Das kann auch Germán Carrasco bestätigen. Der Mexikaner leitet in zweiter Generation das Familienunternehmen PYA Automotive. In sieben Fabriken fertigt er Plastik- und Gummiteile für die Autoindustrie. Fünf der Fabriken stehen in Mexiko-Stadt, dort wechseln pro Jahr nur drei Prozent der Belegschaft. In dem Werk Irapuato hingegen, etwa eine Autostunde von Silao entfernt, sind es 50 Prozent pro Jahr. Facharbeiter sind gefragt, ihre emotionale Bindung ist gering. Bei einem besseren Angebot wechseln daher viele schnell den Arbeitgeber. Im Branchenschnitt verdienen Arbeiter umgerechnet zwölf bis 20 Dollar pro Tag, rund ein Sechstel eines US-Autoarbeiters in Detroit. „Unsere Arbeiter verdienen zehn Dollar am Tag, 2013 waren es noch 4,40 Dollar“, sagt Carrasco. „Dazu gibt es wöchentlich eine Box mit verschiedenen Nahrungsmitteln als Zugabe.“ Er muss inzwischen zu solchen Mitteln greifen, um Mitarbeiter zu halten.
Zumindest für das Werk Irapuato hat Carrasco seine Lehren gezogen. Bei einer Führung durch die Werkshalle fällt auf, dass sehr viele Frauen an den Maschinen stehen. „Sie sind einfach zuverlässiger“, sagt Carrasco. Das liege auch an dem Entlohnungsmodell: Das Gehalt wird in Mexiko nicht am Monatsende auf ein Konto überwiesen, sondern jeden zweiten Donnerstag bar ausgezahlt. Am Wochenende nach dem Zahltag sind die Bars und Kneipen im ganzen Land gut gefüllt. Viele männliche Mitarbeiter verprassen ihren Lohn, so Carrasco. Geht das Geld aus, suchen sie sich mitunter noch vor dem nächsten Zahltag einen anderen Job. Die Frauen, die für die Familien sorgen, seien ungleich verlässlicher.
Während PYA wegen der steigenden Lohnkosten und dem hohen Erfahrungsverlust mit jedem Mitarbeiterwechsel zunehmend auf Automation setzt, will Harting in Silao weiter an der Handarbeit festhalten. Das liegt auch am Konzept, das DeSouza für sein Mexiko-Werk gewählt hat. Die Kosten einer Maschine sind recht unabhängig vom Standort – es kostet ähnlich viel, ob sie nun in den USA oder Mexiko steht. Die Personalkosten sind in Mexiko aber immer noch niedriger.
Die automatisierte Fertigung steht daher an der US-Zentrale in Elgin nahe Chicago. Die Kabel und Steckverbindungen, die in Silao gefertigt werden, sind speziell auf Kundenwunsch angefertigt. Entsprechend gering sind die Stückzahlen, eine Automatisierung würde sich schlichtweg nicht lohnen. „Kunden erwarten zunehmend einbaufähige Lösungen anstelle einzelner Komponenten“, sagt DeSouza. „Entsprechend müssen wir unsere Produktion für kundenspezifische Lösungen umstellen.“ Da mal nur 50, mal aber auch nur ein einziger Stecker in einer bestimmten Konfiguration hergestellt wird, sind flexible Mitarbeiter unersetzlich.
Die Kunden mit diesen speziellen Anforderungen sitzen größtenteils in den USA, vereinzelt auch in Mexiko. Aber: „Selbst, wenn wir an einen Kunden in Mexiko liefern, landet das Teil früher oder später in den USA“, klärt DeSouza auf. Die Teile, das sind Steckverbinder und Geräteanschlusstechnik, die teils in Fabriken (Steckverbindungen im Anlagenbau), Fahrzeugen (Bremssysteme für Bahnen oder überspritzte Steckverbindungen, die in Autos eingebaut werden), aber auch in der Web-Infrastruktur (Rechenzentren von Microsoft) zum Einsatz kommen.
Das Geschäft läuft, soll sogar ausgebaut werden. Zur Eröffnung 2016 standen sechs Angestellte in der Halle, heute sind es bereits über 60. „Bis spätestens 2020 wollen wir hier 200 Leute beschäftigen“, sagt DeSouza. „Natürlich lieber früher als später.“ Die aktuelle Werkshalle wird dann aber zu klein sein, selbst bei Schichtbetrieb. „Wir reden schon mit der Verwaltung des Industrieparks, dass wir hier im Gewerbegebiet eine neue Fläche beziehen können.“
Auf die Frage, was er an dem Standort negativ findet, muss DeSouza kurz nachdenken. „Wir haben zwar einen Flughafen in der direkten Nachbarschaft, aber wir verschicken unsere Waren meist mit dem Güterzug in die USA“, sagt er. „Da sind wir nicht ganz optimal angebunden wie in Querétaro oder Mexiko-Stadt und zahlen deshalb etwas mehr für die Logistik. Ich würde aber trotzdem nichts anders machen.“