Gleichstrom statt Wechselstrom Die wahre Revolution in der Fabrik ist nicht Industrie 4.0

Fabrik-Revolution betrifft vor allem die Energieversorgung Quelle: imago images

Industrie 4.0? Die wahre Revolution in den Fabriken betrifft die Energieversorgung! Fabriken werden in Zukunft nicht mehr mit Wechselstrom, sondern mit Gleichstrom betrieben. Das hat viele Vorteile.

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Vielleicht ist Ihnen das auch schon passiert: Wie jeden Morgen hat Sie der Radiowecker pünktlich geweckt, auch die Uhr am Backofen zeigte noch genügend Zeit fürs Frühstück. Und doch haben Sie den Bus verpasst. Mitte Januar muss das vielen Berufstätigen und Schülern in Europa so ergangen sein. Ursache war nicht kollektive Schlafmützigkeit, sondern Probleme im europäischen Verbundstromnetz. Schaffen es die Kraftwerke nicht, genügend elektrische Energie zu erzeugen, gerät das Stromnetz aus seinem auf 50 Hertz festgelegten Takt. Die Folge: Alle Uhren, die mit der Netzfrequenz als Taktgeber arbeiten, gehen nach – innerhalb weniger Wochen kamen so um die fünf Minuten zusammen.

Mag der Zeitverzug für Schüler eine willkommene Ausrede sein, die Mathearbeit zu schwänzen, für die Industrie ist er eine Hiobsbotschaft. Denn starke Schwankungen in der Netzfrequenz sind Vorboten von Stromausfällen. Und die fürchten produzierende Betriebe wie der Teufel das Weihwasser. Man denke nur an eine Anlage, in der kontinuierlich chemische Reaktionen ablaufen. Fällt die elektrische Heizung aus, werden Tonnen Chemikalien zu Abfall. Stoppt ein Roboter mitten im Schweißvorgang, kann das betreffende Teil Schrott sein – und im schlimmsten Fall der Roboter gleich dazu.

Die Statistik der Stromausfälle gibt Anlass zur Besorgnis. Der SAIDI-Index, der die Häufigkeit der Stromausfälle länger als drei Minuten nach Ländern auflistet, bescheinigt Deutschland mit die wenigsten Stromausfälle weltweit, ihre Zahl ist in den letzten Jahren sogar gesunken. Eines verschweigt der Index allerdings: Die Stromausfälle kürzer als drei Minuten haben deutlich zugenommen, die Energieversorger müssen heute häufiger zur Stabilisierung des Netzes eingreifen.

Weil ihnen das aber offenbar immer schlechter gelingt, arbeiten Firmen mit empfindlichen Produktionsprozessen an Strategien, um die Energieversorgung auf eigene Beine zu stellen. Die herkömmliche Vorgehensweise, Notstromaggregate vorzuhalten, ist bei großen Fabriken und hohem Strombedarf etwa fürs Schweißen oder Erhitzen großer Flüssigkeitsmengen aussichtslos. Hier sind intelligentere Lösungen gefragt: ein Zusammenspiel aus erneuerbaren Energien und Speichern unter eigener Regie.
Die Richtung vorgegeben haben die 13 Partner des AREUS-Projekts, das 2016 zu Ende gegangen ist. Darin haben unter anderem Daimler, Siemens, Kuka sowie vier Universitäten eine Fertigungszelle mit einem Roboter aufgebaut, der Karosserieteile montiert. Diese Demofertigung steht in der TEC-Fabrik von Daimler in Sindelfingen und dient als Blaupause für die Produktion der Zukunft.

Versorgt wird die Anlage mit Strom sowohl aus dem öffentlichen Netz als auch von einer Solaranlage auf dem Hallendach. Ist Energie übrig, wird sie in Batterien gespeichert, das geschieht auch mit der Energie, die der Roboter beim Abbremsen erzeugt – wie bei einem Hybridauto. Eine Energieeinsparung von zehn Prozent ist nach Angaben der Partner möglich.

Die eigentliche Innovation sieht man der Anlage nicht auf den ersten Blick an. Sie wird nämlich komplett mit Gleichstrom versorgt. Der Technik trauen Energieexperten zu, den herkömmlichen Wechselstrom langfristig zu ersetzen. Dabei ist sie uralt. Der geniale Erfinder Thomas Edison setzte in den 1880er Jahre auf sie, musste sich aber seinem Widersacher Nikola Tesla geschlagen geben. Der favorisierte den Wechselstrom, weil sich dieser leicht mit Transformatoren auf höhere Spannungen bringen lässt. Erst damit wurden Hochspannungsnetze zur Übertragung großer Leistungen möglich.

Kommt die Renaissance des Gleichstroms?

Doch nun deutet sich eine Renaissance des Gleichstroms an. Photovoltaikanlagen, LED-Lampen, Smartphone-Ladegeräte, Batterien in Elektroautos – sie alle arbeiten eigentlich mit Gleichstrom, müssen aber die Energie umständlich aus Wechselstrom erzeugen. Jeder von uns hat zuhause mindestens ein Dutzend Steckernetzteile in langen Steckdosenleisten, die diese Aufgabe übernehmen. Dabei werden sie warm – ein untrügliches Zeichen, dass hier Energie verpufft. Würde man die Energieversorgung konsequent auf Gleichstrom umstellen, ließen sich nach Schätzungen der Technischen Universität Ilmenau zwei große Kohlekraftwerke in Deutschland abschalten.

Da die deutsche Industrie ihren Stromhunger jährlich nur um 1,8 Prozent reduziert und damit das 2020-Klimaziel der EU deutlich verfehlen wird, wäre das ein starkes Argument für Gleichstrom. „Die Industrie muss ihre Energieeffizienz dringend steigern, sonst ist die Energiewende nicht zu schaffen“, sagt Alexander Sauer, Professor am Institut für Energieeffizienz in der Produktion an der Universität Stuttgart.

Die Technik funktioniert in der Fabrik schon sehr gut, AREUS und das derzeit laufende Nachfolgeprojekt DC-Industrie belegen das. Doch die Tücke liegt im Detail. Erfinder Edison hatte einst versucht, die Wechselstromtechnik Teslas zu diskreditieren, indem er durchsetzte, dass der gerade erfundene elektrische Stuhl mit Wechselstrom töten sollte. Das gelang zwar, tat dem Siegeszug des Wechselstroms aber keinen Abbruch. Dennoch weiß jedes Kind, dass man nicht mit blankem Metall in der Steckdose stochern sollte. Gleichstrom dagegen ist ungefährlich, denken viele, denn täglich hantieren wir mit USB-Ladegeräten oder Batterien.

Was die Besucher auf der Hannover Messe erwartet
Festo Bionischer Arbeitsplatz Quelle: Festo AG
Fraunhofer IPA 3D-Druck Quelle: Fraunhofer IPA
Mit einem selbst entwickelten Multimaterial-3D-Druckverfahren kommt die TU Chemnitz auf die Hannover Messe. Die Forscher konnten damit einen kompletten Elektromotor drucken, der sehr temperaturbeständig ist. Laut den Forschern sei die Obergrenze allein durch die ferromagnetischen Eigenschaften des verwendeten Eisens gesetzt, die bei rund 700 Grad liegt. Das neue Verfahren, bei dem hochviskose Kupfer-, Eisen-, und Keramikpasten im Extrusionsverfahren geschichtet und anschließend gesintert werden, soll jetzt zur Serienreife entwickelt werden. Quelle: PR
Cubicure 3D-Druck Quelle: PR
Fraunhofer IFAM Mobiler Bearbeitungsroboter Quelle: Fraunhofer IFAM
Das Projekt SmartBlades geht in die zweite Runde: Nach den ersten Ergebnissen aus dem Jahr 2016 will das Verbundforschungsvorhaben unter Führung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) nun eine sogenannte Biegetorsionskopplung (BTK) für Rotorblätter von großen Windkraftanlagen entwickeln. Das Problem: Bei 85 Meter langen Rotorblättern, die in 200 Metern Höhe montiert sind, treten enorm schwankende Kräfte auf. Bei starken Böen müssen heutige Windkraftanlagen ihre Leistung drosseln. Die neue Kopplung soll in der Lage sein, sich den schnell ändernden Windbedingungen besser anzupassen. So soll der Verschleiß sinken und die Effizienz steigen. Quelle: PR
Fraunhofer IML intelligente Euro-Palette Quelle: Fraunhofer IML

Leider ist die Sache nicht so einfach, wie Frank Berger in einem kleinen, aber spektakulären Experiment demonstriert, das anschaulich zeigt, woran noch geforscht werden muss. Mit einer Fernsteuerung zieht der Leiter des Fachgebietes elektrische Geräte und Anlagen der TU Ilmenau einen Stecker aus einer Steckdose. Doch anstatt auszugehen, leuchten drei Glühbirnen im Stromkreis munter weiter, weil zwischen Stecker und Dose ein heller Lichtbogen zündet. Das hat damit zu tun, dass Gleichstrom keinen sogenannten Spannungsnulldurchgang hat. Der sorgt bei Wechselstrom dafür, dass spätestens nach einer 50stel Sekunde ein Lichtbogen und damit der Stromkreis unterbrochen wird.

Das Team von Berger tüftelt an neuen Schaltkonzepten für Gleichspannungsnetze von der Niederspannung im Haushalt oder in Fabriken bis zur Hochspannung für Überlandleitungen. Dass die technischen Hürden überwunden werden und dass Gleichstrom sowohl in der Industrie als auch in Haushalten Einzug halten wird, hält Berger für unausweichlich: „Die Gleichspannungsversorgung ist ein Gebot der Vernunft.“

Gleichstrom Lichtbogen Quelle: Lapp Gruppe
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