




Auf der Suche nach einem Buchhalter setzte ein Unternehmen, das lieber anonym bleiben will, kürzlich auf einen billigen Trick. Wortwörtlich. Bei jeder Überweisung an Kunden oder Lieferanten schlug es drei Cent auf den zu zahlenden Betrag auf. Das Kalkül: Wer den vermeintlichen Fehler moniert, bekommt ein Jobangebot. Und tatsächlich: Eines Tages klingelte das Telefon, man verhandelte und wurde sich einig. Das Beispiel zeigt, wie kreativ einige Unternehmen sind, wenn es darum geht, Fachkräfte anzulocken.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY befragt für ihr Mittelstandsbarometer jährlich 3000 Mittelständler. Die sehen den Fachkräftemangel als größte Herausforderung. 78 Prozent halten es für „eher schwer“ oder „sehr schwer“, qualifiziertes Personal zu finden. Mehr als die Hälfte rechnet mit Umsatzeinbußen mangels Fachkräften. Neben den ostdeutschen Bundesländern sind vor allem strukturschwache Regionen betroffen. Aber wer will schon von Hamburg nach Halberstadt ziehen oder von Frankfurt nach Feuchtwangen? Umgekehrt gilt: „Die jungen Talente zieht es aus der Provinz in die Städte“, sagt Armin Trost, Professor für Personalmanagement an der Business School der Hochschule Furtwangen.
Vorbei die Zeiten, in denen die Gattin dem Ehemann hinterherzog. „Zwei Verdiener sind der Normalfall“, sagt René Bohn, Arbeitsmarktexperte beim Verband Die Familienunternehmer. Betriebe müssten auch für den Partner einen Job finden.
Doch es gibt noch mehr kreative Möglichkeiten, an qualifizierte Bewerber zu kommen. Zum Beispiel diese.
Mit Konkurrenten verbünden
War for Talents – das klingt nach unerbittlichen Kämpfen, verhärteten Fronten und gegenseitigem Ausstechen. Doch was wäre, wenn die Kontrahenten sich nicht mehr gegenseitig Bewerber abluchsen, sondern qualifizierte Kandidaten weiterempfehlen? „Ein Gewinn für alle Seiten“, sagt Martin Gaedt, der Unternehmen in Sachen Recruiting berät und für einen solchen Austausch die Plattform Cleverheads gründete.
So erhöhen Mittelständler ihre Attraktivität für Fachkräfte
Wer ohnehin schon Schwierigkeiten hat, seine Mitarbeiterzahl konstant zu halten oder neue Leute zu finden, kann es sich nicht mehr leisten, ganze Gruppen auszuschließen. Das Heer an männlichen Arbeitskräften, 25 Jahre alt, 30 Jahre Berufserfahrung, Mitgliedschaft im Schützenverein, ist nämlich ziemlich klein geworden. Entsprechend müssen sich Mittelständler auch für ältere Arbeitnehmer, ausländische Fachkräfte, junge Eltern oder Menschen mit Handicap öffnen. Wer das nicht tut, verschenkt nicht nur Potenzial - er wirkt auch aus der Zeit gefallen. Und bei so jemandem möchte auch der 25-jährige Schützenkönig nicht arbeiten. .
Quelle: Recruiting-Guide 2017 der Online-Jobbörse Yourfirm
Die Kompetenzen älterer Arbeitnehmer sind in der Vergangenheit bei vielen Unternehmen unterschätzt worden. Dabei kann die Berücksichtigung der Kompetenzen und Bedürfnisse der Generation 50 plus den Fachkräfteengpass entschärfen. Wer auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber sein möchte, darf sich also nicht nur auf die 22-Jährigen Hochschulabsolventen versteifen.
Um die Generation 50plus anzusprechen sind nicht nur gezielte Recruiting-Maßnahmen erforderlich, sondern auch eine Anpassung der Betriebsstrukturen. Ältere Bewerber interessieren sich oft weniger für das Unternehmensimage, Aufstiegs- oder Weiterbildungsmöglichkeiten und schätzen dafür umso mehr integres Management und kooperatives Betriebsklima.
Aber auch an die junge Zielgruppe und deren Bedürfnisse muss gedacht werden: Für die steht heute oft nicht mehr die geradlinige Musterkarriere mit hohem Einkommen im Vordergrund, sondern die Verwirklichung persönlicher Lebensentwürfe. Dazu gehört auch die Möglichkeit, genug Zeit in private Belange investieren zu können. Aber auch die Chance, sich mit eigener Initiative und Kreativität in die Entwicklung des Betriebs einbringen zu können. Mitbestimmung, konstruktives Feedback und eine gute Work-Life-Balance sind also wichtig.
Obwohl Frauen heute vielfach besser qualifiziert sind als Männer, gelingt es vielen nicht, Familie und Berufsleben angemessen zu vereinen. 1,5 Millionen Mütter werden so laut IZA in Deutschland daran gehindert, Arbeit aufzunehmen oder Arbeitszeiten zu erhöhen. Diese 1,5 Millionen könnten so manchem Mittelständler aus der Patsche helfen.
Wenn er flexible Arbeitszeiten oder Arbeitsmodelle wie Jobsharing anbietet. Auf Frauen ausgerichtete Förderprogramme und eine Betriebskita verhindern außerdem, dass Arbeitszeiten überhaupt unnötig reduziert werden müssen. Auf solche Angebote achten übrigens auch junge Väter, beziehungsweise Männer, die eine Familie gründen wollen.
Wer innovative Mitarbeiter will, darf sich nicht mehr in ein Arbeitszeitkorsett pressen, das gut in das Jahr 1850 passen könnte. Hinzu kommt, dass flexible Arbeitszeiten nicht nur zeitgemäß sind, sondern auch Belastungen durch den Beruf reduzieren können. Besonders Mitarbeiter, die zu Hause Kinder erziehen, in der Pflege eingespannt sind oder pendeln, wissen solche Angebote zu schätzen. Auch Home-Office gehört zur Angebotspalette eines attraktiven Arbeitgebers.
Um als Arbeitgeber gerade für ältere Angestellte attraktiv zu bleiben, machen sich Investitionen in die betriebliche Gesundheitsvorsorge bezahlt. Auch das Angebot von frischem Obst oder Gratis-Getränken verbessert die Gesundheit der Mitarbeiter - und die Arbeitsatmosphäre.
Wer all das bereits anbietet und umsetzt und sich trotzdem schwer tut, bei der Mitarbeitersuche, der kommuniziert vielleicht einfach nicht genug: Schmücken Sie sich mit Ihren Federn - nicht nur mit Produkten und Dienstleistungen, auch mit Angeboten an die Belegschaft kann man angeben. Mitarbeiter können über Unternehmen aus eigener Erfahrung und nächster Nähe berichten. Daher stellen sie die glaubwürdigsten Experten für die Kommunikation der Arbeitgebermarke dar. Bilder, Videos oder schriftliche Stellungnahmen der Angestellten eignen sich also zur Illustration der Karrierewebsite, als Werbemittel auf Social-Media-Kanälen oder Videoportalen. Bei Karrieretagen oder Jobmessen können sie aus erster Hand berichten.
Die Teilnahme an Arbeitgeberrankings kann ebenfalls mediales Interesse wecken und das Arbeitgeberimage verbessern. Hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, die Erfolge öffentlichkeitswirksam darzustellen.
Das Konzept: Unternehmen, die eine Stelle neu besetzt haben, empfehlen im Internet diejenigen Bewerber weiter, die sie zwar nicht eingestellt haben, aber dennoch für qualifiziert halten. So werden andere Unternehmen aus der Umgebung auf die potenziellen Mitarbeiter aufmerksam – und die Arbeitskraft bleibt in der Region.
Zum Beispiel im münsterländischen Telgte. Dort haben sich mehr als 100 Betriebe zusammengeschlossen, vom Dachdecker über den Architekten bis zum Drogeriemarkt. Sie kooperieren mit Schulen, haben eine gemeinsame Internetseite mit Stellenanzeigen und empfehlen sich geeignete Kandidaten. Mit dabei ist auch Magdalena Münstermann vom gleichnamigen Anlagenbauer: „Es freut mich sehr, wenn junge Leute bei Kollegen unterkommen“, sagt sie. „So bleiben sie in der Region. Und das tut uns allen gut.“
Zweigstelle eröffnen
Nicht jeder ist für ein Leben in Mulfingen oder Duderstadt geboren. Was also tun, um Stadtkinder in die Provinz zu locken? Christian Berner, Chef des gleichnamigen Mittelständlers aus dem baden-württembergischen Künzelsau, hat darauf eine besonders radikale Antwort gefunden. Er zog mit einem Teil der Gruppe nach Köln, in ein hippes Loft im ehemaligen Hafen. „Wir leben in Zeiten der Urbanisierung, Sie bekommen die jungen Leute nicht aufs Land“, sagt Berner, „egal, was Sie ihnen anbieten.“
So viel gelebter Pragmatismus findet sich selten im deutschen Mittelstand. Unternehmen und Region sind meist tief miteinander verbunden, Chef und Mitarbeiter kennen sich seit Jahrzehnten. Die Arbeitnehmer halten die Treue, der Arbeitgeber bietet dafür Verlässlichkeit und Sicherheit. Zu diesem Vertrag passt ein Umzug nicht. Doch: „Dieser Schritt ist alternativlos“, sagt Peter May, Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. „Immer mehr Familienunternehmen werden ihn gehen.“ Otto Bock, Weltmarktführer für Prothesen aus dem niedersächsischen Duderstadt, ist ihn schon gegangen – und gründete im Mai 2015 eine Berliner Dependance.