betriebskindergärten ein, helfen bei der Ferienbetreuung oder der Pflege der Eltern. „Das leidet natürlich unter so einem Umzug“, sagt May.
Diese Erfahrung musste auch der Küchenhersteller Alno machen. Anfang 2010 hatte der damalige Vorstandschef die Filiale nach Düsseldorf verlegt – nach mehr als 50 Jahren im baden-württembergischen Pfullendorf. Nur ein Jahr später beschloss sein Nachfolger, wieder zurückzuziehen. Manchmal ist es zu Hause eben doch am schönsten.