Es ist ein ungewöhnlicher Ponton, der mitten auf dem kleinen See nahe des italienischen Dorfes Suvereto in der Toskana schwimmt: Dutzende Solarmodule sind auf ihm montiert, alle im schrägen Winkel dem Himmel zugeneigt. Langsam, ganz langsam dreht sich das schwimmende Kraftwerk der Sonne nach. Aber das bemerkt nur, wer hier lange zwischen den Weinbergen und Olivenbäumen sitzt und die Stille genießt.
Auf offenem Wasser Strom zu erzeugen, klingt zunächst nach einer riskanten Idee. Für Marco Rosa-Clot aber ist es ein Weg zur Lösung unserer Energieprobleme. Glaubt man dem Leiter des Forschungsinstituts Scienza Industria Tecnologia im italinischen Navacchio, dann wird Sonnenstrom einmal spottbillig – wenn man ihn nur in schwimmenden Kraftwerken erzeugt. „Unser System erhöht die Energieausbeute gegenüber Fotovoltaikanlagen auf dem Land um 75 Prozent“, verspricht er.
Die Italiener sind nicht die einzigen, die das Wasser als Kraftwerksstandort entdeckt haben. Auch Windturbinenhersteller arbeiten an riesigen Windmühlen, die nicht mehr mit Fundamenten befestigt sind, sondern frei im Meer schwimmen. Sie könnten weit von der Küste entfernt Strom erzeugen. Sogar schwimmende Wellenkraftwerke sind in Arbeit.
Bessere Kühlung
Damit sollen nicht nur völlig neue Flächen jenseits des Festlands für die Stromerzeugung erschlossen werden – regenerativ erzeugter Strom soll auch noch deutlich preiswerter werden als heute.
Fotovoltaik-Kraftwerke aufs Wasser zu bauen macht sie aus mehreren Gründen effizienter. Erstens lassen sich die Solar-Pontons spielend leicht mit Hilfe von Elektromotoren der Sonne nachführen. Auf dem Land geht das zwar auch, doch sind dafür viel aufwändigere Fundamente und Trägerkonstruktionen nötig. Der Einstrahlwinkel ist ein wichtiger Faktor für hohe Stromausbeute – Solarmodule sind umso produktiver, je genauer sie auf die Sonne ausgerichtet sind.
Ein zweites Argument, Solarmodulen das Schwimmen beizubringen, liegt in ihrer Hitzeempfindlichkeit. In voller Sonne werden sie oft mehr als 70 Grad heiß – und liefern dann nur noch 60 Prozent ihrer Leistung. Rosa-Clot hat sein Schwimmkraftwerk mit Sprenklern ausgerüstet, die die Module stetig kühlen. Wasser ist ja genug vorhanden.
Drittens testen die Italiener Solarpanels, die zusätzlich mit Reflektoren aus Aluminium ausgestattet sind. Die schräg gestellten Spiegelplatten sollen noch mehr Licht auf die Solarzellen werfen und die Stromausbeute erneut erhöhen. Auch sie lassen sich auf den Pontons vergleichsweise einfach anbringen.
Insgesamt soll das Kraftwerk in Italien pro installierter Kilowattstunde Leistung jährlich 2060 Kilowattstunden produzieren. Auf dem Land würden die Module nur 1170 Kilowattstunden liefern, rechnet Rosa-Clot vor. Das weckt Interesse aus aller Welt: „Wir arbeiten an Projekten in Südkorea und in den USA“, sagt der Wissenschaftler.
Hochseetaugliche Windräder
Der andere große Vorteil neben der hohen Energieausbeute: Auf dem Wasser tritt die Fotovoltaik nicht in Konkurrenz zu Landwirtschaft oder Naturschutzgebieten – im Gegenteil, sie schafft neue Synergien. So könnten Staudammbetreiber ihre Seen teilweise mit Fotovoltaikanlagen bedecken – und damit den Stromertrag verdoppeln. Scheint die Sonne, fließt Sonnenstrom ins Netz, abends springen dann die Wasserturbinen an.
Neue Flächen will auch die Windindustrie erschließen. Auf dem Land treffen Windmühlen ohnehin auf Widerstand der Bevölkerung, nahe vor der Küste wiederum müssen Offshore-Windparks sich von Schiffsrouten und Naturschutzgebieten fernhalten. Auf dem offenen Meer mit bis zu 200 Metern Wassertiefe dagegen wäre allein in Europa genug Platz, um 8000 Terawattstunden Strom zu produzieren, hat Jochen Bard berechnet, Meeresenergieexperte vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel. Das wäre mehr als zwei Mal so viel Strom, wie in der gesamten EU verbraucht wird.
Gleich mehrere Unternehmen wollen Windräder nun hochseetauglich machen, allen voran das norwegische Windenergie-Startup Sway. Das Konzept: Eine schwimmende Plattform, die Windturbinen mit bis zu fünf Megawatt Leistung tragen kann. Die riesige Stahlkonstruktion ist zum oberen Teil hohl und mit Luft gefüllt, unter Wasser trägt sie Ballast aus Stahlbeton, um sich im freien Wasser zu stabilisieren. Mehrere Anker am Meeresgrund verhindern, dass sie Riesenboje davontreibt.
Bojen als Energielieferant
Bisher haben die Norweger nur eine kleine Testanlage im Format 1:6 gewassert – und haben auch schon ihren ersten großen Misserfolg erlebt: Das 13 Meter hohe Konstrukt hielt im vergangenen November einem Sturm nicht stand und versank vor der Westküste Norwegens in der Nähe von Bergen. Die Anlage sei einfach zu klein gewesen, heißt es bei Sway, mit einer größeren Wind-Boje wäre das Unglück nicht passiert.
Die nächste Testanlage steht nun kurz vor der Wasserung. Und auch der portugiesische Energiekonzern Energias de Portugal und der norwegische Energiekonzern StatoilHydro arbeiten an der Vision schwimmender Windparks. Gelingt der Kampf gegen Wind und Wetter, dann stünde eine völlig neue Ära der Windkraft bevor. Es gäbe nicht nur viel mehr Platz für die Windenergie – die neuen Anlagen würden auch windstärkere Gebieten erschließen. Weltweit würde das offene Meer zum Kraftwerkspark.
Sogar die Wellen der Weltmeere treiben bald vielleicht Stromturbinen an. Das US-Startups Ocean Power Technologies hat eine Boje entwickelt, die das Auf und Ab der Meeresoberfläche mit Hilfe eines beweglichen Kolbens in Elektrizität umwandelt. Vor der Küste Schottlands schwimmt ein Exemplar, das immerhin schon 150 Kilowatt Leistung bringt. Meeresparks aus Dutzenden, ja hunderten Anlagen könnten künftig hundert Megawatt Strom und mehr erzeugen, hoffen die Unternehmer – genug für ganze Städte.
Vorteil der am Seeboden verankerten Bojen: Sie können weit vor der Küste in bis zu 50 Metern Wassertiefe installiert werden. Und ihr größter Teil schwimmt unter Wasser. Beides trägt dazu bei, dass sie am Horizont Touristen nicht die Aussicht vermaledeien. Sogar Hurrikane und Tsunamis soll das Gerät überstehen.
In Massenproduktion soll die Boje Strom für 15 US-Cent pro Kilowattstunde produzieren –und könnten damit sogar Offshore-Windräder unterbieten.