Greensill, Flughafen Hahn, Adler Mode Die wichtigsten Insolvenzen des Jahres 2021

Die Pleiten von Greensill, dem Flughafen Hahn und Adler Mode sorgten 2021 für Schlagzeilen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Leere Kassen in Bremen, ein Flughafen-Crash im Hunsrück und modische Abstürze in Unterfranken: 2021 mussten etliche prominente Firmen den Gang zum Insolvenzgericht antreten. Das waren die größten Unternehmenshavarien des Jahres.

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Die große Pleitewelle blieb auch im zweiten Coronajahr aus. Insgesamt sackte die Zahl der Insolvenzen 2021 sogar auf ein 20-Jahres-Tief. Noch stärker fiel der Pleiten-Rückgang bei Großunternehmen mit einem Umsatz von mehr als 10 Millionen Euro aus, zeigt eine Untersuchung der auf Restrukturierungen spezialisierten Unternehmensberatung Falkensteg.

Gegenüber dem Vorjahr sanken die Insolvenzanträge von Großunternehmen demnach 2021 um rund die Hälfte – von 292 auf 147. „In der Umsatzkategorie über 20 Millionen Euro fiel die Pleitezahl sogar um zwei Drittel“, sagt Tillmann Peeters, Gründungspartner und Geschäftsführer von Falkensteg. Und dennoch: Auch 2021 gab es etliche spektakuläre Unternehmenshavarien, zeigen Auswertungen von Falkensteg und der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. 

Den Anfang machte im Januar der börsennotierte Bekleidungshändler Adler Modemärkte mit bundesweit rund 150 Filialen. Das 1948 gegründete Unternehmen beschäftigte rund 3.500 Mitarbeiter. Im Sommer wurde bekannt, dass mit der Berliner Zeitfracht ein neuer Investor die Kette übernimmt. Zuvor musste allerdings der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) mit einem Überbrückungsdarlehen aushelfen. Anders lief es beim Modefilialisten Orsay. Auch hier half der WSF mit einem Darlehen – allerdings drei Monate vor dem Schutzschirm-Insolvenzantrag. 

Nach Angaben der Deutschen Finanzagentur, die die WSF-Mittel verwaltet, war im August zugunsten von Orsay „eine Rekapitalisierungsmaßnahme in Höhe von 33 Millionen Euro beschlossen und vertraglich vereinbart“ worden. Davon seien 15 Millionen Euro an das Unternehmen ausgezahlt worden – Geld, das nun im Feuer steht. „Der WSF wird seine Interessen angemessen vertreten“, teilt eine Sprecherin der Finanzagentur mit – unter anderem über den Gläubigerausschuss. „Das Amtsgericht Offenburg hat einen Vertreter der Finanzagentur/des WSF in den vorläufigen Gläubigerausschuss bestellt“, heißt es von der Finanzagentur. Das Unternehmen ließ eine Anfrage unbeantwortet. 

Für den WSF ist es die zweite Insolvenz eines Empfängers von staatlichen Unterstützungsgeldern. So hat im Juli der Autozulieferer A-Kaiser Insolvenz angemeldet. Das Unternehmen aus Passau bekam im Januar 12,5 Millionen Euro aus dem WSF. Seit September ermittelt die Staatsanwaltschaft Landshut wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug. Damit scheint absehbar, dass die Staatshilfen für A-Kaiser bald als Kreditausfall gebucht werden müssen.

Andere Autozulieferer bekamen indes die Folgen von Lieferengpässen und Chipkrise zu spüren. „Die großen Hersteller haben vielfach ihre Bestellungen nicht abgerufen, was zu extremen Belastungen in der Branche geführt hat“, sagt Restrukturierungsexperte Peeters. 



Insgesamt 26 Großinsolvenzen im Automotive-Segment zählte Falkensteg im Jahr 2021. Darunter auch die Bolta-Werke, deren Management im September Insolvenzantrag stellte. Die Firmenleitung erhofft eine Neuaufstellung des Unternehmens mit rund 1000 Mitarbeitern und die Fortführung des Sanierungsprozesses. Auch der Zulieferer Henniges Automotive mit zuletzt gut 132 Millionen Euro Umsatz in Deutschland zog die Reißleine. Zum Insolvenzverwalter wurde Rainer Eckert von der Kanzlei Eckert Rechtsanwälte bestellt.  

Steigende Rohstoff- und Energiepreise

In den kommenden Monaten könnte sich die Lage für Autozulieferer wegen der andauernden Lieferengpässe, der steigenden Rohstoff- und Energiepreise sowie der erforderlichen Transformation hin zur E-Mobilität weiter verschärfen, glaubt Peeters. Ähnliches gelte für Zulieferer und Hersteller im Maschinen- und Anlagenbau, die im zu Ende gehenden Jahr ebenfalls mit Schwierigkeiten kämpfen mussten. Unter anderem erwischte es die beiden deutschen Gesellschaften des Saurer-Textilmaschinenkonzerns: die Saurer Spinning Solutions und Saurer Technologies mit zusammen mehr als 700 Millionen Euro Umsatz und 1800 Mitarbeitern. Peeters war als Generalbevollmächtigter der Saurer Technologies im Einsatz. Jan-Philipp Hoos führte als Sachwalter die Aufsicht über die Rettungsmission, die am Ende glimpflich ausging. Der Wettbewerber Rieter AG aus der Schweiz stieg als strategischer Investor mit 300 Millionen Euro bei Saurer Technologies ein. 

In die Insolvenz musste auch Kiel Industrial Services, eine Unternehmensgruppe aus dem Bereich Industrieservice und Rohrleitungsbau mit rund 1200 Mitarbeitern. Im Sommer hat ein Investor das Unternehmen und den Großteil der Beschäftigten übernommen. Auch bei der Insolvenz des traditionsreichen Kranherstellers Demag mit Sitz in Zweibrücken konnten zwei Standorte erhalten werden, allerdings ist ein umfangreicher Personalabbau vorgesehen.

Großinsolvenzen gab es auch im Bereich Personaldienstleistungen. Rund 1.300 Beschäftigte sind beispielsweise von der Pleite des Gesamthafenbetriebsvereins Bremen (GHBV) betroffen. Der Betreiber stellte den Häfen im Land Bremen Personal zur Verfügung. Auch die Brillant Gruppe mit mehreren Tochterfirmen, darunter die Mondi Personalservice, meldete Insolvenz an. Im Zuge der Corona-Krise war das Unternehmen mit 2500 Beschäftigten in Schieflage geraten. Allerdings wurde rasch ein Investor aus der Branche gefunden. Auch ein weiteres Dienstleistungsunternehmen erwischte es: Die Clean Garant Gebäudereinigung Winkler aus Pferdsdorf. Das Unternehmen ist auf Reinigungen von Hausfassaden spezialisiert und hat rund 800 Beschäftigte.

Die Top-20 mit 4,1 Milliarden Euro Umsatz

Für reichlich mediale Aufmerksamkeit sorgte im Oktober die Pleite des Flughafens Frankfurt-Hahn im Hunsrück. Der Restrukturierungsexperte Jan Markus Plathner, Partner der Kanzlei Brinkmann & Partner, wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und sucht nun nach Investoren für den Regionalflughafen. Auf der Schiene sorgt indes die Schutzschirm-Insolvenz des Nahverkehrsunternehmens Abellio für Verwerfungen. In Nordrhein-Westfalen sollen die Verträge an andere Bahnbetreiber vergeben werden. Das dürfte für die beteiligten Verkehrsverbünde teuer werden – und damit über kurz oder lang auch für deren Kunden. 

Ungemach droht derzeit auch Tausenden Kunden von kleineren Energieanbietern, die 2021 Insolvenz anmelden mussten. Sie leiden unter hohen Kostensteigerungen, da sie an den Energiebörsen kurzfristig Strom und Gas einkaufen müssen, um ihre Lieferverpflichtungen zu erfüllen. Auf die Kunden abwälzen können sie die höheren Beschaffungskosten kaum, da sie mit diesen in der Regel langfristige Lieferverträge mit einer Preisbindung vereinbart haben. Mitte Oktober hat mit der Otima AG einer der erste Stromanbieter wegen der hohen Preise Insolvenz angemeldet. Es folgten das Hamburger Energieunternehmen Smiling Green Energy, die Lition Energie in Berlin und die Fulminant Energie mit Sitz in Garching bei München. Auch die sächsische Dreischtrom GmbH hat mittlerweile Insolvenz angemeldet, ebenso wie die Neckermann Strom AG.

Welche Folgen der Anstieg der Energiekosten hat, lässt sich aber auch im baden-württembergischen Gernsbach besichtigen. Nach der Insolvenz des mittelständischen Karton- und Verpackungsspezialisten Baden-Board musste Verwalter Marc Schmidt-Thieme kurz vor Weihnachten die Ausproduktion einleiten. „Aufgrund der extremen Entwicklung des Gaspreises“ kann er „die Produktion des Unternehmens nicht weiter aufrechterhalten“, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens.

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Das wohl spektakulärste Insolvenzverfahren 2021 betraf indes die Bremer Greensill Bank, die auf die Finanzierung von Lieferantenkrediten spezialisiert war. Die Einlagensicherung musste einspringen und hat an die Anleger rund 2,7 Milliarden Euro ausgezahlt. Die institutionellen und kommunalen Gläubiger müssen sich derweil auf ein langwieriges Verfahren einstellen. „Ich gehe davon aus, dass dieses Verfahren zwischen fünf und zehn Jahren andauern wird“, sagte Insolvenzverwalter Michael Frege der WirtschaftsWoche. 

Verfahren wie Greensill blieben indes die große Ausnahme. „Zusammengefasst kommen die Top-20-Insolvenzen gerade einmal auf ein Umsatzniveau von 4,1 Milliarden Euro“, sagt Falkensteg-Gecshäftsführer Peeters. „Im Vorjahr lag der Umsatz der zwanzig größten Insolvenzen noch bei 10,3 Milliarden Euro.“ Schwergewichte wie Galeria Karstadt Kaufhof, Wirecard und Esprit führten damals die Insolvenzstatistik an. Auch für die kommenden sechs Monate erwarten die Falkensteg-Experten keinen großen Pleitenanstieg. Auch im dritten Coronajahr dürfte die große Insolvenzwelle also weiter auf sich warten lassen. 

Mehr zum Thema: Insolvenzverwalter-Legende Jobst Wellensiek steuerte Hunderte Firmen durch Crashs und Notlagen. Jetzt warnt der 88-Jährige vor der großen Pleitewelle – und ist dennoch optimistisch.

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