Gießereien in der Gaskrise „Stellt man uns das Gas ab, wird kein Auto mehr gebaut“

Die Schmelzöfen der rund 200 Gießereien in Deutschland für Aluminium und andere Leichtmetalle werden – anders als die der rund 400 Eisengießereien – nicht mit Strom, sondern mit Gas befeuert. Quelle: Getty Images

Worst-case-Szenario für Porsche und Co.: 200 Gießereien in Deutschland betreiben ihre Schmelzöfen mit Gas und produzieren überwiegend Aluminiumteile für die Autoindustrie. Dort droht Stillstand, wenn die Teile fehlen.

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„Wenn man uns das Gas abstellt, wird kein Auto mehr gebaut“, sagt der Unternehmer Rolf Cramer über seine Branche. Denn rund 200 Gießereien in Deutschland produzieren Teile aus Aluminium und anderen Leichtmetallen vor allem für die Autoindustrie und ihre Zulieferer. Ihre Schmelzöfen werden – anders als die der rund 400 Eisengießereien – nicht mit Strom, sondern mit Gas befeuert.

Die Sorge, der jeweilige lokale Versorger könnte kein Gas mehr liefern, weil russische Lieferungen nach Deutschland ausbleiben, war früher undenkbar. Seit Moskaus Krieg gegen die Ukraine und den Sanktionen dagegen ist sie akut und treibt den kleinen, aber systemrelevanten Wirtschaftszweig und seine Kunden ebenso um wie die Frage, wie sie mit dem gegenüber 2021 vervielfachten Gaspreis überleben sollen.

So ist es auch bei Druckguss Westfalen im nordrhein-westfälischen Geseke. Cramer führt hier zusammen mit einem Kollegen die Geschäfte. Das 1964 gegründete Unternehmen mit heute 320 Mitarbeitern produziert unter anderem die Gehäuse für die Steuerungselektronik für Audis Strom-SUV E-tron und für Porsches elektrische Limousine Taycan. Direktabnehmer sind dabei namhafte Autozulieferer wie Preh. Ohne die Aluminium-Teile aus Westfalen aber bekämen Audi und Porsche kein Auto der Modellreihen mehr fertig. Da dieses Problem branchendurchgreifend ist, ist auch durch andere Gießereien kein Ersatz möglich.

Rolf Cramer leitet die Gießerei Druckguss Westfalen im nordrhein-westfälischen Geseke. Quelle: Privat

80 Prozent der Druckguss-Westfalen-Teile und sogar 90 Prozent der Produktion der ganzen Alu-Gussbranche geht an die Autobranche. Die restlichen Abnehmer etwa aus dem Maschinenbau oder der Medizintechnik jedoch sind nicht weniger abhängig davon, dass Druckguss Westfalen und die Wettbewerber ihre Verträge erfüllen und die individuell gegossenen Alu-Teile für ihre Produkte liefern können.

Bei 800 Grad werden in Geseke in fünf Schachtschmelzöfen jedes Jahr rund 6000 Tonnen Aluminiumbarren eingeschmolzen. Transportbehälter bringen das flüssige Material zu den 27 Druckgussmaschinen. Dort bleibt es in Warmhalteöfen, bis die jeweils notwendige Menge zum Gießen der Teile in die Gießmaschine fließen. „In den vergangenen Jahren haben wir den Gasverbrauch pro Tonne um 15 Prozent senken können, weil wir klimafreundlich und grundsätzlich sparsam arbeiten wollen“, sagt Cramer. Trotzdem stieg der Gasverbrauch des Unternehmens unterm Strich deutlich an, weil gleichzeitig das Geschäft florierte und der Umsatz seit 2017 um 70 Prozent wuchs.

Das Gas kommt ganz normal über die öffentliche Gasleitung. 900.000 Euro gibt Druckguss Westfalen bisher pro Jahr dafür aus. Aktuell profitiert Druckguss Westfalen von einem 2020 geschlossenen Vertrag mit dem kommunalen Anbieter Enercity aus Hannover über einen Festpreis, der aber in Kürze ausläuft. „Wenn der Vertrag endet, steigt der Preis um das Dreieinhalbfache“, weiß Cramer, weil er ein Angebot aus Hannover schon auf dem Tisch hat. Damit stiege der Gas-Anteil an den Produktionskosten von jetzt 1,6 auf rund sechs Prozent. Die gestiegenen Strompreise machten weitere vier Prozent der Kosten aus.

„Das können wir nicht stemmen“, sagt  Cramer: „Wenn wir diese Preise bezahlen müssen und nicht an die Kunden weiter geben können, gehen wir pleite.“ Entsprechend hart wird derzeit zwischen Druckguss Westfalen und den Kunden diskutiert. „Nur die Hälfte der Kunden verhandelt mit uns konstruktiv und bietet zumindest an, einen Teil der Zusatzkosten zu übernehmen“, berichtet Cramer.

Der 59-Jährige droht den günstigen Fixkostenpreis sogar früher zu verlieren, wenn die Bundesnetzagentur im von Wirtschaftsminister Robert Habeck aktivierten Notfallplan Gas die nächste Stufe ausruft. Dann könnten Versorger wie die Enercity ungeachtet bestehender Verträge ihre Preise direkt an die Abnehmer weitergeben – und die blieben auf einem großen Teil der Zusatzkosten sitzen.

Gerne würde sich Cramer vom Gas unabhängig machen. Geprüft wird in Geseke, auf einen der fünf Öfen zu verzichten. Aber das will gut überlegt und auch mit den Kunden besprochen sein, weil es Einfluss auf Lieferzeiten hätte. Zwei Wochen dauert es, bis ein Schmelzofen von 800 Grad Betriebstemperatur ohne Schäden herunter gefahren wird. Noch einmal zwei Wochen würde es dauern, ihn wieder hochzufahren.

Auch eine Umstellung auf Flüssiggas wäre denkbar. „Aber die baulichen Genehmigungen dauern mindestens ein Jahr“, sagt Cramer. Und mindestens alle zwei bis drei Tage müsste der Tankwagen kommen, um den Flüssiggastank aufzufüllen.

Die Gas-Krise kommt zu plötzlich – für die ganze Branche und selbst für diejenigen, die als technische Avantgarde schon mit Wasserstoff experimentieren. Das über 200 Jahre alte Unternehmen G.A. Röders im niedersächsischen Soltau gilt dabei als führend und will einen mit Wasserstoff befeuerten Schmelzofen-Prototypen „in diesem Jahr zum Laufen bringen“, sagt Unternehmer Gerd Röders. Aber reif für einen flächendeckenden Einsatz ist die Technologie erst in einigen Jahren. So sucht auch Röders kurzfristig andere Alternativen. Die sind eher rückwärtsgewandt. Die Tiegelschmelzöfen, die Röders mit Gas betreibt, könnte er wie in früheren Zeiten mit Öl befeuern. Die Tanks sind noch intakt, die Vorbereitungen laufen.

von Jannik Deters, Daniel Goffart, Florian Güßgen, Max Haerder, Henryk Hielscher, Theresa Rauffmann, Jürgen Salz, Christian Schlesiger, Thomas Stölzel

„Wir haben alle Schiss vor diesem Herbst“, sagt Röders. Das gilt für die ganze Gießereibranche. Denn auch die Eisengießereien brauchen Gas etwa zum Warmhalten, zur Pfannenvorwärmung, oder zur Wärmebehandlung von Gussstücken – nur in geringerem Umfang als die Nichteisen-Gießereien. Cramer „wäre wesentlich wohler, wenn alle Formen von Kraftwerken ohne ideologische Einschränkungen jetzt hoch gefahren und die regenerativen Energien jetzt wirklich schnell ausgebaut würden“. Er fürchtet: „Wenn Russland das Gas ganz abdreht, kann man sich ausrechnen, was passiert. In unserer Branche werden das viele nicht überleben.“

Hören Sie hier den WirtschaftsWoche-Podcast „High Voltage“, in dem Papierfabrik-Chef Jürgen Schaller seine Sorgen wegen eines möglichen Gas-Stopps schildert

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