Erfolgreicher Mittelstand Wie Weltmarktführer Mitarbeiter in die Provinz locken

Viele mittelständische Unternehmen sind in ihrem Metier Weltmarktführer. Doch bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern ist Kreativität gefragt. Wie Unternehmen selbst Stadtkinder in die Provinz locken.

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Diese Unternehmen haben das Potenzial zum Weltmarktführer
Modell von 3B Scientific Quelle: Presse
Alberdingk Boley Quelle: PR
Blickle Quelle: Presse
Gerät von Ecom Instruments Quelle: Presse
Firmensitz von Heinrich Eibach
Gesipa Quelle: Presse
Standort von Guntermann & Drunck Quelle: Presse

Auf der Suche nach einem Buchhalter setzte ein Unternehmen, das lieber anonym bleiben will, kürzlich auf einen billigen Trick. Wortwörtlich. Bei jeder Überweisung an Kunden oder Lieferanten schlug es drei Cent auf den zu zahlenden Betrag auf. Das Kalkül: Wer den vermeintlichen Fehler moniert, bekommt ein Jobangebot. Und tatsächlich: Eines Tages klingelte das Telefon, man verhandelte und wurde sich einig. Das Beispiel zeigt, wie kreativ einige Unternehmen sind, wenn es darum geht, Fachkräfte anzulocken.

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY befragt für ihr Mittelstandsbarometer jährlich 3000 Mittelständler. Die sehen den Fachkräftemangel als größte Herausforderung. 78 Prozent halten es für „eher schwer“ oder „sehr schwer“, qualifiziertes Personal zu finden. Mehr als die Hälfte rechnet mit Umsatzeinbußen mangels Fachkräften. Neben den ostdeutschen Bundesländern sind vor allem strukturschwache Regionen betroffen. Aber wer will schon von Hamburg nach Halberstadt ziehen oder von Frankfurt nach Feuchtwangen? Umgekehrt gilt: „Die jungen Talente zieht es aus der Provinz in die Städte“, sagt Armin Trost, Professor für Personalmanagement an der Business School der Hochschule Furtwangen.

Vorbei die Zeiten, in denen die Gattin dem Ehemann hinterherzog. „Zwei Verdiener sind der Normalfall“, sagt René Bohn, Arbeitsmarktexperte beim Verband Die Familienunternehmer. Betriebe müssten auch für den Partner einen Job finden.

Doch es gibt noch mehr kreative Möglichkeiten, an qualifizierte Bewerber zu kommen. Zum Beispiel diese.

Mit Konkurrenten verbünden

War for Talents – das klingt nach unerbittlichen Kämpfen, verhärteten Fronten und gegenseitigem Ausstechen. Doch was wäre, wenn die Kontrahenten sich nicht mehr gegenseitig Bewerber abluchsen, sondern qualifizierte Kandidaten weiterempfehlen? „Ein Gewinn für alle Seiten“, sagt Martin Gaedt, der Unternehmen in Sachen Recruiting berät und für einen solchen Austausch die Plattform Cleverheads gründete.

So erhöhen Mittelständler ihre Attraktivität für Fachkräfte

Das Konzept: Unternehmen, die eine Stelle neu besetzt haben, empfehlen im Internet diejenigen Bewerber weiter, die sie zwar nicht eingestellt haben, aber dennoch für qualifiziert halten. So werden andere Unternehmen aus der Umgebung auf die potenziellen Mitarbeiter aufmerksam – und die Arbeitskraft bleibt in der Region.

Zum Beispiel im münsterländischen Telgte. Dort haben sich mehr als 100 Betriebe zusammengeschlossen, vom Dachdecker über den Architekten bis zum Drogeriemarkt. Sie kooperieren mit Schulen, haben eine gemeinsame Internetseite mit Stellenanzeigen und empfehlen sich geeignete Kandidaten. Mit dabei ist auch Magdalena Münstermann vom gleichnamigen Anlagenbauer: „Es freut mich sehr, wenn junge Leute bei Kollegen unterkommen“, sagt sie. „So bleiben sie in der Region. Und das tut uns allen gut.“

Zweigstelle eröffnen

Nicht jeder ist für ein Leben in Mulfingen oder Duderstadt geboren. Was also tun, um Stadtkinder in die Provinz zu locken? Christian Berner, Chef des gleichnamigen Mittelständlers aus dem baden-württembergischen Künzelsau, hat darauf eine besonders radikale Antwort gefunden. Er zog mit einem Teil der Gruppe nach Köln, in ein hippes Loft im ehemaligen Hafen. „Wir leben in Zeiten der Urbanisierung, Sie bekommen die jungen Leute nicht aufs Land“, sagt Berner, „egal, was Sie ihnen anbieten.“

So viel gelebter Pragmatismus findet sich selten im deutschen Mittelstand. Unternehmen und Region sind meist tief miteinander verbunden, Chef und Mitarbeiter kennen sich seit Jahrzehnten. Die Arbeitnehmer halten die Treue, der Arbeitgeber bietet dafür Verlässlichkeit und Sicherheit. Zu diesem Vertrag passt ein Umzug nicht. Doch: „Dieser Schritt ist alternativlos“, sagt Peter May, Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. „Immer mehr Familienunternehmen werden ihn gehen.“ Otto Bock, Weltmarktführer für Prothesen aus dem niedersächsischen Duderstadt, ist ihn schon gegangen – und gründete im Mai 2015 eine Berliner Dependance.

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