Gründerszene Was Maschinenbau-Start-ups von IT-Gründungen trennt

Start-ups sind in, egal ob eine App, ein Web-Portal oder ein neuer Online-Shop. Doch wer nicht in der IT gründet, steht vor großen Herausforderungen, wie ein junges Maschinenbau-Unternehmen aus Hamburg zeigt.

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Brige-Gründer Sven Simeitis (links), Kent Bridgewater und die Angestellte Sarah Gräser. Quelle: Presse

Es war ein lockeres Gespräch, das die Welt von Kent Bridgewater änderte. Ein befreundeter Ingenieur erzählte dem damaligen Wirtschaftspsychologie-Studenten von einem Problem, auf das niemand in der deutschen Industrie eine passende Antwort hatte: die Reinigung von Förderketten.

Jede Fließband-Produktion basiert auf einem Fördersystem, das die Teile von Station zu Station bringt. Mit der Zeit verschmutzt die Förderkette – sei es durch Staub, Produktionsreste oder schlichtweg den Schmierstoff. Fällt der Schmutz auf das Bauteil, geht das zulasten der Qualität – bis hin zum Ausschuss. Tropft etwa in einer Industrie-Bäckerei oder Großschlachterei Schmieröl auf die Nahrung, ist das ein ernsthaftes Problem.

„Viele Firmen arbeiten noch heute nach dem Motto ‚Wo gehobelt wird, da fallen Späne‘“, sagt Bridgewater. Sprich: In regelmäßigen Abständen müssen die Förderketten zur Reinigung ausgebaut oder sogar komplett ersetzt werden, was jedes Mal Zeit und Geld kostet. „Es hat mich nicht losgelassen, dass Firmen dafür Geld ausgeben.“

Brige B-Clean Quelle: Presse

Eine Idee war geboren.

Drei Jahre ist dieses Gespräch nun her. Heute hat Bridgewater die Lösung für das Problem: Mit einer neuen Maschine können die Förderketten im laufenden Betrieb gereinigt werden. Einen Prototyp des „B-Clean-System“ genannten Reinigungssystems gibt es schon, nächstes Jahr soll die Fertigung anlaufen.

Die wertvollsten Start-up-Branchen Europas

Doch von der Idee bis zum fertigen Produkt liegen viele Stolpersteine im Weg – manche davon betreffen fast jedes Start-up, andere liegen in den besonderen Anforderungen des Maschinenbaus. Von der Geschichte, aus der heute die Brige GmbH entstanden ist, können aber nicht nur Maschinenbauer etwas lernen.

Teil 1: Die Idee

Kurz nach jenem Gespräch ruft Bridgewater seinen Jugendfreund Sven Simeitis an. Die beiden sind in Frankfurt in derselben Straße aufgewachsen und kennen sich seit über 20 Jahren. Irgendwann haben sich die Wege getrennt, Kent hat einen Master in Wirtschaftspsychologie und im Einkauf einer Reederei und eines Tickethändlers gearbeitet. Sven hingegen zieht es in die Technik, nach dem Maschinenbau-Studium will er in Theoretischer Mechanik promovieren.

Warum die Deutschen gründen

„Kannst du eine solche Maschine bauen?“ Das war die einfache Frage von Bridgewater. Irgendwie ist auch Simeitis von der Idee seines Jungendfreunds fasziniert und macht sich an die Konstruktion.

Mit einer Art Hochdruck-Reiniger, der die Förderkette umschließt, sollen Öl und Schmutz entfernt werden. Aber: „Wasser auf Öl und Stahl ist jeweils keine gute Idee“, sagt Smeitis. „Deshalb war es eine große Herausforderung, einen gut funktionierenden Trockner zu entwickeln.“ Doch der Maschinenbau-Ingenieur gibt nicht auf – und findet schließlich eine Lösung.

Maschinenbau-Start-ups sind selten

Die Idee ist recht einfach: Eine Maschine erzeugt den Wasserdruck zur Reinigung, eine andere die Druckluft zum Trocknen. Sie werden mit einer dritten Einheit, der sogenannten Reinigungskapsel, verbunden, die als einziges Bauteil an der eigentlichen Förderanlage befestigt wird.

Doch von der Idee über die technische Zeichnung bis hin zur fertigen Maschine wird es noch eine Weile dauern.

Teil 2: Die Gründung

Fast zwei Jahre arbeiten die beiden nebenberuflich an ihrem Projekt – Bridgewater im Einkauf, Simeitis forscht in Darmstadt und lehrt in Frankfurt. Im November 2015 wagen sie dann den Schritt in die Selbstständigkeit und gründen eine GbR.

Damit treten sie zum ersten Mal als Unternehmen auf – zuvor war es mehr ihr Privatvergnügen. Simeitis steht inzwischen kurz vor der Promotion, und dennoch gibt er zugunsten des eigenen Unternehmens die Arbeit in der Lehre auf.



Im vergangenen Dezember erhalten die beiden Jung-Gründer die Darlehenszusage einer norddeutschen Bank und der Förderung durch das Programm „InnoRampUp“ der Stadt Hamburg – sie beziehen ein Büro in Hamburg, holen sich Unterstützung von Mentoren, bestellen erste Teile und beginnen Anfang 2016 mit dem Aufbau des Prototypen.

Teil 3: Die Finanzierung

Zwei Freunde, eine Idee und Fähigkeiten, die sich gut ergänzen, die erste Finanzierung steht: Bis hier hin ist es die gewöhnliche Geschichte einer Unternehmensgründung. Davon gab es laut den Zahlen des KfW-Gründungsmonitors im vergangenen Jahr alleine 763.000 – 2014 waren es sogar über 900.000 Existenzgründungen.

Doch ein Großteil dieser Gründungen entfällt auf persönliche und wirtschaftliche Dienstleistungen oder den Handel – in das verarbeitende Gewerbe zieht es gerade einmal sieben Prozent aller Gründer.



Doch genau hierfür haben sich Bridgewater und Simeitis entschieden. Würden Sie eine App entwickeln, ein Web-Portal betreiben oder als IT-Berater unterwegs sein (was laut der KfW alles unter wirtschaftliche Dienstleistungen fällt), wären sie mit ihrem Büro in Hamburg gut bedient. Einige Computer, Programmlizenzen und angemietete Server-Kapazitäten würden in diesem Fall ausreichen. Doch da sie ihre „B-Clean“-Maschinen auch fertigen müssen, muss eine Werkstatt her – und die ist teuer.

Allein im Einkauf belaufen sich die Teilekosten für eine Maschine auf einen „niedrigen fünfstelligen Betrag“ – die Stückzahlen sind niedrig, die Qualitätsansprüche hoch. „Es war sehr schwer, überhaupt in Deutschland ein Unternehmen zu finden, dass uns die Teile in einem so geringen Volumen erstellen wollte“, sagt Simeitis. Nach einer Probe-Bestellung in Fernost kommt diese Lösung auch nicht mehr in Frage – die Qualität war zu schlecht.

Messe-Besuch als Durchbruch

Am Ende finden sie drei Zulieferer in Bremen und siedeln ihre Werkstatt deshalb auch dort an. Auf dem Gelände einer ehemaligen Wollfabrik in Bremen-Blumenthal können sie zur Untermiete bei der Firma Brewa 150 Quadratmeter beziehen. Doch um den Prototyp aufbauen und vor allem Testen zu können, benötigen sie Werkzeuge und vor allem eine eigene kleine Förderkette – noch mehr Kosten.

Also muss ein Partner her.

Teil 4: Die ersten Kunden

Die finanzielle Förderung eines jungen Unternehmens ist das eine, Kontakte zu potenziellen Kunden das andere. Sie zieht es auf die Hannover Messe, die weltweit wichtigste Industriemesse – aber nicht als einfache Besucher, sondern als Aussteller.

Gründertypen: So ticken junge Unternehmer rund um den Globus

Die Messe ermöglicht es Start-ups, sich mit geringem Aufwand und Kosten in einer eigenen Halle potenziellen Investoren, Kunden und Partnern zu präsentieren. „Es war ein ausdrücklicher Wunsch aus der Industrie, dass wir die Schwellen für kleine Unternehmen senken und ihnen Raum für die Präsentation ihrer Ideen zu geben“, sagt Jochen Köckler, Vorstandsmitglied der Deutschen Messe AG. „Junge Unternehmen sind schnell und innovativ, aber oft fehlt es ihnen an Geschäftserfahrung, Finanzierung und Strategie.“ Der Bereich „Young Tech Enterprises“ biete den Start-ups daher auch hervorragende Vernetzungschancen und Beratung.

115 Start-ups hatten auf der diesjährigen Messe im April ihre Chance gesucht. Messe-Chef Köckler ist zuversichtlich, dass diese Zahl auch 2017 erreicht wird – auch wenn er noch keinen konkreten Anmeldestand für die kommende Messe nennen will.

Für Brige hat sich der Schritt gelohnt: Die Gründer kamen mit großen Förderanlagenherstellern ins Gespräch, aber auch mit Unternehmen, die selbst ein Problem mit schmutzigen Förderketten haben. Viele davon kommen aus dem Bereich der Oberflächen-Veredelung – beim Lackieren oder Pulverbeschichten müssen die Teile sauber sein. Einige der Firmen unterstützen das junge Unternehmen bis heute.

Dennoch war der Gang auf die Hannover Messe nicht ohne Risiko. „Wir haben uns auf der Messe angemeldet, ohne eine fertige Maschine zu haben“, sagt Simeitis. Sprich: Hätte sich der Prototyp in der Testphase als Flop erwiesen, wären die potenziellen Interessenten wohl wieder abgesprungen. Und ohne Aufträge und Unterstützung aus der Industrie hätten die beiden Gründer umplanen müssen.

2017 sollen die nächsten Produkte folgen

Dazu kommt die Frage des Geschäftsmodells: Bislang hatten Bridgewater und Simeitis zwei Optionen geplant. Entweder kauft ein Kunde die Maschine und baut sie fest in seine Fertigungsanlage ein. Oder Brige verkauft die Reinigung als Dienstleistung und kommt regelmäßig mit einer Maschine bei dem Unternehmen vorbei. Für letzteres gibt es unter den frühen Interessenten eine große Nachfrage. Doch es stellt auch die Gründer vor eine neue Herausforderung: Bei verkauften Maschinen haben sie sofort einen Zahlungseingang – bei der Dienstleistung muss Brige die Maschine aber erst auf eigene Kosten bauen, bevor sie damit Geld verdienen können – noch mehr Finanzbedarf.

Teil 5: Die Fertigung

Der Messebesuch im April war ein Anschub für das noch junge Unternehmen – erst am 31.3.2016 hatten sie die GbR in die bis heute bestehende Brige GmbH umgewandelt. In Hannover entsteht der Kontakt zu Conveyor Teknik, einem Förderanlagenhersteller aus Dänemark. Den Dänen gefällt die Idee der beiden Gründer, sie stellen Teile zum Aufbau der Testanlage in Bremen zur Verfügung.

Nachdem sie in Eigenarbeit die Räume in Bremen renoviert haben, läuft in diesem November – also ein Jahr nach der Gründung – der Prototyp zum ersten Mal. Er funktioniert, sogar besser als gedacht. „Die Anlage kann mit bis zu 100 Bar Wasserdruck reinigen“, sagt Simeitis. „Wir lassen sie aber meistens nur mit einem Drittel der Leistung laufen, das reicht in den meisten Fällen aus.“

Doch bei Aufbau und Test der ersten Maschine fallen auch einige Schwachpunkte auf. Die Montage der Druckschläuche war schwieriger als gedacht, zudem tropft es bei hoher Leistung aus der Reinigungskapsel. Aber nichts, was sich nicht beheben lässt.

Im kommenden Jahr soll dann die Fertigung für die Kundenmaschinen anlaufen, bis zu 15 Exemplare sollen allein 2017 gebaut werden. Doch dazu ist weitere Unterstützung notwendig: Simeitis arbeitet schon an den nächsten Entwürfen, Bridgewater und die angestellte Sarah Gräser am Vertrieb und den Geschäftsmodellen. „Wir würden in Bremen gerne einen Monteur aus der Altersklasse 50+ einstellen“, sagt Bridgewater. „Mit einem weiteren Jüngeren wären wir ein Haufen Unerfahrenheit, die Lebenserfahrung aus 50 Jahren würde uns gut tun.“ Das Problem: Noch hat sich kein passender Bewerber gefunden, der auch das Wagnis eines so jungen Unternehmens eingehen würde.

Teil 6: Der Ausblick

Anders als so manche Gründer, die mit ihren Start-ups eine klare Exit-Strategie haben, kommt ein Komplett-Ausstieg für Bridgewater und Simeitis derzeit nicht in Frage. „Dazu steckt zu viel Herzblut drin, wir sind hier nicht bei der Höhle der Löwen“, sagt Bridgewater. „Unverschämten Angeboten gegenüber sind wir aber aufgeschlossen.“

Die größten Hemmnisse für Unternehmensgründungen

„Wir sind herstellerunabhängig und können alle Systeme reinigen. Darin sehen wir unsere große Stärke“, fügt Simeitis hinzu. „Wir wollen auch ein Stück unsere Unabhängigkeit.“

Um diese Unabhängigkeit zu sichern, arbeitet Simeitis bereits an den nächsten Entwürfen. Bislang kann das Brige-System sogenannte Hängeförderketten reinigen. Im kommenden Jahr sollen eine Fernwarte-Funktion und auch eine Trockenreinigung ohne Wasser ins Angebot aufgenommen werden, aber auch eine neue Maschine, die auch Bodenförderer reinigen kann – wie sie etwa in der Logistik oder Großbäckereien zum Einsatz kommen. 2018 soll eine Anlage für Transportbänder wie an Flughäfen folgen.

Auch auf der Hannover Messe 2017 will Brige sich wieder präsentieren – aber nicht mehr auf der Sonderfläche „Young Tech Enterprises“ in Halle 3, sondern in Halle 26 auf der ComVac, einer Fachmesse für Luft- und Vakuumtechnik. Dann spielt Brige bei den Großen mit – keine zwei Jahre nach der Gründung.

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