Warum gibt es so wenig deutsche Musks?
Es gibt hervorragende Unternehmer in Deutschland, gerade in der Automobilindustrie – sonst stünden wir dort nicht so erfolgreich da. In Deutschland fehlt etwas der Gründergeist, neue Geschäftsmodelle konsequent hochzuziehen. Das ist schade. Denn Start-ups wurden ja nicht im Silicon Valley erfunden, sondern in Deutschland, denken Sie an die „Gründerzeit“ im 19. Jahrhundert. Im Silicon Valley waren noch nicht mal Garagen gebaut, da hatten wir in Deutschland schon Start-ups im Hinterhof. Und heute? Heute pilgern alle ins Silicon Valley, weil sie wissen wollen, wie Zukunft geht. Das ist aber der falsche Ansatz. Den Willen, Zukunft zu gestalten, musst du im Herzen haben. Es bringt nichts, das Silicon Valley zu kopieren, du musst verstehen, was es ist. Und das Wichtigste am Silicon Valley ist die Herangehensweise. Neudeutsch spricht man von „Mindset“: Gehe kreativ mit neuen Ideen um und fürchte dich nicht vor dem Scheitern. Wage etwas, denke groß. Dieses Mindset kann der Bundestag nicht per Gesetz verordnen. Das muss vom inneren Antrieb kommen. Hier haben auch Unternehmen und Universitäten eine Verantwortung, den Innovationsgeist zu fördern.
Aber ein wenig hat es schon auch mit Gesetzgebung zu tun, oder? In den USA gibt es deutlich mehr Freiheiten, ein Unternehmen zu gründen. Beneiden Sie da US-Firmen manchmal um diese Möglichkeiten?
Nein, das tue ich nicht. Ich respektiere sie, aber Neid ist das falsche Wort. Aus dem Vergleich mit den USA formuliert sich eher ein Anspruch: der Anspruch, dass wir uns in Deutschland anstrengen sollten, ebenfalls starke Ökosysteme für Gründer zu etablieren. Natürlich braucht es dafür auch die richtige Gesetzgebung. Zum Beispiel im Bereich der Finanzierung. In Europa ist das noch ausbaufähig. Wenn Sie in Deutschland als Gründer mit einer wirklich guten Idee zu einer Bank kommen, ist die erste Frage: „Haben Sie Sicherheiten?“ Wenn man die nicht hat, braucht man Bürgen. Und dann schaut die Bank noch in die Schufa, und wenn Sie dort einen Eintrag haben, können Sie die Finanzierung vergessen – unabhängig von der Güte Ihrer Idee. Das ist doch Wahnsinn.
Wie können wir den Vorteil des Silicon Valleys ausgleichen?
Nehmen Sie Siemens. Wir können, bei allem Respekt vor den Leistungen meiner Vorgänger, nicht sagen: Uns gibt es schon 170 Jahre, das wird auch die nächsten 170 Jahre so sein. So ist die Welt nicht mehr. Siemens muss sich neu erfinden, Tag für Tag, und wir tun das auch. Deswegen wollen wir jeden unserer fast 360.000 Mitarbeiter in die Lage versetzen, noch stärker als bisher wie ein Unternehmer zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Bei Siemens nennen wir das Eigentümerkultur. Unser Leitspruch ist: „Handle stets so, als wäre es deine eigene Firma.“ Wir sind natürlich noch nicht am Ziel, dieses unternehmerische Denken überall zu verankern, aber wir kommen damit gut voran.