Mittelstand So werden aus Unternehmen Weltmarktführer

Seite 4/5

Gezielte Kooperationen

Ernst Koch Drahtmaschinen, 120 Mitarbeiter, 45 Millionen Euro Umsatz. Jochen Koch hält einen Weltrekord, den das menschliche Auge kaum wertschätzen kann: Seine beste Maschine zieht in einer einzigen Sekunde Metall zu 50 Meter Draht. Das ist fast fünfmal so schnell wie Weltrekordler Usain Bolt die 100 Meter sprintet. Die Superleistung bietet Kochs Unternehmen, der Firma Ernst Koch Drahtmaschinen im sauerländischen Hemer-Ihmert, beste Chancen, zum weltweit führenden Anbieter aufzusteigen. Denn der Mittelständler hat sich nicht auf Maschinen zur Produktion einfacher Wald- und Wiesendrähte, sondern auf Anlagen zur Herstellung feinster Hightechware verlegt: von hauchfeinen medizinischen Drähten bis hin zu Strängen, die tonnenschwere Lasten aushalten, zum Beispiel Seilbahnen. Auf diese Weise hat es das 1921 gegründete Unternehmen inzwischen unter die Topanbieter von Zieh- und Kaltwalzanlagen für die Eisen- und Stahldrahtindustrie geschafft. Zu verdanken hat dies der 54-jährige Firmenmitinhaber der Weitsicht seines Großvaters Ernst. Getrieben von benachbarten Wettbewerbern im Märkischen Kreis, expandierte der Firmengründer früher als viele andere Anbieter nach Skandinavien sowie Zentral- und Südamerika. Enkel Jochen, der aktuelle Chef, weiß das zu schätzen: „So hat er den Grundstein für den heutigen Erfolg gelegt. Gleichzeitig hat uns die Nähe zu den Kunden im Märkischen Kreis unterstützt, innovativ zu sein.“

Unter dem Strich stieg die Exportquote über die Jahre auf heute 80 Prozent. Der Ingenieur setzte den Gang ins Ausland fort. Dazu gründete er 1988 in den USA ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem amerikanischen Hersteller und übernahm 1991 dessen Anteile. Das reichte den Sauerländern aber noch nicht. „Seit den Neunzigerjahren bauen wir unser Netzwerk von Partnerfirmen aus“, sagt Koch. Dabei vermeidet der Mittelständler, sich Konkurrenten heranzuzüchten. „Bei uns geht es nicht um Kooperationen mit Firmen, die bei Lieferengpässen das Gleiche wie wir anbieten und einspringen können“, sagt er, „sondern um Betriebe, die unser Angebot ergänzen.“ Das sind Firmen etwa aus Belgien und Kanada, die zum Beispiel Reinigungsanlagen oder Maschinen zur Wärmebehandlung oder Beschichtung anbieten. Mit ihrer Hilfe tritt Koch heute als Systemanbieter auf und bietet Maschinenlinien zur Drahtherstellung wie aus einer Hand an. „Deshalb können wir bei unseren Kunden auch höhere Preise durchsetzen“, freut sich der Familienunternehmer der dritten Generation.

Das sind Deutschlands erfolgreichste Mittelständler
Platz 20: Schöck AGUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 119,0 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 14,1 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 13,3 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 33,1 ProzentDie Unternehmensberatung Munich Strategy Group (MSG) hat die Mittelständler mit dem größten Wachstum bei Umsatz und Erträgen in den letzten fünf Jahren gekürt. Die Top 20 eröffnet die Schöck Aktiengesellschaft aus Baden-Baden, einem Spezialisten für Fertigbauteile zur Wärme- und Lärmdämmung für Tritte.Quelle: Munich Strategy Group: "TOP 100 Ranking des Mittelstands 2015 - Deutschlands Wachstums-und Ertragsstars" Für ihr jährliches Unternehmensranking hat die Unternehmensberatung MGS rund 3.500 Mittelständler mit Umsätzen von 15 bis 600 Millionen Euro analysiert, um daraus die wachstums- und ertragsstärksten Unternehmen herauszufiltern.Das Ranking ergibt sich aus einem Score, der sich aus durchschnittlicher Ertragsquote, durchschnittlichem Ertragswachstum und durchschnittlichem Umsatzwachstum im Zeitraum 2010 bis 2014 ergibt. Ertragsquote und -wachstum fließen mit je 25 Prozent in den Gesamtscore ein, das Umsatzwachstum wird mit 50 Prozent gewichtet. Quelle: Presse
Platz 19: HeinzmannUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 72,8 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 16,1 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 10,8 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 36,1 ProzentHeinzmann baut, entwickelt und betreut Verbrennungsmotoren, Generatoren und Turbinen, die etwa in Lokomotiven und Schiffen eingesetzt werden.  Quelle: Screenshot
Platz 18: Vemag Maschinenbau GmbHUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 86,5 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 15,2 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 12,6 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 33,1 ProzentDie Vemag Maschinenbau GmbH stellt Maschinen und Geräte für die Nahrungsmittelindustrie her. Dazu zählen Würstchenfüller und Teigportionierer. Einen Schwerpunkt bildet hier die Entwicklung eines Convenience Systems, das dem Anwender ein flexibles System zum Portionieren und Formen von Produkten bietet. Quelle: Presse
Platz 17: Wenglor Sensoric GmbHUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 55,9 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 15,8 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 12,6 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 43,9 ProzentWenglor entwickelt, produziert und vertreibt seit 30 Jahren Produkte zur berührungslosen Objekterkennung. Das Produktspektrum umfasst Sensoren, Bildverarbeitungsprodukten, Barcode-Scanner und Sicherheitstechnik. Zu den Kunden zählen kleine und mittelständische Unternehmen wie auch internationale Industriekonzerne. Quelle: Presse
Platz 16: DeloUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 57,9 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 20,0 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 15,4 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 21,7 ProzentDas Unternehmen aus Windach bei München ist mit Spezialklebstoffen erfolgreich. So hat Delo etwa ein Verfahren entwickelt, um RFID-Chips zu verkleben. Die elektrischen Signale werden dabei zuverlässig weitergeleitet. Quelle: Presse
Platz 15: HAZET-WERKUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 79,0 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 12,8 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 13,0 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 178,6 ProzentDie Hazet-Werk Hermann Zerver GmbH & Co. KG ist ein deutscher Werkzeughersteller mit Sitz in Remscheid. Der Markenname Hazet steht verkürzt für die Anfangsbuchstaben Ha und Zett des Namens des Gründers Hermann Zerver.
Platz 14: Getriebebau NordUmsatz im Geschäftsjahr 2013/2014: 460,0 Millionen Eurodurchschnittliches Umsatzwachstum von 2010 bis 2014: 15,4 Prozentdurchschnittliche Ertragsquote von 2010 bis 2014: 11,6 Prozentdurchschnittliches Ertragswachstum von 2010 bis 2014: 80,2 ProzentDie Getriebebau Nord ist einer der größten Getriebemotoren-Hersteller der Welt. Das Unternehmen ist international für seine mechanische und elektronische Antriebstechnik bekannt. Quelle: Presse

123 Jahre Neuanfang

Walzengießerei Coswig 139 Mitarbeiter, 485 Millionen Euro Umsatz. So leicht kann Wilfried Pfaffe nichts mehr erschüttern. Das liegt nicht nur an seinen 63 Lebensjahren oder an seiner kräftigen Statur, sondern auch und vor allem an seinen 40 Jahren Berufserfahrung bei der Walzengießerei Coswig im gleichnamigen Ort nahe Dresden. Pfaffe ist Ingenieur für Bergbau-Verfahrenstechnik, stammt aus Ostdeutschland und hat die Wende 1989 im Volkseigenen Betrieb (VEB) Walze Coswig miterlebt. Dessen 750 Mitarbeiter belieferten vor allem Unternehmen in der DDR. Im sozialistischen Osteuropa waren die Sachsen nur wenig präsent. Gut ein Vierteljahrhundert später ist das Unternehmen nicht mehr wiederzuerkennen, ist der ehemalige volkseigene Betrieb auf dem Sprung zum internationalen Champion beim Walzen- und Kolbenguss.

Die Coswiger liefern heute weltweit alles vom Rohteil bis zur einbaufertigen, 40 Tonnen schweren Walze. Das Schwermetall geht zumeist an Kunden aus der Stahlindustrie und dem Maschinenbau. Die Einzelstücke fertigen die Gießer gar von Hand. Doch der Aufstieg war steinig und für die Belegschaft schmerzhaft. „Wir haben nach der Wende konsequent restrukturiert“, sagt Pfaffe. Jede Technologie, jede Abteilung und jeder Arbeitsplatz stand erst mal zur Disposition. „Wir wollten lieber mit nur 133 Mitarbeitern überleben als mit 250 sterben.“ Die Bereitschaft, sich neu zu erfinden, ist Teil der Firmen-DNA, seit der Gründung des Unternehmens 1892, damals als Eisenwerk Coswig. Den Ersten Weltkrieg überstand das Unternehmen noch. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber wurde das Werk als Reparationsleistung an die Sowjetunion demontiert. Walze Coswig fing wieder bei null an und wurde zum VEB. Der dritte Neustart gelang als Tochter der DIHAG Holding in Essen, eines Zusammenschlusses traditionsreicher Gießereien, zu dem Walze Coswig seit 1996 gehört.

Doch auch das bedeutete nicht die Rettung, denn nach zwei Kriegen, DDR und der Wende kam das Internet. „Unser Markt für Druckmaschinen brach in den Jahren 2006/07 ein und erholte sich nicht mehr. Wir mussten sehr schnell aus dieser Abhängigkeit heraus und ein neues, zukunftsträchtiges Geschäftsfeld finden“, erinnert sich Firmenchef Pfaffe. Also schwenkte er auf Gussteile für Rotorhohlwellen von Windkraftanlagen auf hoher See um. Dann bremste die Bundesregierung den Ausbau der Offshore-Windenergie, und wieder muss Pfaffe sich etwas Neues einfallen lassen. Er hat sich entschieden, verstärkt Gussteile für Erz- und Zementmühlen zu produzieren. „So wachsen wir schrittweise und dosiert“, sagt Pfaffe, überzeugt davon, weiter vorn mitspielen zu können – auch und gerade, wenn das Unternehmen sich wieder neu erfinden müsste.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%