Brohltal Ost klingt nicht nach Glamour. Doch hier nimmt Ionity seinen Deutschlandbetrieb auf. Das Joint Venture von Daimler, BMW, Ford, Audi und Porsche treibt den Aufbau eines Schnellladenetzes für E-Autos voran. An der Autobahnraststätte auf der A61 können nun bis zu sechs Elektroautos gleichzeitig mit bis zu 350 Kilowatt Strom tanken. Wegen der enormen Leistung des HPC-Ladeparks (High Power Charging) soll das nur wenige Minuten dauern.
400 Stationen in ganz Europa sind das Ziel für das Ionity-Netz. An wichtigen Verkehrswegen stünde dann die nötige Infrastruktur bereit, um das Elektroauto langstreckentauglich zu machen. Das soll potenziellen E-Auto-Kunden, die sich noch von vermeintlich mangelnder Reichweite abschrecken lassen, die Sorgen nehmen, so das Kalkül der Autobauer.
Wäre da nicht dieses Problem: Keines der heute erhältlichen Elektroautos kann die hohe Leistung nutzen. An den superschnellen Ionity-Ladern füllen sich ihre Batterien deutlich langsamer. Wer sich auf die Suche nach dem Warum macht, entdeckt ein komplexes und spannendes Puzzle.
Beim Schnellladen spielen neben der Leistung der Ladesäule das Bordnetz des Autos und die Batterie eine entscheidende Rolle. „Diese Faktoren limitieren heute die Ladezeit“, sagt Frank Mühlon, globaler Leiter für Elektroauto-Ladesysteme beim Schweizer Elektro-Konzern ABB. Das schwächste Glied der Lade-Kette bestimmt, wie schnell geladen werden kann.
Alle gängigen Akkus, egal ob im Smartphone, Notebook oder Elektroauto, funktionieren nur mit Gleichstrom. Fast alle Stromquellen in unserem Alltag – zuvorderst die Haushaltssteckdose – liefern jedoch Wechselstrom. Der Wechselstrom muss für die Batterie in Gleichstrom umgewandelt werden. Für das Laden ist wichtig, wo diese Umwandlung geschieht. Entweder übernimmt das On-Board-Ladegerät im Fahrzeug die Umwandlung in Gleichstrom und lädt die Batterie auf. Wandelt hingegen der Gleichrichter in der Ladestation den Strom um, lädt er die Batterie des Elektroautos direkt mit Gleichstrom.
Tesla und seine Verfolger
Erhältlich in Europa etwa 2019
Reichweite ca. 350 Kilometer (realistisch bei alltagsüblicher Nutzung)
Preis ab ca. 40.000 Euro (noch nicht offiziell, WirtschaftsWoche-Schätzung)
Erhältlich ab Januar 2018
Reichweite ca. 300 Kilometer (realistisch bei alltagsüblicher Nutzung)
Preis ab 34.950 Euro (ohne Umweltprämie)
Erhältlich ab März 2018
Reichweite ca. 420 Kilometer (realistisch bei alltagsüblicher Nutzung)
Preis ab ca. 75.000 Euro (noch nicht offiziell, WirtschaftsWoche-Schätzung)
Erhältlich ab Herbst 2018
Reichweite ca. 420 Kilometer (realistisch bei alltagsüblicher Nutzung, noch nicht offiziell, WirtschaftsWoche-Schätzung)
Preis ab ca. 70.000 Euro (noch nicht offiziell, WirtschaftsWoche-Schätzung)
Erhältlich ab Winter 2019/20
Reichweite ca. 400 Kilometer (realistisch bei alltagsüblicher Nutzung)
Preis ab ca. 50.000 Euro (noch nicht offiziell, WirtschaftsWoche-Schätzung)
Erhältlich ab Ende 2019
Reichweite ca. 380 Kilometer (realistisch bei alltagsüblicher Nutzung, noch nicht offiziell, WirtschaftsWoche-Schätzung)
Preis ab ca. 32.000 Euro (noch nicht offiziell, WirtschaftsWoche-Schätzung)
Da im Auto selbst das Ladegerät aus Platz- und Gewichtsgründen meist sehr klein ausfällt, ist die Ladeleistung vieler Elektroautos mit Wechselstrom begrenzt. Bei einer stationären Ladesäule können die Gleichrichter größer und schwerer sein – aus diesem Grund arbeiten alle Schnellladesäulen mit Gleichstrom, im Gegensatz zu den konventionellen Ladesäulen in Innenstädten und der Wallbox für die heimische Garage.
Wenn eine Gleichstrom-Ladesäule gefunden ist, kommt es noch auf die Batteriespannung des Autos an, wie schnell geladen werden kann. Alle heute erhältlichen Elektroautos arbeiten mit einer Batteriespannung von 400 Volt. Das reicht für die neuen Schnellladenetze nicht aus. „Um mit 350 Kilowatt zu laden, brauche ich 800 Volt“, erklärt Mühlon. Leistung besteht immer aus Spannung und Strom. Sprich: Hat ein Auto die doppelte Batteriespannung, kann es auch doppelt so viel Leistung aufnehmen – und somit schneller laden. Doch der Umstieg auf 800 Volt erfordert aufwändigere Komponenten und eine andere Absicherung im Auto, was die Technik derzeit noch teuer macht.
Die nächste Herausforderung
Das erste Elektroauto mit einer 800-Volt-Batterie wird der Porsche Mission E sein, der 2019 auf den Markt kommen soll. Vorher wird also keiner die vollen 350 Kilowatt an der Ionity-Station abrufen können.
Da kurze Ladezeiten vom Kunden ausdrücklich gewünscht sind und die entsprechende Infrastruktur im Aufbau ist, werden künftige Elektroautos zunehmend auf 800 Volt setzen. Wenn die Technologie zum Standard wird, sinken auch die Kosten.
Ist diese Voraussetzung zum Schnellladen geschaffen, steht eine weitere Hürde im Weg. „Selbst, wenn wir die Spannung haben, muss die Batterie noch den Strom aufnehmen können“, sagt Lade-Experte Mühlon. „Das hängt von der Leistungsdichte der Zellen und der Kühlung der Batterien beim Laden ab.“ Die Schnellladesäule gibt die Gleichspannung mit 400 oder 800 Volt an das Auto weiter. Das Auto bestimmt dann, welche Stromstärke sein Akku aufnehmen kann.
Während beim Wechselstromladen die Stromstärke bei höchstens 50 Ampere liegt, können beim Schnellladen mit Gleichstrom Ströme von bis zu 500 Ampere fließen – was das Material enorm belastet. Zum Vergleich: Die gängige Stromstärke, mit der ein Notebook geladen wird, liegt bei gerade einmal 1,6 Ampere, dennoch können Ladegerät und Akku warm werden. Mit 500 Ampere ist auch ein großer Akku zwar schnell voll, dieser wird dabei aber sehr heiß und stark belastet. Da die teuren Akkus eines Elektroautos deutlich länger halten sollen als der Akku eines Smartphones, das nach zwei Jahren aussortiert wird, muss ein aufwändiges Batteriemanagement den Akku schützen.
Wie es nicht geht, ist derzeit bei Nissan zu sehen. Unter dem Stichwort „Rapidgate“ beklagen sich Kunden des neuen Leaf, dass der Wagen bei mehrmaligem Schnellladen auf einer Langstreckenfahrt die Ladeleistung stark herunterregelt. Nissan hat offenbar aus Kostengründen auf ein aufwändiges Thermo-Management mit Flüssigkeitskühlung der Batterie verzichtet. Beim dritten Ladevorgang sei die Leistung auf 22 Kilowatt gesunken, beklagt sich ein norwegischer Kunde. Möglich sind bis zu 50 Kilowatt. Damit wäre der 40 Kilowattstunden große Akku unter optimalen Bedingungen nach 40 Minuten zu 80 Prozent gefüllt. Mit dem gedrosselten Tempo dauert es ungleich länger, schützt aber die Batterie, wie Nissan erklärt. „Dieser Sicherheitsmechanismus erhöht zwar die Ladedauer nach mehreren Ladevorgängen, ist aber wichtig, um die Lebensdauer der Batterie aufrechtzuerhalten.“
Die Ladesäulen-Infrastruktur der Bundesländer
Doch auch mit flüssigkeitsgekühltem Akku gibt es Grenzen. Jaguar beschränkt bei seinem Elektro-SUV I-Pace die Stromstärke auf 200 Ampere. Bei den 400 Volt Batteriespannung, mit denen der Jaguar arbeitet, sind somit maximal 80 Kilowatt Ladeleistung möglich – egal, ob der Wagen jetzt an einem 350-Kilowatt-Schnelllader hängt oder an einer Säule mit 100 Kilowatt. Mit dem Akku sind zwar bis zu 480 Kilometer möglich, schnell aufgefüllt werden kann die Batterie aber derzeit nicht.
Falls dann eines Tages ein Elektro-Porsche an der Ladesäule steht und mit 800 Volt die vollen 350 Kilowatt abruft, stehen die Entwickler der Ladesäule vor der nächsten Herausforderung: Die hohe Stromstärke lässt nicht nur die Batterie heiß werden, sondern auch das Kabel. Den Ingenieuren bleiben dann zwei Möglichkeiten: Entweder das Kabel dicker machen (was es aber zu schwer und sperrig macht) oder eine Kühlung – wofür sich die Techniker entschieden haben. Das fest mit der Ladestation verbundene gekühlte Kabel gleicht – überspitzt formuliert – einem Wasserschlauch, durch den das gut isolierte Stromkabel geführt wird. „Es reicht nicht aus, Kabel und Steckverbindung mit Wasser zu umspülen“, sagt ABB-Entwickler Mühlon. Die fest mit der Ladestation verbundenen gekühlten Kabel sind – überspitzt formuliert – ein Wasserschlauch, durch den das gut isolierte Stromkabel geführt wird. „Dazu benötigt die Ladestation noch einen Kühler, der bei Wind und Wetter funktionieren muss. Kühlung und Pumpe müssen auch intelligent gesteuert werden, da das Kühlmittel nicht immer dieselbe Temperatur hat.“ Oder kurz zusammengefasst: „Es ist eine deutlich komplexere Technologie, als einfach nur ein Kabel einzustecken.“
Der Anfang ist gemacht
Bleibt die für den Laien wohl augenscheinlichste Frage: Die Form des Steckers, der die Ladestation mit dem Auto verbindet. Denn hier ist noch offen, welcher Stecker-Standard sich durchsetzen wird. Die Ionity-Stationen setzen ausschließlich auf den sogenannten CCS-Anschluss. Ein Tesla in Europa mit seinem Typ-2-Anschluss kann zwar an seinen eigenen Supercharger mit bis zu 135 Kilowatt laden, mit dem CCS-Anschluss der Ionity-Ladesäulen ist er aber nicht kompatibel. Die vornehmlich japanischen Elektroautos und Plug-in-Hybride, die auf den dort entwickelten Standard Chademo setzen, bleiben bei Ionity ebenfalls ohne Anschluss. Chinesische Elektroautos spielen zwar in Europa noch keine Rolle, kochen mit ihrem GB/T-Anschluss aber ebenfalls ihr eigenes Süppchen.
Zumindest mit den meisten erhältlichen und angekündigten Elektroautos von deutschen Herstellern ist man bei Ionity auf der sicheren Seite – diese Autos setzen auf den CCS-Anschluss. Dabei ist auch egal, ob das Auto mit 400 oder 800 Volt arbeitet und ab welcher Stromstärke die Batterie geschützt wird. Das Laden dauert dann länger, aber es funktioniert.
Trotz all der Stolpersteine hält Mühlon es für unabdingbar, dass der Aufbau eines Schnelladenetzes vorangetrieben wird – nicht nur, weil er selbst das ein oder andere Exemplar des ABB-Schnellladers verkaufen will. „Um eine Akzeptanz zu schaffen, brauche ich kurze Ladezeiten. Das ist im Moment anders nicht darstellbar.“
Technische Hintergründe zu Akkus
Eine Batterie hat die Aufgabe, beim Aufladen möglichst viele Elektronen aufzunehmen und diese mit möglichst wenigen Verlusten zu speichern. Beim Entladen gibt sie die Elektronen dann wieder ab, um mit diesem Strom zum Beispiel einen Elektromotor oder ein Handy zu betreiben.
Im Akku übernehmen die sogenannten Lithium-Ionen diese Speicheraufgabe: Diesen Atomen fehlt ein Elektron. Daher sind sie elektrisch positiv geladen. Beim Aufladen strömen negativ geladene Elektronen in den Akku und sammeln sich in einem dichten Geflecht aus dem leitfähigen Kohlenstoff Graphit. Dorthin wandern dann auch die positiv geladenen Lithium-Ionen. Jedes von ihnen bindet ein Elektron – man könnte auch sagen, dass jedes Ion ein Elektron festhält, um die Ladungsneutralität zu gewährleisten. Beim Entladen des Akkus verlassen die Elektronen das Graphit nach und nach wieder. Damit wandern auch die positiv geladenen Lithium-Ionen aus dem Graphit-Netzwerk heraus. Später kann der Ladezyklus dann von neuem beginnen.
Je mehr Lithium-Ionen in einen Akku hineinpassen, umso mehr Elektronen und damit Energie können auf gleichem Raum gespeichert werden. Daher arbeitet Bosch schon länger unter anderem daran, den Graphit-Anteil zu reduzieren oder ganz auf das Graphit zu verzichten. Dies würde die Energiedichte des Akkus deutlich steigern. Das scheint jetzt dem Start-up Seeo, das Bosch gekauft hat, gelungen zu sein.
Mit den ersten Ladern in Brohltal Ost ist der Anfang gemacht – zumindest in Deutschland. In Dänemark, unweit der deutschen Grenze, hat Ionity bereits im vergangenen Dezember den ersten Ladepark in Betrieb genommen. Dabei kommen unterschiedliche Anbieter zum Zuge: Die Ladesäulen in Dänemark stammen von Porsche Engineering. Die Technik an der A61 kommt vom australischen Anbieter Tritium. In Norwegen kommen Ladestationen von ABB zum Einsatz.
Offen ist, wie viele dieser Schnelllade-Parks an den Autobahnen entstehen müssen, egal ob von Ionity oder anderen Anbietern. Der wahre Luxus eines Elektroautos ist für viele, gar nicht mehr an eine Ladestation oder Tankstelle fahren zu müssen – weil sie zu Hause, auf einem Supermarktparkplatz oder in der Tiefgarage im Büro laden. „Wir brauchen künftig einen Mix an Lademöglichkeiten“, sagt auch Mühlon. „Wir müssen nicht jeden Autobahn-Parkplatz unter Strom setzen. Das ist aber mehr eine ökonomische als eine technische Frage.“
Wie lade ich mein Elektroauto?