Joe Kaeser "Es bringt nichts, das Silicon Valley zu kopieren"

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„Den Willen, Zukunft zu gestalten, musst du im Herzen haben“

Warum gibt es so wenig deutsche Musks?
Es gibt hervorragende Unternehmer in Deutschland, gerade in der Automobilindustrie – sonst stünden wir dort nicht so erfolgreich da. In Deutschland fehlt etwas der Gründergeist, neue Geschäftsmodelle konsequent hochzuziehen. Das ist schade. Denn Start-ups wurden ja nicht im Silicon Valley erfunden, sondern in Deutschland, denken Sie an die „Gründerzeit“ im 19. Jahrhundert. Im Silicon Valley waren noch nicht mal Garagen gebaut, da hatten wir in Deutschland schon Start-ups im Hinterhof. Und heute? Heute pilgern alle ins Silicon Valley, weil sie wissen wollen, wie Zukunft geht. Das ist aber der falsche Ansatz. Den Willen, Zukunft zu gestalten, musst du im Herzen haben. Es bringt nichts, das Silicon Valley zu kopieren, du musst verstehen, was es ist. Und das Wichtigste am Silicon Valley ist die Herangehensweise. Neudeutsch spricht man von „Mindset“: Gehe kreativ mit neuen Ideen um und fürchte dich nicht vor dem Scheitern. Wage etwas, denke groß. Dieses Mindset kann der Bundestag nicht per Gesetz verordnen. Das muss vom inneren Antrieb kommen. Hier haben auch Unternehmen und Universitäten eine Verantwortung, den Innovationsgeist zu fördern.

Wo Gründer-Nachfahren noch etwas zu sagen haben
BMWBei dem Autobauer geht praktisch nichts ohne die Zustimmung der Geschwister Susanne Klatten und Stefan Quandt, die noch 46,7 Prozent der BMW-Stammaktien halten. Beide sitzen seit 20 Jahren im BMW-Aufsichtsrat. Dieses Jahr dürfen die beiden mit einer Dividende von rund einer Milliarde Euro rechnen. Streng genommen sind die Eigner bei BMW keine Gründer-Nachfahren, denn die Verbindung zum Autobauer stammt aus den 1950er Jahren. Damals sprang ihr Vater, der Batteriefabrikant Herbert Quandt, der angeschlagenen Firma bei und stieg als Miteigentümer ein. Seine Kinder sind heute als stabile Ankeraktionäre bei BMW auch auf der Arbeitnehmerseite hoch im Kurs. Quelle: dpa
BoschDie Nachfahren des Gründers sind noch zu sieben Prozent an dem Technologiekonzern Robert Bosch GmbH beteiligt - ihr Einfluss hält sich also in Grenzen, zumal die Firma nicht börsennotiert ist und daher keine harten Transparenzregeln befolgen muss. Als Kontrollinstanz das Sagen hat bei dem Konzern mit seinen fast 400 000 Mitarbeitern die „Robert Bosch Industrietreuhand KG“, die aus früheren Bosch-Managern, externen Fachleuten und Familienangehörigen besteht. Der Anteil der KG am Stammkapital ist zwar nahe null, sie hat aber 93 Prozent der Stimmrechte. Von den Gewinnen (2015: 3,5 Milliarden Euro) profitiert besonders die Bosch-Stiftung, die zu 92 Prozent am Kapital der GmbH beteiligt ist. Ähnliche Stiftungsmodelle gibt es auch bei anderen Firmen. „Damit soll das Erbe des Gründers für die Zukunft gesichert werden“, erläutert Peter Englisch vom Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY). Heutzutage sind auch steuerliche Überlegungen relevant – überträgt ein Familieneigner seine Anteile in eine Stiftung, werden keine Steuern gezahlt. „Solche Stiftungsmodelle machen zwar häufig Sinn, weil die Erben ihre Anteile dann nicht einfach verkaufen können“, sagt er. „Aber das ist ein Weg ohne Umkehr – für die Nachfahren ist das eine faktische Enterbung.“ Zudem sei es unklar, was die Treuhänder in den nächsten Jahrzehnten mit dem Erbe machten. Quelle: dapd
DürrDie Familie Dürr hält noch knapp 29 Prozent der Aktien an dem Lackiermaschinen-Hersteller, damit ist sie größter Aktionär an der börsennotierten Firma. Im Management ist kein Vertreter der Dürr-Familie mehr zu finden. Der frühere Firmenchef Heinz Dürr (im Bild) war einst Bahn-Chef, in einer Nebenfunktion saß er jahrzehntelang an der Spitze des Dürr-Aufsichtsrats - erst vor vier Jahren legte der heute 83-Jährige dieses Amt nieder, seither fungiert er nur noch als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats. Seine Tochter Alexandra Dürr vertritt die Familie inzwischen in dem Kontrollgremium - im eigentlichen Berufsleben ist sie als Ärztin in Paris tätig. Quelle: dpa
PorscheBei der Finanzholding Porsche SE (PSE) ist der Familienclan Porsche/Piëch am Ruder - alle Stimmrechte gehören den Nachfahren von Ferdinand Porsche. Externes Kapital haben sie sich über Vorzugsaktien geholt, also stimmrechtslose Firmenanteile. Die Finanzholding mit nur 30 Mitarbeitern hält rund 52 Prozent der Stimmrechte an Volkswagen, Europas größter Autobauer hat mehr als 600.000 Beschäftigte. Ohne die Zustimmung der Familien geht also wenig in Wolfsburg. In dem Autokonzern an führender Position tätig ist kein Familienmitglied - letzter Vorstandschef aus Reihen des Clans war bis 2002 Ferdinand Piëch, danach war er bis 2015 Aufsichtsratschef. Der inzwischen 79-Jährige hat nun den Großteil seiner Anteile an der PSE an Verwandte verkauft, sein Aufsichtsratsmandat bei der Finanzholding dürfte er in den kommenden Monaten niederlegen. Quelle: dpa
SchaefflerBeim fränkischen Autozulieferer-Konzern Schaeffler haben Mutter und Sohn das Sagen: Maria-Elisabeth Schaeffler-Thurmann (75) und ihr Sohn Georg Friedrich Wilhelm Schaeffler (52) gehört eine Holding, die zu 75,1 Prozent an der Schaeffler AG und zu 46 Prozent an Continental beteiligt ist. Quelle: REUTERS
SiemensDer Münchner Technologiekonzern ist ein Beispiel, wie Familieneinfluss abnimmt und dennoch präsent bleibt. Die etwa 350 Mitglieder der Siemens-Familie sowie verschiedene Siemens-Stiftungen sind noch mit etwa sechs Prozent an dem Technologiekonzern beteiligt. Mit der promovierten Philosophin Nathalie von Siemens ist ein Nachkomme von Firmengründer Werner Siemens im Aufsichtsrat vertreten, ein Familienmitglied auf einem wichtigen Chefsessel mit operativer Verantwortung findet sich nicht im Konzern. Die Familie stimmt stets geschlossen ab und ist damit eine Stütze für die Chefetage des Münchner Technologiekonzerns. Quelle: dpa
StihlDer Sägenhersteller mit etwa 14.000 Mitarbeitern ist noch komplett in Familienhand, vier verschiedene Familienstämme halten je ein Viertel an der Stihl-Holding. Seit 2002 führen externe Manager die Vorstandsgeschicke, mit dem Maschinenbauer Nikolas Stihl sitzt ein Enkel des Firmengründers an der Spitze des Aufsichtsrats. Quelle: dpa

Aber ein wenig hat es schon auch mit Gesetzgebung zu tun, oder? In den USA gibt es deutlich mehr Freiheiten, ein Unternehmen zu gründen. Beneiden Sie da US-Firmen manchmal um diese Möglichkeiten?
Nein, das tue ich nicht. Ich respektiere sie, aber Neid ist das falsche Wort. Aus dem Vergleich mit den USA formuliert sich eher ein Anspruch: der Anspruch, dass wir uns in Deutschland anstrengen sollten, ebenfalls starke Ökosysteme für Gründer zu etablieren. Natürlich braucht es dafür auch die richtige Gesetzgebung. Zum Beispiel im Bereich der Finanzierung. In Europa ist das noch ausbaufähig. Wenn Sie in Deutschland als Gründer mit einer wirklich guten Idee zu einer Bank kommen, ist die erste Frage: „Haben Sie Sicherheiten?“ Wenn man die nicht hat, braucht man Bürgen. Und dann schaut die Bank noch in die Schufa, und wenn Sie dort einen Eintrag haben, können Sie die Finanzierung vergessen – unabhängig von der Güte Ihrer Idee. Das ist doch Wahnsinn.

Wie können wir den Vorteil des Silicon Valleys ausgleichen?
Nehmen Sie Siemens. Wir können, bei allem Respekt vor den Leistungen meiner Vorgänger, nicht sagen: Uns gibt es schon 170 Jahre, das wird auch die nächsten 170 Jahre so sein. So ist die Welt nicht mehr. Siemens muss sich neu erfinden, Tag für Tag, und wir tun das auch. Deswegen wollen wir jeden unserer fast 360.000 Mitarbeiter in die Lage versetzen, noch stärker als bisher wie ein Unternehmer zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Bei Siemens nennen wir das Eigentümerkultur. Unser Leitspruch ist: „Handle stets so, als wäre es deine eigene Firma.“ Wir sind natürlich noch nicht am Ziel, dieses unternehmerische Denken überall zu verankern, aber wir kommen damit gut voran.

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