Eine dieser kleinen Firmen ist PYA Automotive. Das mexikanische Familienunternehmen wird in zweiter Generation von German Carrasco geführt. In sieben Fabriken fertigt Carrasco Plastik- und Gummiteile für die Autoindustrie. Die Werke von Honda und Nissan beliefert er direkt, in BMWs und Audis sind seine Teile über einen weiteren Zulieferer verbaut. Beim Audi Q5 etwa baut PYA das Plastikteil der Armablage in der Mittelkonsole, das noch von einem anderen Unternehmen mit Leder bezogen wird, bevor es in San José Chiapa ins Fahrzeug eingebaut wird. Das passt zur Strategie der Autobauer: Für das Audi-Werk werden nach Unternehmensangaben rund 65 Prozent der Teile vor Ort gefertigt, später soll der Lokalisierungsgrad noch erhöht werden. Die Industrie verlangt mehr Mexiko als weniger. Es ist praktischer und günstiger.
Wer Carrasco zuhört, merkt schnell, dass Trumps Kritik an niedrigen Löhnen nur noch bedingt zutrifft. „Unsere Arbeiter verdienen zehn Dollar am Tag, 2013 waren es noch 4,40 Dollar“, sagt Carrasco. „Dazu gibt es wöchentlich eine Box mit verschiedenen Nahrungsmitteln als Zugabe.“ Er muss inzwischen zu solchen Mitteln greifen, um Mitarbeiter zu halten: je nach Fabrik liegt die Personalfluktuation bei bis zu 50 Prozent pro Jahr. Facharbeiter sind gefragt, die emotionale Bindung ist gering. Bei einem besseren Angebot wechseln viele den Arbeitgeber. Im Branchenschnitt verdienen Arbeiter umgerechnet 12 bis 20 Dollar pro Tag, rund ein Sechstel eines US-Autoarbeiters in Detroit. Aber: Nur Arbeiter sind günstig. Ein Ingenieur oder Werksleiter ist schon heute kaum billiger als in den USA.
Die steigenden Personalkosten kann Carrasco nicht an den Kunden weitergeben – im Gegenteil. Die Einkäufer der Autobauer verlangen bei gleichbleibender Qualität sinkende Preise. „Nissan erwartet, dass wir pro Jahr acht Prozent mit dem Preis runtergehen“, sagt der junge Firmenchef. „Das können wir nur erreichen, wenn wir die Produktivität erhöhen. In Automatisierung zu investieren ist der einzige Weg.“ Das sieht auch – natürlich mit einem gewissen Eigeninteresse – Julio Serrano, Finanzvorstand bei Siemens Mexiko: „Wenn Mexiko mit den Global Playern mithalten will, muss es digital werden.“
Und gerade hier hapert es an der Digitalisierung der Produktion, wie es Weltkonzerne inzwischen erwarten. „Bei kleinen Unternehmen ist die Digitalisierung noch nicht so weit vorangeschritten“, sagt Serrano. „Hier liegt ein sehr großes Potenzial – auch wegen der großen Anzahl der kleinen Unternehmen.“
Bereits heute produziert PYA mit Spritzgussmaschinen von KraussMaffei und Arburg, einen Teil seiner Rohstoffe kauft Carrasco bei BASF, Covestro und Lanxess ein – seine Kunden erwarten die gewohnte Materialqualität. Das hat einen simplen Grund: 60 Prozent seiner Produktion liefert Carrasco direkt in die US-Autowerke. Der überwiegende Teil des Rests wird zwar noch in Mexiko in ein Auto eingebaut, aber auch das ist primär für den US-Markt gedacht.
Insgesamt, so schätzt der VDMA, gehen 80 Prozent des mexikanischen Exports in die USA – in der Autobranche dürfte das Niveau ähnlich sein. Das gesamte Handelsbilanzdefizit der USA mit Mexiko hat sich im Jahr 2017 auf 71 Milliarden Dollar summiert. Die Autobranche ist nicht der einzige große Wirtschaftszweig, der primär auf die USA als Absatzmarkt setzt: In Mexiko stehen unzählige Getränkewerke, auch weitere Nahrungsmittel werden in den Norden exportiert. Doch das Auto war schon immer ein Symbol des Patriotismus –wer fragt sich schon, wo seine Cola abgefüllt wurde?
Genau das geht Trump in der Autobranche an. Die US-Regierung fordert, dass die Einzelteile der Kfz-Importe in die USA zu 85 Prozent aus dem Nafta-Raum stammen und der Anteil der in den USA produzierten Teile mindestens 50 Prozent betragen soll. Vereinfacht gesagt: Die Hälfte der Autoteile muss in den USA gefertigt werden, damit ein in Mexiko gebautes Auto künftig zollfrei in die USA eingeführt werden kann. Damit will Trump die Wertschöpfung und Produktion zurück in die USA verlagern. Die mexikanische Regierung will das nicht mitgehen – nicht wenige sehen deshalb in den Warenursprungsregeln der Autobranche einen der Knackpunkte der Verhandlungen.
Klaus John, Leiter International Trade & Future Markets beim Elektronikverband ZVEI, sieht in diesem Punkt gar den „Tod von Nafta“. „Damit verringert sich die Attraktivität Mexikos“, sagt der Außenhandelsexperte. Er nimmt aber nicht nur die US-Regierung in die Pflicht, sondern zeigt auch auf die Fehler der anderen. „Mexiko will seit 20 Jahren seinen Handel breiter aufstellen“, so John. „Sie sind aber immer noch sehr von den USA abhängig.“
German Carrasco sieht die Nafta-Verhandlungen gelassener. „Die mexikanischen Unternehmen haben sich keine neuen Kunden außerhalb der USA gesucht, weil sie es nicht mussten“, sagt der PYA-Chef. „Es hat immer funktioniert. Und ich bin mir sicher: Wenn sie gezwungen werden, andere Kunden zu finden, werden sie das auch schaffen.“ Auch mögliche Zölle auf seine Plastikteile schrecken ihn nicht ab: „Die Lieferketten sind fix. Am Ende wird der Kunde die Folgen tragen.“