Gesundheitsmanagement Mittelständler entdecken Sauna und Muckibude

Konzerne haben betriebliche Gesundheitsvorsorge als Wettbewerbsvorteil erkannt. Mittelständler tun sich immer noch schwer. Doch das ändert sich jetzt.

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Angestellten in Firmen mit einem aktiven Gesundheitsmanagement fehlen im Durchschnitt 26 Prozent weniger häufig als Kollegen in Firmen, die auf Vorsorge verzichten. Quelle: dpa

Die Bandarbeiterin Annette Berg in der Produktionshalle des Marzipanproduzenten Niederegger in Lübeck ruft ihre Kolleginnen – nicht zum Streik, sondern zur Gymnastik. „Jetzt schalten wir alle mal die Fließbänder ab und stellen uns im Kreis auf.“ Für die nächsten zehn Minuten stehen alle roten Marzipanherzen still. „Wir strecken die Arme hoch und machen uns groß, dann die Schultern lockern!“

Die Arbeiterinnen in ihrer weißen Schutzkleidung und den Haarnetzen turnen während der Arbeitszeit, um die Rückenmuskulatur zu lockern. Die bezahlte Pause ist von der Geschäftsleitung gewollt. Die Manager haben dafür mehr als 30 Mitarbeiter zu Rückenexperten ausbilden lassen. Alle 640 Bandarbeiter machen mit, einmal pro Schicht. Im Werksslogan heißt die Veranstaltung „Marzipan-Ballett“.

Damit ist das Familienunternehmen mit seinen 800 Mitarbeitern Vorreiter unter den Mittelständlern. Nicht Altruismus hat das Unternehmen veranlasst, etwas für die Gesundheit der Belegschaft zu tun, sondern Kalkül: Gesunde Mitarbeiter sind produktiver und melden sich seltener krank. „Der Gesundheitsstand unserer Belegschaft ist um zwei Prozentpunkte auf 96,4 Prozent gestiegen“, sagt Personalchef Klaus Puschaddel. Auch die Mitarbeiterzufriedenheit, die jedes Jahr durch eine Umfrage gemessen wird, ist um 40 Prozent höher als im Vorjahr.

So nutzen Mittelständler ihre Stärken im Wettbewerb um Fachkräfte

In Konzernen ist betriebliches Gesundheitsmanagement, Fachkürzel: BGM, schon lange ein Thema, zwei Drittel der Großunternehmen verfügen inzwischen über ein Gesundheitsmanagement oder bauen es gerade auf. Im Mittelstand sieht es dagegen häufig düster aus. Zwar haben die Chefs die Vorteile einer systematischen Gesundheitsvorsorge für die Belegschaft in 80 Prozent aller Unternehmen erkannt, so das Ergebnis einer Untersuchung der Münchner Unternehmensberatung Roland Berger. Doch nur fünf bis zehn Prozent des deutschen Mittelstands beschäftigen sich systematisch mit dem Thema, hat das Bonner Marktforschungsinstitut EuPD Research herausgefunden. Mangel an Zeit, Geld und Personal werden als Hauptgründe genannt, warum nicht mehr passiert.

„Die Konzerne haben das Potenzial des betrieblichen Gesundheitsmanagements zuerst erkannt“, bestätigt Alfons Schröer, Geschäftsführer des Netzwerks „Unternehmen für Gesundheit“ in Essen. Die großen Betriebe beschäftigten immer häufiger Gesundheitsexperten oder Gesundheitsbeauftragte, die eng mit den Betriebskrankenkassen zusammenarbeiten. Andere bieten wie der Mittelständler Festo aus dem schwäbischen Esslingen freiwillige Vorsorgeuntersuchung.

„Dabei arbeiten wir mit unserem Werksarzt, aber auch mit niedergelassenen Ärzten und Sportinstituten rund um Stuttgart zusammen“, sagt Personalchef Matthias Kolb. Aber die Ergebnisse bleiben vertraulich. Rund 90 Prozent der Mitarbeiter nutzen das Angebot. „Für jeden außertariflichen oder leitenden Mitarbeiter stehen binnen fünf Jahren 1300 Euro zur Verfügung“, sagt Kolb. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG mit Hauptsitz in Berlin hat sich als Partner Klinikketten gesucht, die deutschlandweit aktiv sind, sodass die Mitarbeiter vor Ort betreut werden können. „Doch bis der Mittelstand so weit ist, sind noch viele Schritte nötig“, sagt Schröer.

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