Flüchtlingsinitiative "Wir fangen gerade erst an"

Wie können Flüchtlinge richtig in Unternehmen integriert werden? Um diese Frage zu klären, haben sich gestern Unternehmer auf der Handelsblatt-Veranstaltung zur Initiative „Wir zusammen“ getroffen.

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Als die Flüchtlinge kamen, waren es nicht nur die gut ausgebildeten Fachkräfte. Wie man sie doch in den Arbeitsmarkt integrieren kann, darüber sprachen gestern die Teilnehmer. Quelle: dpa

Zwei Jahre ist es jetzt her, dass Angela Merkel die drei Worte aussprach, mit denen man die Bundeskanzlerin wohl noch lange verbinden wird: „Wir schaffen das“, sagte Angela Merkel im Angesicht der größten Fluchtbewegung seit dem zweiten Weltkrieg. Sie hat Kritik für ihre Haltung geerntet aber auch Nachahmer gefunden, die ihren Optimismus geteilt und die Herausforderung angenommen haben.

Oliver Munzel zum Beispiel, Chef der All Service Unternehmensgruppe aus Frankfurt, war begeistert von der Idee, geflüchteten Menschen einen Arbeitsplatz und die Chance auf Integration anzubieten. Zunächst, erzählt er, habe er sich davon überzeugt, dass seine Mitarbeiter mitziehen würden. Sie wollten. Doch dann passierte erstmal gar nichts. „Alle standen in den Startlöchern, aber wir kriegten keine Flüchtlinge“, sagt Munzel. Die Behörden waren mit dem Ansturm überfordert. Es dauerte, bis die ersten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse erteilt waren.

Und als sie dann kamen, waren es nicht nur die gut ausgebildeten Fachkräfte, von denen die Befürworter der offenen Grenzen immerzu sprachen. Munzel und seine Kollegen mussten lernen, dass der Betreuungsbedarf viel höher war, als sie zunächst angenommen hatten. Vor allem die Sprache war ein großes Hindernis in einer Firma, das unter anderem Sicherheitsdienstleistungen anbietet. Um in dem Bereich arbeiten zu dürfen, müssten die Mitarbeiter eine Prüfung ablegen, sagt Munzel. Und zwar auf deutsch.

Munzel ist nicht der Einzige, der in den vergangenen zwei Jahren dazu gelernt hat. Er ist Mitglied der Initiative „Wir zusammen“, in der sich mittlerweile 200 deutsche Unternehmen zusammengetan haben, um ihre Erfahrungen mit der Integrationsarbeit zu teilen. Am Donnerstagabend trafen sie sich in Leipzig. Eingeladen waren nicht nur Unternehmer, sondern viele verschiedene Akteure, die an dem Prozess beteiligt sind, für den es keinen vorgezeichneten Plan gab, der inzwischen aber die Form einer Kurve angenommen zu haben scheint: Eine Lernkurve.

Ausgerechnet in Sachsen, wo es in den vergangenen Jahren so viele fremdenfeindliche Übergriffe gab wie sonst nirgendwo in Deutschland, zählt die Initiative so viele Gäste wie noch in keiner anderen Region zuvor. Es sei schwierig, in der Region geeigneten Nachwuchs zu finden, sagt Andreas von Bismarck, Chef von Terrot, einem Hersteller von Rundstrickmaschinen in Chemnitz. Aus Syrien, bis zum Bürgerkrieg ein großer Exporteur von Baumwolle und Textilien, müssten doch Experten gekommen sein, dachte er sich.

Zudem habe ihn beunruhigt, mit welchen Ressentiments selbst liberale Freunde auf die Vorfälle von Köln reagierten. Es ist eine Mischung aus Zivilcourage und unternehmerischem Kalkül, die Leute wie von Bismarck antreiben, oder, wie es der Moderator des Abends, Hans-Jürgen Jakobs vom Handelsblatt, formuliert: Es geht um Geist, Geld und Gefühl.

Um das Gefühl machten sie sich am meisten Sorgen an diesem Abend: „Das Thema ist nicht mehr so sichtbar“, befürchtet Daniel Auwermann, von der Firma ICU, die Unternehmen in interkulturellen Fragen berät. Es gebe auch Unternehmen, die sich hauptsächlich zum Zweck der Außendarstellung engagiert hätten. Die Gefahr sei groß, dass dieses Engagement jetzt nachlasse.
„Der Schwung aus 2016 ist nicht mehr da“, sagt Marlies Peine, die Leiterin der Initiative „Wir zusammen“. Im Durchschnitt kämen aber immer noch zwei Unternehmen pro Woche dazu. Das ist auch nötig: „Diejenigen, die vor zwei Jahren angekommen sind, sind jetzt in den Jobcentern angekommen“, sagt Reinhilde Willems von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Sachsen. „Unsere Arbeit fängt jetzt erst richtig an.“


Nicht alle besuchen einen Integrationskurs

Auch Uta Dauke, Vizepräsidentin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), sieht noch Handlungsbedarf: So besuchten längst noch nicht alle Menschen, deren Asylantrag das BAMF bewilligt habe, einen Integrationskurs. Das habe seine Gründe, habe man gelernt: So seien viele Frauen zu Hause nicht abkömmlich, weil sie die Kinder betreuen müssen. Gelernt haben sie auch: Die Sprachkurse, die das BAMF bisher angeboten hatte, waren auf die Bedürfnisse von Europäern zugeschnitten, Menschen, für die es selbstverständlich ist, dass man die Buchstaben von links nach rechts liest. Inzwischen gibt es Kurse für das Erlernen der lateinischen Schrift, Gruppen extra für Frauen, Kinderbetreuung, und Alphabetisierungskurse.

Trotz aller Bemühungen um Austausch und Kooperation sorgen die Entscheidungen des BAMF bei vielen Besuchern dieses Abends immer wieder für Unverständnis: Die Unternehmer, die sich trotz aller interkulturellen Hürden bereit erklären, geflüchteten Menschen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, sind frustriert, wenn sie erleben müssen, dass die ausgebildete Fachkraft das Land wieder verlassen muss, zum Beispiel weil sie aus Afghanistan stammt, einem angeblich sicheren Herkunftsland. Das seien die Regeln, entgegnet Uta Dauke und liest aus einem Merkblatt vor, das beschreibt, von welchen Stichdaten es abhängt, ob einer für wie lange bleiben darf. Viele dieser Behörden-Merkblätter gibt es inzwischen auch in Farsi und auf arabisch. Die Regeln sind auch auf deutsch ziemlich kompliziert.

Das ärgert vor allem Waslat Hasrat-Nazimi, eine Journalistin der deutschen Welle, geboren in Afghanistan, die im Alter von vier Jahren hierher kam. Weil die Kindergartenplätze fehlten, schickte man das Mädchen, das damals noch kein Wort deutsch sprach, in die Schule. Sie sei auf dem Schulhof mit Steinen beworfen worden, erzählt Hasrat-Nazimi. Obwohl sie selbst eine Musterkarriere gemacht hat, erklärt sie die Integration in ihrer Generation als gescheitert: Weil sie so hart habe dafür kämpfen müssen, dazu zu gehören, weil es nicht selbstverständlich war. Sie habe keine Lust, immer nur dankbar sein zu sollen, schließlich leiste sie etwas, „wie jeder andere hier auch.“

Helfen würde es, „man würde sich auf Augenhöhe begegnen.“ Dann könnte man viel mehr gemeinsam erreichen. Dass ein Mensch, der aus seinem Land flieht, nicht automatisch seinen Stolz und seine Ansprüche zurücklässt, musste auch der Unternehmer von Bismarck lernen. Er fand einen Textilingenieur, der in Syrien eine hohe berufliche Position bekleidet hatte. Obwohl der Mann sich anstrengte, schnell deutsch zu lernen, habe es mit der Integration in die Firmenhierarchie gedauert. „Der dachte immer, er müsse hier gleich eine Management-Position einnehmen“, erzählt von Bismarck. Er habe schließlich einen Vermittler einschalten müssen, um das Verhältnis zu klären.

Es gibt viele Initiativen, die vermitteln wollen, zwischen Menschen und Behörden, zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen, zwischen Unternehmern und Arbeitssuchenden. Anfangs lief das Engagement zwar voller Enthusiasmus, aber ohne Koordination ab, hat Denis Hoenig-Ohnsorg, Leiter der CSR-Abteilung beim Online-Händler Zalando, beobachtet. Der Konzern hat darum einen Fonds aufgelegt, mit dem er Organisationen fördert, die erfolgreiche Modelle aus anderen Ländern kopiert. Eine Mentoring-Initiative zum Beispiel, bei der die Mentoren stets den gleichen beruflichen Background haben sollen wie ihre Mentees. Anderswo auf der Welt gebe es schon viel mehr Erfahrung mit den Folgen von Fluchtbewegungen. „Man muss das Rad nicht neu erfinden“, sagt Hoenig-Ohnsorg. Man kann die Lernkurve auch abkürzen.

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